Gebirgsdrama Toter Bruder von Reinhold Messner am Nanga Parbat gefunden
Islamabad - Es ist Freitag, der 26. Juni 1970, als die Brüder Reinhold und Günther Messner und der Kameramann Gerhard Baur 7000 Meter hoch in der so genannten Rupalwand des Nanga Parbat im Himalaja stecken. Diese höchste Eiswand der Erde hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand bezwungen. Um 20 Uhr abends sehen die drei tief unter sich eine rote Leuchtrakete aufsteigen - das mit dem Basislager verabredete Signal für schlechtes Wetter. Der geplante Aufstieg zum Gipfel ist damit eigentlich abgesagt.
Für Reinhold Messner bedeutet das Signal jedoch, dass er es trotzdem allein versuchen darf. So hat er es mit dem Leiter der Expedition Karl Maria Herrligkoffer vereinbart. Messner gilt als bester Kletterer unter den 18 deutschsprachigen Alpinisten dieser Expedition, und er ist zweifellos der ambitionierteste. In den Alpen hat er schon die waghalsigsten Touren in Rekordzeiten gemeistert, aber einen Achttausender auf einer neuen Route im Alleingang zu bewältigen - das sieht er als seine große Chance.
In der Nacht macht sich Messner auf den Weg. Zügig klettert er nach oben, nach ein paar Stunden bemerkt er, dass ihm jemand gefolgt ist: sein Bruder Günther, zwei Jahre jünger, genauso ehrgeizig und ambitioniert, ist ihm auf eigene Faust, auf eigenes Risiko, ohne Absprache mit der Expeditionsleitung nachgestiegen.
Erst Tage später trifft Reinhold Messner die anderen dann wieder. Da hat er nicht nur den Nanga Parbat bezwungen, sondern auch noch den Abstieg über die Diamirflanke gewagt, eine weitere Erstbegehung, und das innerhalb von zwei Tagen. Ein weiterer Weltrekord.
Doch Messner musste in jenem Juni 1970 einen hohen Preis zahlen: Beim Abstieg kam sein Bruder Günther ums Leben. Begraben unter einer Eislawine liege er irgendwo dort oben, hatte Messner immer geglaubt. Wie genau es dazu gekommen war, konnte nie geklärt werden. Messner selbst hatte stets beteuert, er habe seinen Sinnen wegen des Sauerstoffmangels nicht trauen können, habe aber lange Zeit während des Abstiegs seinen Bruder hinter sich geglaubt. Er habe ihn aber nicht allein gelassen, sondern sei mit ihm zusammen abgestiegen. Wegen des schlechten Gesundheitszustandes seines Bruders sei er zwischenzeitlich voraus gegangen, um den besten Weg zu finden.
Vor zwei Jahren war zwischen Messner und ehemaligen Bergkameraden ein heftiger Streit um den Tod des Bruders entbrannt, der in mehreren Gerichtsverfahren mündete. Messner hatte die Kameraden beschuldigt, sie hätten seinen Bruder und ihn nicht gesucht, als die beiden nicht vom Gipfel des 8126 Meter hohen Berges zurückkamen. Die Kameraden warfen Messner ihrerseits vor, er habe den Nanga Parbat vermutlich aus Ehrgeiz überschreiten wollen und Günther allein auf der Aufstiegsroute in Richtung Lager zurückgeschickt.
Dreieinhalb Jahrzehnte nach der verhängnisvollen Expedition hat der Berg nun den Leichnam seines Opfers freigegeben: Bergsteiger entdeckten den gefrorenen Körper Günther Messners. Nach Angaben von Messners Sprecher fand der Bergführer die Leiche von Günther Messner nahe des Diamar-Basislagers in 4600 Meter Höhe. Offenbar sei der Körper des toten Bergsteigers vor etwa zwei Jahren mit den schmelzenden Schneemassen zum Basiscamp hinunter getragen worden. Davor hätte die Leiche 33 Jahre in 7000 Metern Höhe gelegen. Der Schnee war nach diesen Angaben durch eine Hitzwelle bis in große Höhen geschmolzen.
Ex-Kameraden zweifeln weiter an Messners Version
Die ehemaligen Kameraden sehen auch nach den neuen Informationen noch keinen Beweis für Messners Version. Es sei nicht belegt, dass beide zusammen abgestiegen seien. Außerdem müsse die Identität des Leichnams eindeutig und objektiv festgestellt werden, sagte der ehemalige Bergkamerad Max von Kienlin. Ähnlich äußerte sich auch Albert Völkmann, Münchner Verleger von Messner Ex-Kameraden Hans Saler. "Ganz abgesehen davon, dass die Informationen zu dem Fund des Leichnams noch sehr vage sind, wäre damit lediglich bewiesen, dass Günther Messner irgendwo auf der Diamirseite umkam. Es ist nach wie vor unklar, wo und vor allem wie er verunglückte. Er könnte theoretisch auch nach einer Trennung der Brüder auf dem Rückweg zur Rupalseite im oberen Wandbereich noch auf der Diamirseite abgestürzt sein."
Bereits im Januar 2004 hatte Reinhold Messner das Wadenbein der Gletscherleiche als Beweis dafür vorgelegt, dass er Günther damals nicht im Stich gelassen hatte. Der auf seiner Abstiegsroute in etwa 4300 Metern Höhe gefundene Knochen sei nach Gen-Tests der Universität Innsbruck mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Bruder zuzuordnen. Dies beweise, dass Günther mit ihm zusammen abgestiegen sei und er ihn nicht über einen anderen Weg ins Lager zurückgeschickt habe.
Ein Zweifel an der Identität des jetzt gefundenen Toten besteht für Messner nicht: Er habe die Schuhe und das Jackett seines damals 23 Jahre alten Bruders wieder erkannt, sagte Messner nach Angaben seines Sprechers in Islamabad. Ob der Leichnam Hinweise auf die Todesumstände von damals geben kann, ist aber noch unklar. Bislang wurden nur einige Knochen und Kleidungsstücke gefunden, der Schädel der Leiche fehlt.