Bahnunglück in Bayern Ermittlungen konzentrieren sich auf Gleise und Fahrzeuge

Eine Woche nach dem Bahnunglück mit fünf Toten suchen Ermittler weiter nach den Ursachen. Ein falsches Handeln der Verantwortlichen während der Zugfahrt gilt Experten zufolge als eher unwahrscheinlich.
Von Jan Friedmann, München
Gelagerte und aufgeschnittene Waggons bei Garmisch: Fünf Menschen starben, Dutzende wurden verletzt

Gelagerte und aufgeschnittene Waggons bei Garmisch: Fünf Menschen starben, Dutzende wurden verletzt

Foto: Tobias Hase / dpa

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Genau eine Woche ist es her, dass in einer Kurve nördlich von Garmisch drei Waggons bei voller Fahrt aus dem Bahngleis kippten – in dem Haufen aus verbogenem Stahl und zerschmetterten Fenstern starben fünf Menschen, rund 40 wurden verletzt.

Die Zahl der Opfer hätte noch höher sein können, wäre der Regionalzug mit der Nummer 59458 voll besetzt gewesen. Doch zum Zeitpunkt des Entgleisens am vergangenen Freitag gegen 12.15 Uhr verteilten sich nur 140 Menschen auf mehrere Doppelstockwagen. Eher wenige Passagiere dafür, dass es der letzte Schultag in Bayern war und das 9-Euro-Angebot der Deutschen Bahn Reisewillige lockte.

Noch ist die Unfallursache unklar. Die Ermittlungen gestalten sich komplex, die Sonderkommission »Zug« befragt nach wie vor Zeugen und untersucht die Unfallstelle bei Streckenkilometer 97,5 auf Höhe des Örtchens Burgrain zwischen Garmisch und Farchant.

Die zuständige Staatsanwaltschaft München II ermittelt gegen drei Bahn-Mitarbeiter wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Es handelt sich dabei wohl um den Lokführer, den Fahrdienstleiter und einen Streckenverantwortlichen von DB Netze, ohne dass die Staatsanwaltschaft diese Zuordnungen bestätigt.

Dass gegen die drei Mitarbeiter ermittelt wird, heißt nicht unbedingt, dass es konkrete Hinweise auf Fehler dieser Personen gibt. Denn die formale Zuständigkeit der Mitarbeiter deckt eine sehr breite Palette von denkbaren Unfallursachen ab. Ob die drei oder einer von ihnen überhaupt einen individuellen Anteil daran hatten, ist unklar.

Keine Indizien für unmittelbare Fehlhandlungen der Beteiligten

Im Fokus stünden keine »betriebliche Handlungsweisen«, präzisiert Moritz Metzler, der Sprecher der Untersuchungsstelle für Eisenbahnunfälle. »Es sprechen keine Indizien dafür, dass hier irgendwelche Fehlhandlungen getätigt worden sind.« Bis zu vier Experten der Bonner Behörde inspizierten in dieser Woche den Unfallort und den verunglückten Regionalzug. Sie sind inzwischen zurückgekehrt und werten ihre Messungen aus, dazu Informationen, die die Deutsche Bahn geliefert hat. Die Untersuchungen laufen unabhängig von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Für die Ursache heißt dies: Im Unterschied zu anderen Bahnunfällen geht es beim Garmischer Unglück wohl nicht darum, dass jemand ein Signal überfahren hätte oder ein Streckenabschnitt fälschlicherweise freigegeben worden wäre. Die Polizei hat angegeben, dass die zulässige Geschwindigkeit wohl nicht überschritten wurde. Die Box für die elektronische Fahrtenregistrierung auszuwerten, gehört ebenfalls zu den Untersuchungen.

Bei den Ermittlungen der Untersuchungsstelle stehen »Infrastruktur« und »Fahrzeuge« im Blick, erklärt Sprecher Metzler. Das heißt zum Beispiel: Gleisstrang und Gleisbett, der Untergrund des Bahndamms, die schiebende E-Lok, der Steuerwagen und die Waggons dazwischen. »Es geht auch darum, Instandhaltungsunterlagen zu sichten«, so Metzler. Der Unfallexperte will mögliche Gründe nicht weiter eingrenzen und verweist darauf, dass bei Unfällen häufig mehrere Faktoren zusammenwirkten.

Die Bahn schweigt

Die Deutsche Bahn erklärt auf Anfrage: »Wir bitten um Verständnis, dass wir uns aufgrund der laufenden Ermittlungen hierzu derzeit nicht äußern können. Selbstverständlich setzen wir alles daran, die ermittelnden Behörden bei der Aufklärung der Unfallursache zu unterstützen.«

So können Experten und Bahner nur mutmaßen, zum Beispiel in einschlägigen Foren im Internet. Eine Gleisverwerfung könnte eine Rolle gespielt haben. Oder die Abnutzung in der Linkskurve, in der der Regionalzug entgleiste. In den Kurven wirken andere Kräfte auf den Schienenstrang als auf gerader Strecke. Auffällig ist, dass ausgerechnet ein Doppelstockzug verunglückte, während sonst zwischen Garmisch und München hauptsächlich einstöckige Züge verkehren. Ein solches Gespann ist schwerer und womöglich anfälliger.

Die Werdenfelsbahn genannte Strecke ist, wie andere Strecken in Bayern auch, als Verbindung in Richtung Süden stark befahren. Sie ist eingleisig ausgebaut, technisch aber auf einem relativ modernen Stand, mit Betonschwellen und Spannbügeln. Eine im Internet zugängliche Übersicht der Deutschen Bahn weist anstehende Gleislageberichtigungen aus, aber für einen Streckenabschnitt weiter nördlich. Ob andere geplante Schienenerneuerungen im Zusammenhang mit dem Unglück stehen, ist unklar. Laut einer Auflistung der Bahn war für die Unfallstelle keine Temporeduzierung vorgesehen.

So werden auch am Tag der offiziellen Trauer noch viele Fragen offen bleiben. Für Samstagnachmittag haben die Kirchen zu einem ökumenischen Gottesdienst in Partenkirchen aufgerufen, Ministerpräsident Markus Söder hat in ganz Bayern Trauerbeflaggung angeordnet. Die Strecke ist noch nicht freigegeben, erst danach können die Reparaturen am Schienenstrang und an der Oberleitung beginnen.

Die Bonner Untersuchungsstelle muss erst in einem Jahr ihren Bericht vorlegen, der auch Empfehlungen zur Verbesserung der Bahnsicherheit als Konsequenz aus dem Unglück enthalten wird. Sollte bis dahin das Unfallszenario immer noch nicht geklärt sein, gibt es immerhin einen Zwischenbericht.

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