Wieso die Reise zu den Eltern meiner Freunde der beste Selbstfindungstrip war
Dieser Beitrag wurde am 01.10.2017 auf bento.de veröffentlicht.
Idar-Oberstein, Tübingen, Kassel, Recklinghausen, Bonn, Return. Was nach der Revivaltour eines 80er-Jahre-Schlagerstars klingt, der im Hinterzimmer von Gaststätten auftritt, war der beste Selbstfindungstrip.
Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für Lina, Luisa, Leonie und Felicitas, meine vier besten Freundinnen.
Eltern und Freunde sind große Teile unserer Identität – trotzdem treffen diese Welten nicht unbedingt aufeinander.
Wer meine vier Freundinnen kennt, kennt auch mich. Wer meine Eltern getroffen hat, sieht meine Parallelen zu ihnen. Was passiert, wenn diese Universen aufeinander treffen?
Der Plan: Wir besuchen unsere Eltern. Fünf Frauen, fünf Städte, quer durch Deutschland mit dem Auto. Schlafen im alten Kinderzimmer, die Hotspots der Jugend zeigen, essen bei Mutti Nummer 1 bis 5.
Unser Plan erschien uns mit Studi-Budget und nach neuen Impulsen lechzend als genial. Wir hatten sogar einen Hashtag auf Instagram: #dasteamaufdeutschlandtour. Auch eine kleine Ode an BonezMC und RAF Camorra, weil er romantischerweise "unser Lied“ singt.
Aber, trotz allem Liebesgesäusel: Kann das gut gehen?
Wir sind die Sprösslinge unterschiedlicher Erziehungsstile, haben unterschiedliche Charakterzüge und komische Gewohnheiten.
Drei trinken Wasser mit Kohlensäure, Leonie nur aus dem Wasserhahn. Das Brötchen schneidet Lina in drei Schichten und nur mit dem Brotmesser auf. Mein Weckton, ein sanftes Bachgluckern, hat die anderen morgens schier in den Wahnsinn getrieben, während ich nur so gut in den Tag starte.
Kann eine Freundschaft ohne Kollateralschaden aus so einem Urlaub wiederkehren?
Ich hatte meine Bedenken – und sollte mich damit schwer irren. Ich lernte, was Heimatgefühle sind, was Freundschaften vertieft oder entzweit, wie prägend Eltern sind und sah on top vier neue Ecken Deutschlands mit persönlichem Touriführer.
Darf ich vorstellen? Das sind die Mädels:
Während des Trips kristallisierte sich ein Leitfaden heraus, den wir alle in unseren Heimatstädten befolgten:
- Die heimatliche Regierung alias unsere Eltern kennenlernen
- eine Schule besuchen
- eine Sehenswürdigkeit des Ortes anschauen
- einen Ort, mit dem derjenige eine persönliche Erinnerung verbindet.
Mein Zuhause war zuerst dran, weil wir dort das Auto abholten. Normalerweise regt sich beim Gedanken an meine Heimat keine Gefühlszuckung bei mir. Ich bin mit zehn dort hingezogen, weil meine Eltern ein Haus gebaut hatten und ich eben mit musste.
Ich war vorab ein wenig nervös. Ich bin damit aufgewachsen, dass ab 18:30 kein Brot mehr in der Küche geschmiert wurde, weil meine Mutter die Anrichte klinisch rein geschrubbt hatte. Wir haben nur weißes Geschirr, weil meine Eltern Prints auf Tassen verabscheuen. Und das Verrückteste ist – ich bin ein bisschen genauso. Weiße Tassen light, sozusagen.
Als wir ankamen, sah ich staunende Blicke bei den anderen – sie fanden das Haus toll, wollten unbedingt mit meinem Vater auf die Jagd und behielten in der einzigen Fußgängerzone mit drei Läden die Augen immer neugierig offen.
Die Mädels waren interessierter an meiner Herkunft, als ich selbst.
Mein Vater fragt seit Jahren, ob ich mit auf den Hochsitz komme – das Warten auf Wildschweine hat mich aber nie interessiert. Dank meiner Freundinnen habe ich mich das erste Mal überreden lassen, mitzugehen und fand es spannender, als ich dachte.
An meinem alten Gymnasium zeigte ich, wo mein Platz auf dem Pausenhof war, wo in der Stadt meine Ohrlöcher gestochen wurden und in welcher Cafeteria meine Koffeinsucht begann – und war das erste Mal stolz auf meine Wurzeln. So klein und gewohnt mir alles erschien, so besonders fühlte ich mich, als meine Freundinnen mit wachem Blick und Freude durch meinen Heimatort liefen.
Jede von uns war der Star ihrer Heimat und wir die Fans: Es scheint albern, aber als mir vier Frauen durchs Haus folgten, fühlte ich mich wie bei MTV Cribs, nur dass mir die Zuschauer am Herzen lagen.
Sie wollten alles über mich wissen und ich alles über sie.
Plötzlich war unser Ursprung so besonders, wie wir ihn vorher nie empfunden haben. Das war der Verdienst von uns allen.
Die Eltern der Freunde kennen zu lernen, erklärt so vieles: Sie kennen es von zu Hause genau so. Lina braucht ihr Brotmesser, Leonie mag keine Kohlensäure, Luisa sprüht vorm Schlafen Rosmarinspray auf ihr Kissen, ich benutze immer eine Unter- zur Kaffeetasse. Das alles entspringt unseren Elternhäusern und macht uns zu den Frauen, die wir sind.
Genauso fallen wir im Elternhaus in die Kinderrolle: Lina hasst Konflikte, beim Kochen mit ihrer Mutter wird sie aber fast aufmüpfig, weil sie keine Kokosmilch im Curry haben möchte. Leonies unbedarfte Ader verschwindet zu Hause und weicht der verantwortungsbewussten Tochter, die die Spülmaschine freiwillig einräumt. Ich halte alle dazu an, bloß keinen Müll im Auto liegen zu lassen, weil ich für Kaugummipapiere und leere Dosen auf dem Rücksitz Ärger bekommen habe.
Auf den Fahrten von einem Kinderzimmer zum nächsten versinken wir in tiefsinnigen Gesprächen: Wer würde welches Organ spenden, wer wählt welche Partei, wie stellen die Singles sich den nächsten Freund vor, wann kann Luisa sich vorstellen, Florian zu heiraten.
Und zwischendrin immer wieder der Abgleich: Wie stellen wir uns die Eltern vor, wie viel haben wir im Nachhinein doch von Mama und Papa?
Dazu musste ich nicht mal in den Flieger steigen. Die Deutschlandtour hat unsere Clique fester zusammengeschweißt, entgegen meiner Erwartungen ist der Kollateralschaden ausgeblieben.
Wir sind gewachsen und haben Freunden noch nie so viel preisgegeben, wie auf diesem Trip. Es ist paradox, aber wahr: Nie war ich mir selbst näher, als in der Zeit mit den Mädels, denn mein früheres und neues Ich haben zusammengefunden.