Flutkatastrophe in den Alpen Zahlreiche Dörfer und Städte von Außenwelt abgeschnitten
Kempten/Bern/Wien - Viele Ortschaften wurden von den Wassermassen überflutet. Die Niederschlagsmengen erreichten Rekordwerte. Hunderte Helfer von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Bundeswehr, Roten Kreuz und Polizei sind im Dauereinsatz. Garmisch-Partenkirchen ist von der Außenwelt abgeschnitten, das öffentliche Leben ist weitgehend zusammengebrochen.
Katastrophenalarm wurde in Kempten, Augsburg, Penzberg im Landkreis Weilheim-Schongau sowie in den Landkreisen Garmisch-Partenkirchen und Bad Tölz-Wolfratshausen ausgerufen. In Augsburg droht eine Autobahnbrücke einzustürzen. Die Autobahn 8 München-Stuttgart wurde deshalb total gesperrt.

Hochwasser: Der Kampf gegen die Fluten
Hunderte Keller stehen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen unter Wasser, die Autobahn A 95 München-Garmisch ist ab Sindelsdorf wegen Überflutung gesperrt. "In Garmisch sind wir in einer Chaos-Phase", sagte Polizeisprecher Bernd Putzer. Selbst Rettungskräfte hätten Schwierigkeiten, zu der Marktgemeinde am Fuß der Zugspitze vorzudringen. In Eschenlohe und Kempten brachen Dämme, die die Wassermassen von Loisach und Iller im Flussbett halten sollten. Helfer versuchen verzweifelt, die Fluten mit Sandsäcken aufzuhalten. Auf den Straßen steht das Wasser bis zu 20 Zentimeter hoch.
Bereits in der Nacht waren Teile des Ortes Eschenlohe evakuiert worden. Weitere Einwohner heute im Laufe des Tages in Sicherheit gebracht. Bei einer dramatischen Evakuierungsaktion mit Hubschraubern wurden bis zum Nachmittag laut Polizei 18 Haushalte entlang der über die Ufer getretenen Loisach geräumt. Der 1700-Einwohner Ort ist von der Flut in zwei Hälften geteilt.
Pegelstände steigen weiter
Nach Angaben der Polizei wurde in Kempten an der Iller mit einem Wasserstand von 6,32 Metern der Pegelstand des verheerenden Pfingsthochwassers von 1999 deutlich übertroffen. Zahlreiche Bundes- und Kreisstraßen standen im Allgäu und Nordschwaben unter Wasser und wurden gesperrt.
Im benachbarten Landkreis Bad-Tölz-Wolfratshausen sind rund 1000 Anwohner von einer Räumung betroffen, weil der Sylvensteinspeicher der Isar abgelassen werden soll, um die Wassermassen aufzunehmen. Bei Peißenberg (Landkreis Weilheim) rissen die Fluten der Ammer eine fast fertig gestellte Brücke einer neuen Umgehungsstraße fort. Laut Polizei wird eine Sprengung des Betonbauwerks erwogen.
Durch einen Dammbruch an der Iller bei Sonthofen erwartet die örtliche Feuerwehr eine Überschwemmung des südlichen Ortsteils von bis zu knapp einem halben Meter. Die betroffenen Anwohner wurden über Lautsprecher aufgefordert, sich in die oberen Stockwerke ihrer Häuser zu begeben.
Bahnlinien gesperrt, Tunnel geschlossen
In einem Haus wurden zwei Menschen vom Wasser eingeschlossen. Sie wurden mit einem Polizeihubschrauber geborgen. Auf einem überfluteten Campingplatz wurden Wohnwagen weggeschwemmt. Bei Sicherheitskontrollen an einer Brücke wurde ein Bahnbeamter vom Hochwasser eingeschlossen. Auch er musste mit dem Helikopter gerettet werden.
Die Bahnverbindungen zwischen Kempten, Immenstadt, Oberstdorf und Oberstaufen wurden wegen Hochwasser- und Murengefahr unterbrochen. Auch zwischen Weilheim und Dießen sowie von Murnau nach Oberammergau und Garmisch-Partenkirchen fahren keine Züge mehr. Der Grenztunnel zwischen Füssen und Österreich ist gesperrt.
Tote in der Schweiz
Auch in den Nachbarländern kämpfen die Rettungskräfte gegen die Wassermassen. Allein in der Schweiz sind bisher fünf Menschen ums Leben gekommen. Dort verschärft sich die Lage im Zürcher Oberland, in der Zentralschweiz und im Kanton Bern. Im Zürcher Oberland wurde eine Leiche aus dem Dorfbach von Dürnten geborgen, im Bündnerland ertrank eine 72-jährige Frau in der Landquart. In Brienz kam eine Jugendliche ums Leben, eine junge Frau wurde schwer verletzt. Bereits gestern waren zwei Feuerwehrleute in der Region Entlebuch tödlich verletzt worden.
Brienz und das Oberhasli sind von der Umwelt abgeschnitten, für Grindelwald und Lauterbrunnen wurde eine Luftbrücke eingerichtet. Im Kanton Luzern mussten mehrere Hundert Bewohner ihre Häuser verlassen. Autobahnen und mehrere Straßen am Vierwaldstättersee wurden gesperrt. Die Pegel des Thuner-, Brienzer- und Bielersees erreichten teilweise die Höchstwerte von 1999. In vielen Gemeinden fiel der Strom aus. Unterbrochen wurde auch der Bahnverkehr auf der Nord-Süd-Achse. Nach Angaben der Schweizer Bahngesellschaft SBB bleibt die Gotthard-Strecke für mehrere Tage gesperrt. Auf dem Flughafen Bern-Belp wurde der Linienflugverkehr eingestellt.
Dramatische Lage in Österreich
In Westösterreich verschlimmerte sich die Lage ebenfalls dramatisch. Viele Orte sind von der Außenwelt abgeschnitten, darunter Ortschaften im Kleinwalsertal, im Lechtal und in der Region Landeck. Im Ötztal kam ein Bewohner unter einer Steinlawine ums Leben, ein weiterer wurde nach Angaben der Wiener Nachrichtenagentur APA schwer verletzt. In Reuthe im Vorarlberg wurden mehrere Bewohner eines Wohnhauses verletzt, nachdem das Hochwasser die Haustür eingedrückt hatte. Im Haus kam es zu einer Explosion.
Der Touristenort Lech am Arlberg ist von den Wassermassen eingeschlossen. Im Zentrum der Stadt mussten 16 Hotels evakuiert werden, berichtet der österreichische Rundfunk ORF. Strom- und Wasserversorgung sind zusammengebrochen.
Die Hochwasserkatastrophe gefährdet auch eine der wichtigsten Transitstrecken Europas. Nach Angaben des österreichischen Automobilclubs ARBÖ wurde am Nachmittag die Inntalautobahn bei Kufstein-Kiefersfelden gesperrt, weil die Kufstein-Brücke im Grenzgebiet zwischen Bayern und Tirol einsturzgefährdet sei. Die Sperre werde voraussichtlich "längerfristig" sein. Sollte die Brückensperrung andauern, könnte dies vor allem in den kommenden Wochen zu chaotischen Verkehrsverhältnissen im Transitverkehr führen, da noch mehrere Rückreisewellen deutscher Urlauber in Richtung Heimat erwartet werden.
Die Autobahn A 12 wurde von der Grenze bis Kramsach auf einer Strecke von 40 Kilometern gesperrt. Der Automobilclub sprach von einer "sehr dramatischen Situation" und forderte Autofahrer auf, nur in dringenden Fällen in das vom Hochwasser betroffene Gebiet zu fahren.
Feuerwehrleute, Soldaten und freiwillige Helfer brachten mehrere Hundert Menschen in Sicherheit. "Die Situation ist sehr ernst", sagte die Leiterin des Flutkatastrophenschutzes, Doris Ita. In Tirol sind ebenfalls Soldaten im Einsatz, um Ufer und Brücken mit Sandsäcken zu verstärken. In Innsbruck sind bereits mehrere Häuser evakuiert. "Wir erwarten, dass der Fluss über die Ufer tritt", sagte der stellvertretende Bürgermeister Michael Bielowski. Die heftigen Niederschläge lösten erneut Erdrutsche aus. In Mellau im Bregenzer Wald sei ein Haus binnen Sekunden regelrecht niedergewalzt worden, sagte ein Augenzeuge dem Radiosender Vorarlberg.
Nach Angaben des bayerischen Umweltministers Werner Schnappauf (CSU) hat die Flut größere Ausmaße als das Pfingsthochwasser 1999. Die Wassermassen rollen nun auch auf die Donau zu. Das Ausmaß der Schäden sei noch nicht absehbar, sagte Schnappauf.