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ERNÄHRUNG Freiheit für den Acker

Weltweit macht Monsanto, der große Gentechnik-Konzern aus den USA, blühende Geschäfte. In Deutschland stößt er auf Widerstand. Eine bunte Allianz aus Imkern, Kapitalismus-Hassern und CSU-Politikern ist dabei, den globalen Marktführer aus dem Land zu verjagen. Von Uwe Buse
aus DER SPIEGEL 10/2009

Wenn Karl Heinz Bablok Entspannung sucht, wenn er die Arbeit im BMW-Werk hinter sich lassen will, dann setzt er sich auf sein Fahrrad und rollt hinaus aus Kaisheim, einer kleinen stillen Stadt im Schwäbischen. Babloks Ziel ist nicht weit, es ist gebaut aus sägerauen Brettern, von Bablok selbst, es steht auf einer Wiese, ein Bienenhaus. Bablok, Hobbyimker und geschickter Heimwerker, verbringt hier einen Großteil seiner Freizeit, im Winter hockt er hier und repariert die Bienenkästen, im Sommer schleudert er Honig. Das Bienenhaus ist Babloks Tankstelle, an diesem Ort holt er sich die Energie für den Alltag, für die Arbeit in den Ausbildungsstätten im Werk. Das Haus sollte ein sehr privater Platz sein, fern der Arbeit und vor allem fern der Öffentlichkeit.

Doch das Bienenhaus und der Honig, der hier gewonnen wird, sie sind nicht mehr privat, ganz im Gegenteil, der Honig steht im Zentrum eines Streits, der vor deutschen Gerichten ausgetragen wird, der beobachtet und beeinflusst wird von Politikern und Medien und der Bablok, den Ruhesuchenden, tief hineingezogen hat in eine der großen ideologischen Debatten Deutschlands, in ein Gefecht, um dessen Ausgang seit Jahren gerungen wird, vor Gericht, in der Politik und auf dem Acker, mit Worten, mit wissenschaftlichen Studien und manchmal auch mit Fäusten.

Auf der einen Seite stehen Gentech-Konzerne, allen voran Monsanto, ein US-Konzern, der größte Saatguthersteller der Welt, Fast-Monopolist bei gentechnisch veränderten Pflanzen. Monsanto produziert die einzige modifizierte Pflanze, die in Deutschland kommerziell angebaut werden darf. Es ist eine Maispflanze, genutzt als Viehfutter. Ihr Name: MON 810. Ihr Vorteil: Die Pflanze produziert ein Gift, mit dem sie einen ihrer Feinde, die gefräßige Larve eines Schmetterlings, bekämpfen kann.

Auf der anderen Seite der Front stehen die Gegner Monsantos, sie sind zahlreich, es ist eine heterogene Allianz, sie reicht von Biolandwirten über Kapitalismus-Hasser bis hin zu CSU-Politikern und Kirchen.

Der Streit zwischen den beiden Lagern dreht sich um die Möglichkeiten, die Gefahren der grünen Gentechnik, es geht um Unternehmen, die Gott spielen, um letzte Fragen: Was darf der Mensch? Was kann die Wissenschaft? Und darf man tun, was man tun kann? Es geht auch um die Freiheit und ihre Grenzen. Um die Freiheit der Forschung, die Freiheit der Konsumenten, der Bauern, der Imker und der eines Konzerns. Wo beginnt die eine, wo endet die andere, und wer zieht die Grenzlinien?

Karl Heinz Bablok wurde Teil der Auseinandersetzung, weil einige seiner Bienenvölker Pollen sammelten von Äckern, auf denen die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft gentechnisch veränderten Mais zu Forschungszwecken anbaute. Die Tiere trugen Pollen in ihren Stock. Bablok wusste um die Gentech-Felder in der Nähe, er ließ Proben untersuchen, um sicherzugehen, dass sein Honig sauber war. Das Labor fand Gentech-Pollen, bis zu sieben Prozent. Der Fall wurde öffentlich, auf Anordnung des Verwaltungsgerichts Augsburg durfte Bablok seinen Honig nicht mehr verkaufen, nicht verschenken. Er lieferte ihn ab in einer Müllverbrennungsanlage, als erster Imker Deutschlands. Nun streitet Bablok mit der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft um die Übernahme seiner Kosten, seines Umsatzausfalls. Nach Babloks Angaben geht es um rund 10 000 Euro.

Die juristische Auseinandersetzung ist verwickelt, sie nähert sich mittlerweile der dritten Instanz, ein Grundsatzurteil wird von beiden Seiten angestrebt, es geht nicht nur um Babloks Kosten, nicht nur um die Reinheit deutschen Honigs, es geht auch um die Zukunft der grünen Gentechnik. Ein Sieg Babloks würde den MON 810 weiter diskreditieren. Er würde die Pflanze, in der öffentlichen Wahrnehmung, in ein Risiko für den Menschen verwandeln.

Bablok sitzt jetzt in seiner Küche, ein gemächlicher Mann, der lange schweigen kann zwischen zwei Sätzen. Vor ihm auf dem Tisch liegen Aktenordner, zwischen ihren Deckeln Anträge seiner Anwälte, sie stammen aus Berlin, kennen sich aus in der Materie, ihr Honorar wird mit Hilfe eines Imkerverbandes gezahlt. Außerdem sind in den Ordnern Anträge der Gegenseite, ihre Anwälte arbeiten für Freshfields Bruckhaus Deringer, eine Kanzlei mit 2500 Juristen, so global wie Monsanto.

Die Schriftsätze sind umfangreich, gewichtig, kompliziert. Es geht, im Kern, um die Frage, ob Babloks Genhonig unter die Zulassungsvorschriften des europäischen Lebensmittelrechts fällt. Die Anwälte der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft sagen nein. Babloks Anwälte sagen ja. Die Frage ist so entscheidend, weil Monsantos Mais nur unbeschädigt aus dem Prozess hervorgehen kann, wenn der Honig nach Ansicht der Richter nicht unter die Vorschriften fällt.

Der Umsatzausfall hat Bablok getroffen, aber ihm die Imkerei nicht verleidet. Er wird seine Bienenstöcke in diesem Jahr wieder aufstellen, nur an anderen Orten. Er versucht auch, eine Allianz zu schmieden unter den Imkern der Region. Kaisheim und seine Umgebung sollen bienenfrei werden, keine Pflanze soll von ihnen bestäubt werden, das ist sein Plan, das soll seine Rache sein.

Den Prozess verfolgt Bablok nur noch von fern. Er sagt, die Angelegenheit liege jetzt »bei den Kopfmenschen«, den Anwälten aus Berlin. Er, der Industriearbeiter, verstehe deren Argumente schon lange nicht mehr.

Die Deutschland-Zentrale von Monsanto liegt in Düsseldorf, in einem Gewerbegebiet. Zwei postkartengroße Messingschilder am Eingang eines Hochhauses weisen den Weg. Die Schilder sind leicht zu übersehen. Monsanto ist bekannt dafür, die Öffentlichkeit zu meiden. In einem Konferenzraum grüßt Ursula Lüttmer-Ouazane mit festem Händedruck, sie ist Nordeuropa-Chefin, zuständig auch für Deutschland, eine resolute Frau. Ihre Karriere begann mit einer landwirtschaftlichen Lehre. Eine Universität hat sie nie besucht, und der Aufstieg in einer männerdominierten Industrie hat Furchen um ihren Mund hinterlassen.

Lüttmer-Ouazane ist seit 30 Jahren im Geschäft, sie arbeitete für die Großen der Branche, für BASF, Novartis, Syngenta, vor zehn Jahren wechselte sie zu Monsanto. Landwirtschaft war für Lüttmer-Ouazane immer frei von Romantik, Landwirtschaft war für sie immer angewandte Chemie.

Auf dem Tisch, vor Lüttmer-Ouazane, liegt der Jahresbericht von Monsanto. Es sind gute Zeiten für den Konzern, global gesehen. Im vergangenen Jahr verdoppelte Monsanto seinen Gewinn auf rund zwei Milliarden Dollar. Die Nahrungsmittelkrise im Frühjahr 2008 trieb die Aktien auf ein Allzeithoch von 142 Dollar. In Südamerika sorgten neue, gentechnisch veränderte Pflanzen für gestiegene Umsätze, und Monsanto-Chef Hugh Grant verkündet ehrgeizige Ziele. Bis 2012 will er den Gewinn ein weiteres Mal verdoppeln. Grant sieht großes Potential in den Entwicklungsländern. Den neuen Markt erschließen soll ein trockenresistenter Mais, Monsanto hofft, ihn bald vermarkten zu können.

Europa und Deutschland wurden im globalen Geschäftsplan des Unternehmens die Rolle von Prestigemärkten zugewiesen. In den Zentren der Gentech-Kritiker geht es nicht um Hunderttausende Hektar, besetzt mit Mais, Raps, Soja oder Baumwolle, hier geht es darum, überhaupt vorzukommen auf den Äckern.

40 000 Hektar, das war das Ziel von Lüttmer-Ouazane vor zehn Jahren, als sie zu Monsanto kam. 40 000 Hektar sollten in Deutschland im Jahr 2009 mit dem Monsanto-Mais MON 810 bewirtschaftet werden. Es schien kein unerreichbares Ziel zu sein, damals, es ging um rund ein Prozent der gesamten Maisanbaufläche in Deutschland.

Doch das Ziel wurde grandios verfehlt.

Während gentechnisch veränderter Mais in den USA, in Kanada, in Argentinien rund 30 Millionen Hektar besetzt hält, in Südafrika, Brasilien, den Philippinen weitere 3 Millionen Hektar, wurden in diesem Jahr in Deutschland nur rund 4000 Hektar von deutschen Landwirten beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angemeldet. Lüttmer-Ouazane hat sich verschätzt, in vielerlei Hinsicht.

Sie hoffte auf viele Partner in der Politik, aber sie fand nur wenige. Bestenfalls die Liberalen und das Bundesforschungsministerium setzen sich hin und wieder für die Förderung der grünen Gentechnik ein. Die Argumente sind bekannt, sie wurden schon früher vorgetragen, bei ähnlichen Gelegenheiten, in der Debatte um den Ausstieg aus der Atomenergie, in den Diskussionen um den Transrapid. Auch die grüne Gentechnik sei eine Schlüsseltechnologie, heißt es, sie sei wichtig für den Standort Deutschland, als Beweis seiner Zukunftsfähigkeit. Es sind schwache Argumente, Projektionen in die Zukunft.

Den großen Rest der Politiker überzeugten sie nicht, sie sahen keinen Sinn darin, sich für eine Firma einzusetzen, die eine höchst umstrittene Technologie nutzt, um ein Produkt zu schaffen, das von der Mehrheit der Deutschen abgelehnt wird.

Auch die Lobbyarbeit, erfolgreich, zuverlässig in anderen Märkten wie den USA, brachte in Deutschland nicht den gewünschten Erfolg. Es gibt eine Vielzahl von Organisationen in Berlin, in den Bundesländern, die der grünen Gentechnik zu mehr Akzeptanz verhelfen sollen, »InnoPlanta« zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, der »Industrieverband Agrar« in Frankfurt am Main und in Brüssel »Europabio«. Ihre Mitglieder versuchen Gehör zu finden bei den Abgeordneten, Verständnis für die Lage.

So trafen sich im Januar 2007 im brandenburgischen Landtag Vertreter der Fraktionen, um sich von US-Experten die Vorzüge grüner Gentechnik erklären zu lassen. Der Referent war der amerikanische Genmais-Farmer Don Thompson, für etwaige »legislative Fragen« stand seine Partnerin, die frühere Staatssekretärin des US-Agrarministeriums Jill Long Thompson, bereit. Doch wirkliche Erfolge können die Lobbyisten der grünen Gentechnik in Deutschland nicht vorweisen. »Wir haben unsere Sicht der Dinge eingebracht, als das Gentechnikgesetz formuliert wurde«, sagt Lüttmer-Ouazane, »aber wir können nicht zufrieden sein mit dem Resultat.«

Die Haftungsregeln, sagt sie, gingen einseitig zu Lasten der Landwirte, die der grünen Gentechnik eine Chance geben wollen. Der bürokratische Aufwand für die Bauern sei hoch, die geforderten Abstände zu konventionellem Mais oder Öko-Pflanzungen zu groß. Lüttmer-Ouazane ist keine Freundin des Berliner Politikbetriebs und seiner Ergebnisse.

Und die Abgeordneten sind nicht ihr einziges Problem. Gegner finden sich auch an Orten, die nicht aussehen wie Zentren politischen Widerstands.

Vor ein paar Wochen stand Michael Grolm oben auf einem Turm, hoch über Tonndorf in Thüringen, hoch über dem Schloss, in dem er wohnt. Der Weg zu ihm nach oben führt über hölzerne Stufen, schief und ausgetreten von den Generationen, die hier zuvor emporstiegen.

Der Turm besteht aus groben Steinen, er ist alt, schon auf Bildern aus der Renaissance zu sehen. Das Schloss wird das erste Mal erwähnt in Schriften aus dem 13. Jahrhundert. Heute steht es unter Denkmalschutz. Es ist, mit seinem Graben, seinen Mauern, eine Trutzburg gegen den Wandel.

Rund 60 Männer, Frauen und Kinder leben in ihr, organisiert in einer Genossenschaft, die das leerstehende Schloss vor drei Jahren kaufte. Nun wächst hier ein alternatives Kulturhaus, inklusive ökologischer Arche, und für Grolm ist es der Beweis, dass das Alte seine Existenzberechtigung hat, dass es nicht geschleift werden muss für irgendetwas Neues. Es gibt wahrscheinlich keinen Ort, der besser zu ihm passt als dieser. Grolm lebt hier, seit das Projekt begann, und er will hier bleiben, für immer. Den Platz für sein Grab hat er sich schon ausgesucht. Er findet sich hinten in der Streuobstwiese.

»Dort«, sagt Grolm und zeigt vom Turm auf eine Stelle jenseits der Schlossmauern, »dort gibt es noch Magerrasen, extrem artenreich, kaum mehr zu finden. Man muss nur einmal Kunstdünger draufwerfen, schon ist er hin.« Neben dem Rasen sind die Streuobstwiesen zu sehen. Im Sommer stellt Grolm zwischen die Bäume ein paar Bienenvölker.

Wie Karl Heinz Bablok ist Grolm Imker, aber für ihn ist es kein Hobby, er macht es beruflich. Das Ergebnis seiner Arbeit ist zu besichtigen auf einem Tisch im Schloss, und Grolm spricht über die einzelnen Sorten wie der Winzer über seinen Wein. »Da ist der Weißtannenhonig aus dem Schwarzwald, malzig, feinwürzig. Edelkastanienhonig aus der Pfalz, herb, ein wenig bitter.«

Grolm liebt seinen Beruf. Er liebt auch die Natur, wie sie von Gott geschaffen wurde, gegen die von Monsanto gemachte kämpft er mit großer Energie.

Grolm ist Sprecher, Mitbegründer und Frontmann von »Gendreck weg«, einer Initiative, gegründet vor fünf Jahren an seinem Küchentisch, für Gegner der Gentechnik, die nicht nur argumentieren und demonstrieren wollen. »Gendreck weg« bietet Aktivismus für jedermann und füllt so eine Lücke im Geflecht der Nichtregierungsorganisationen. Lüttmer-Ouazane verdreht die Augen, wenn sie Grolms Namen hört.

Grolm organisiert mit Freunden Veranstaltungen, die sie »Feldbefreiungen« nennen. Sie reisen zu Feldern, auf denen MON 810 steht oder gentechnisch veränderte Forschungspflanzen wachsen - und reißen diese aus der Erde. Die Aktionen sind öffentlich, werden im Internet angekündigt, die Ankunft der Polizei ist einkalkuliert und wird nicht als übermäßig störend empfunden.

Grolm gehört zu den Fundamentalisten unter den Gegnern Monsantos. Er will Deutschland in eine gentechnikfreie Zone verwandeln, strebt nach einer Abkehr von der industriellen Landwirtschaft, vom Agrobusiness, er sagt, »dass es durchaus noch Bauern gibt, die ihren Acker mit Pferd und Pflug bearbeiten«. Er ist ein Romantiker.

Im Speisesaal des Schlosses entwirft er zusammen mit einer Mitstreiterin die Vision von einer Zukunft, in der ein menschenverachtender Konzern die Nahrungsmittel der Welt kontrolliert. Sie sprechen von Restrisiken, Patenten auf Leben, von der Freisetzung und Nichtrückholbarkeit künstlich geschaffener Organismen. Die beiden entwerfen das Bild einer furchtbaren Welt, in der es sich nicht lohnt zu leben. Hört man dem Vortrag eine Weile zu, hat man das Gefühl, es geht nicht um eine Firma, die auch mit moralisch zweifelhaften Methoden um das kämpft, was sie für ihr Recht hält, sondern um einen Dämon, so total ist das Feindbild.

Gegen diesen Dämon und für eine bessere Welt kämpft Grolm. Er ist bekannt unter den Gegnern der Gentechnik, sein Gesicht ist das Gesicht der Bewegung, für viele Gegner Monsantos ist er ein Idol. Im Herbst 2008 verliehen ihm die Leser und Leserinnen der »taz« den Panter Preis für Zivilcourage.

Die Feldbefreiungen beginnen in der Regel mit einem Zeltlager in der Nähe des Genfeldes, es folgt eine Demonstration und irgendwann der Höhepunkt, der Spurt zum Acker. Vorneweg die Feldbefreier, nicht weit entfernt und schnell näher kommend die Polizei. Manchmal kreisen Helikopter über allen, dann erinnert die Szenerie an Brokdorf, an die aufregenden, atemlosen Tage der Anti-AKW-Bewegung.

An ihr, ihren Strategien orientiert sich Grolm, es gibt wieder Beziehungsgruppen, in der jeder auf jeden aufpasst, passiver Widerstand wird vor der Aktion trainiert. Neu ist die Zusammenarbeit mit den Medien, die von den Aktivisten gut organisiert ist. Mit den Feldbefreiern rennen Kameraleute von »Gendreck weg«, sie halten das Befreien des Ackers fest. Den Routinierten unter den Aktivisten gelingt es, in die Kamera zu blicken und Grundsatzreferate zu halten, während sie gebückt von Pflanze zu Pflanze laufen. Zu sehen ist das dann im Internet, zum Beispiel auf cinerebelde.org, einem Knotenpunkt im Netzwerk der Globalisierungsgegner, der Bilder einer »Welt im Widerstand« liefert.

Die Feldbefreiungen enden meistens mit Verhaftungen. Kommt es zum Prozess, verhängen die Richter in der Regel nur Geldstrafen. Sie werden, wie die Gerichtskosten, über ein Spendenkonto beglichen.

Den Feldbefreiern geht es gut, finanziell und moralisch. Sie wissen sich auf der Seite der Rechtschaffenen, Verurteilungen schrecken sie nicht ab, sie nehmen sie wie Ritterschläge. Grolm rechnet damit, demnächst ins Gefängnis zu müssen, für ein paar Tage, weil er eine Strafe nicht bezahlt hat. Er freut sich darauf, es wird ein weiteres Happening werden, mit vielen Treckern, Transparenten, mit Essen von lokalen Unterstützern und schönen Geschichten über die jüngsten Erfolge. Es gibt viel zu feiern.

Nach Feldzerstörungen stellte im vergangenen Jahr die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen ihre Freilandversuche mit gentechnisch verändertem Mais ein. Ebenso die Universität Gießen. Auch das Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam, das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik in Gatersleben wagen zurzeit keine Freilandversuche. Sind im Standortregister des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für das Jahr 2008 noch 39 Freilandversuche zu finden, so ist es in diesem Jahr bislang einer.

Für Monsanto, für Ursula Lüttmer-Ouazane, sind Grolm und seine Freunde ein ebenso schwerwiegendes Problem wie die Abgeordneten in Berlin. Die Politiker setzten ihr einen engen gesetzlichen Rahmen, raubten ihr die Bewegungsfreiheit, Grolms Aktionen nehmen ihr die Basis, den Kundenstamm, ihr wichtigstes Argument im Kampf mit ihren Gegnern: dass der Mais gewollt, gebraucht, genutzt wird von einer steigenden Zahl deutscher Landwirte. Die wenigen Bauern, die ihren Mais trotz aller Anfeindungen kaufen, nennt Lüttmer-Ouazane »wahre Helden«.

Es gibt nicht viele davon. Einer dieser Helden ist ein Mann von stämmiger Statur und trotziger Haltung. Er steht auf seinem Hof in Kitzingen, zwischen Wohnhaus und Wirtschaftsgebäuden, er heißt Reinhard Dennerlein.

Dennerlein hat es nicht so gern, wenn man ihn einen Helden nennt, Bauer gefällt ihm aber auch nicht. »Bauern«, sagt Dennerlein mit zusammengezogenen Brauen, »die waren immer ganz unten, alle haben auf denen rumgetrampelt, für Jahrhunderte.« Er sei kein Bauer, sondern Agrar-Unternehmer, spezialisiert auf das Mästen von Schweinen. 2000 stehen in seinen Ställen. Dennerlein denkt ähnlich wie Lüttmer-Ouazane, auch für ihn ist Landwirtschaft vor allem angewandte Chemie. Die richtige Substanz zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Menge garantiert das erwünschte Schwein, das ist seine Gleichung. Dennerlein hat nicht viel übrig für Romantiker wie Grolm und auch nicht für Konsumenten, die Massentierhaltung beklagen, aber nicht bereit sind, mehr als 1,99 Euro für ein Schweineschnitzel zu zahlen.

»Nachhaltigkeit«, sagt Dennerlein, »das ist, wenn ein Betrieb schwarze Zahlen schreibt.« Und schwarze Zahlen seien nur möglich bei strikter Kostenkontrolle und möglichst gutem, möglichst gleichem Ausgangsmaterial. Aus diesem Grund kauft er seine Ferkel nicht regional, sondern in den Niederlanden, von einem Großbetrieb. Sie kommen im Laster, 620 Ferkel pro Lieferung. Gemästet werden sie mit Dennerleins eigenem Mais.

MON 810 hat Dennerlein zum ersten Mal im vergangenen Jahr angebaut, wegen eines Schmetterlings. Wie viele Bauern in der Region Kitzingen führt Dennerlein einen Privatkrieg gegen den Maiszünsler. 2006 kam der Falter in zwei Wellen über den Mais, legte seine Eier ab, die Larve fraß sich in die Pflanzen und vernichtete rund 40 Prozent der Ernte, trotz Pestizideinsatzes. 2007 war ein besseres Jahr, aber auch nicht gut, und so säte Dennerlein 2008 MON 810.

Wie es das Gesetz verlangt, ließ Dennerlein den geplanten Anbau im Standortregister des Bundesamtes für Verbraucherschutz eintragen, es ist öffentlich einsehbar, auch über das Internet, und kurze Zeit später stand Michael Grolm auf dem Hof, in seiner Imkertracht.

Grolm grüßte freundlich, stellte sich vor und teilte Dennerlein mit, dass er in Kürze Besuch bekommen würde. Von »Gendreck weg«. Man wolle seine Felder befreien. Es sei nichts Persönliches. Niemand werde zu Schaden kommen.

Dennerlein war der Meinung, dass er sehr wohl zu Schaden kommen werde, wirtschaftlich gesehen, »aber was soll man gegen diese Leute machen«, sagt er und zuckt mit den Schultern, er könne seinen Hof ja schlecht in einen Hochsicherheitstrakt verwandeln.

Die Feldbefreier kamen nachts. Dennerlein sagt, sie hätten die falschen, nicht genveränderten Pflanzen aus der Erde gerissen. Seinen Genmais habe er im Oktober geerntet: »Zehn Tonnen pro Hektar. Makellos«. Dennerlein weiß auch, wie viel Geld er durch den Einsatz von MON 810 spart. Es ist eine wichtige Zahl, vielleicht die wichtigste überhaupt für ihn. Sie steht am Ende der Bilanz, sie beschreibt den unmittelbaren Nutzen, den MON 810 bietet, vielleicht den einzigen Nutzen überhaupt, und die Zahl, sie sollte passen zum Ausmaß, zur Intensität des Konflikts. Sie sollte beeindrucken.

Die Zahl lautet 43. Dennerlein spart 43 Euro je Hektar. Weil er weniger Pestizide spritzen muss, weil MON 810 zuverlässiger tötet als das Pestizid. Dennerlein nennt das eine spürbare Ersparnis. 43 Euro. Für Dennerlein mag das viel sein. Ein gutes Argument für grüne Gentechnik ist es allerdings nicht.

Dennerlein ist ein hartnäckiger Mann. Von ein paar Öko-Aktivisten will er sich nicht vorschreiben lassen, was er auf seinem Land anbauen darf und was nicht. Deshalb will er in diesem Jahr wieder MON 810 aussäen, aber es ist sehr fraglich, ob es dazu kommen wird. Es ist durchaus möglich, dass Dennerlein nichts anbaut und Lüttmer-Ouazane »Keinen einzigen Hektar bepflanzt mit MON 810« in die US-Firmenzentrale melden kann, denn der Landwirt und die Managerin haben seit ein paar Tagen eine neue Gegnerin.

Ilse Aigner, die Bundeslandwirtschaftsministerin, hat jetzt gesagt, dass sie den Monsanto-Mais verbieten lassen will. Die grüne Gentechnik bringe den Menschen hier im Lande keinen erkennbaren Nutzen, die Verbraucher lehnten genveränderte Pflanzen ab, die Landwirte wollen sie nicht. So äußerte sich Aigner in der »Berliner Zeitung«.

In ihrem Ministerium lässt Aigner zurzeit prüfen, ob MON 810 die Zulassung entzogen werden kann, weil der MON 810 nicht nur den Maiszünsler dezimiert, sondern möglicherweise auch andere Schmetterlinge.

Vorausgesetzt, dass Aigner sich gegen Forschungsministerin Annette Schavan durchsetzen kann, könnte das Ergebnis der Prüfung so aussehen: Monsanto werden Auflagen erteilt, dem Mais wird die Zulassung entzogen, befristet, vor der Aussaat, und erst nach der Europawahl im Juni erneuert. Das wäre gut für Aigners Partei, die CSU. Sie hätte einen Erfolg vorzuweisen, der ihr im Wahlkampf helfen würde.

Dennerlein, der Schweinemäster, der MON-810-Fan, nimmt solche Meldungen erst mal nicht ernst. Er hält nicht viel von Politikern. Er sagt: »Die leiden unter ständigem Profilierungsnotstand, was soll man machen.«

Bablok, der Imker, hofft das Beste für sich, seine Bienen, seinen Prozess.

Michael Grolm, der Feldbefreier, sagt, er werde der Ministerin erst glauben, wenn sie das Verbot ausgesprochen hat.

Und Monsanto? Sagt, dass man nun erst mal ein Gespräch führen wolle.

Der Kampf geht weiter.

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