Ermittler zum Germanwings-Absturz Gelenkte Katastrophe
Hamburg - Die Reiseflughöhe war gerade erreicht, als der Kapitän das Kommando an seinen Co-Piloten übergab und das Cockpit verließ. Germanwings-Flug 9525 flog auf der vorgesehenen Route von Barcelona nach Düsseldorf, alles lief bis zu diesem Zeitpunkt nach Plan.
Dann jedoch setzte der Co-Pilot jene verhängnisvollen Abläufe in Gang, die zum Absturz des Airbus A320 führten und zum Tod aller 150 Menschen an Bord. So sieht es zumindest die französische Staatsanwaltschaft nach derzeitigem Ermittlungsstand.
Der 27-Jährige aus dem rheinland-pfälzischen Montabaur, das legt die Auswertung des Stimmrekorders nahe, hat den Absturz offenbar absichtlich herbeigeführt (mehr zu den Ermittlungen lesen Sie hier). Ein Szenario, das deutsche Experten für plausibel halten, wie Verkehrsminister Dobrindt mitteilte. Und ein Szenario, das man sich in den "schlimmsten Alpträumen" nicht habe vorstellen können, wie Carsten Spohr sagte, Chef des Germanwings-Mutterkonzerns Lufthansa.
Laut Staatsanwaltschaft geschah in den entscheidenden Minuten an Bord folgendes: Gegen 10:31 Uhr leitete der Co-Pilot bewusst den Sinkflug ein. Als der Kapitän wieder ins Cockpit wollte, ließ er ihn nicht hinein. Als der Tower versuchte, Kontakt zur Maschine zu bekommen, antwortete er nicht. Als der Kapitän gegen die Tür hämmerte und Alarmsignale vor einem drohenden Absturz warnten, reagierte er nicht.

Blick ins Airbus-Cockpit
Foto: [M] DPA, Airbus, SPIEGEL ONLINENur regelmäßige Atemgeräusche seien aus dem Cockpit zu hören gewesen, sagte der ermittelnde Staatsanwalt Brice Robin. Das deute darauf hin, dass der Co-Pilot bis zum Aufprall am Leben war. Die Maschine zerschellte etwa zehn Minuten nach Einleiten des Sinkfluges in schwer zugänglichem Gelände in den französischen Alpen. In den letzten Sekunden der Stimmrekorder-Aufnahme waren Schreie der Passagiere zu hören.
"Stehen vor einem riesigen Rätsel"
Zu den möglichen Motiven wollte sich von offizieller Seite niemand äußern. Nur so viel: Nichts deute bisher auf einen terroristischen Hintergrund hin, teilte Innenminister de Maizière mit.
"Wir stehen vor einem riesigen Rätsel", sagte Lufthansa-Chef Spohr. Auf einer Pressekonferenz gab er Details zur Laufbahn des Co-Piloten bekannt: Dieser habe 2008 seine Ausbildung begonnen, nach einer mehrmonatigen Unterbrechung wieder aufgenommen und erfolgreich abgeschlossen. Gründe für die Pause in der Ausbildung nannte Spohr nicht. Nach elf Monaten Wartezeit als Flugbegleiter sei der Co-Pilot seit 2013 als Co-Pilot auf A320-Maschinen im Dienst gewesen.
Im Video: Konzernchef Carsten Spohr über den Co-Piloten.
Der 27-Jährige habe alle Tests bestanden. "Er war 100 Prozent flugtauglich. Ohne jede Auffälligkeit", sagte Spohr. Nach Ende der Ausbildung gebe es jährliche Checks, aber keine psychologischen Tests mehr. "Wir haben keinerlei Erkenntnisse, was den Co-Piloten zu dieser schrecklichen Handlung veranlasst haben könnte."
Staatsanwaltschaft und Polizei durchsuchten die Wohnung des Co-Piloten in Düsseldorf, wo dieser wohl schon einige Zeit lebte (Was wir bisher zum Co-Piloten wissen, lesen Sie hier). Auch das Haus der Eltern wurde offenbar durchsucht.
"Die besten Piloten der Welt"
Spohr nahm den Flugkapitän in Schutz. Es gebe bei Lufthansa und Germanwings keine Regel, dass immer mindestens zwei Personen im Cockpit sein müssten. Das sei nur bei wenigen Airlines weltweit der Fall. Der Pilot habe vorbildlich gehandelt - er habe das Cockpit verlassen, als die Maschine die Reiseflughöhe erreicht habe und die Arbeitsbelastung am geringsten gewesen sei. Genauso würden die Piloten geschult.
Der Lufthansa-Chef sprach von einem tragischen Einzelfall. Man habe weiter festes Vertrauen in die Piloten. "Sie sind und bleiben die besten der Welt." Das Cockpit-Personal werde sehr sorgfältig ausgewählt. Man untersuche nicht nur kognitive und technische Fähigkeiten, sondern gebe auch psychologischen Fragen in der Ausbildung viel Raum.

Germanwings-Absturz: Eindrücke vom Ort der Katastrophe
Er könne verstehen, dass nun Fragen über Suizid gestellt würden, sagte der französische Staatsanwalt Robin. Aber dazu könne er noch nichts sagen. Lufthansa-Chef Spohr fasste seinen Eindruck so zusammen: "Wenn ein Mensch 149 andere Menschen mit in den Tod nimmt, ist das für mich ein anderes Wort als Selbstmord."
"Es ist noch viel, viel schlimmer, als wir gedacht haben"
Bodo Klimpel, Bürgermeister von Haltern am See, rang angesichts der neuen Entwicklungen um Fassung. Er sei "wütend, sprachlos und zutiefst geschockt", sagte er. "Ich frage mich, wann der Alptraum, in dem wir uns befinden, endlich aufhört." 16 Schüler und zwei Lehrerinnen eines Halterner Gymnasiums saßen in dem Flugzeug. Schulleiter Ulrich Wessel sagte: "Es ist noch viel, viel schlimmer, als wir gedacht haben. Es macht uns wütend, ratlos und fassungslos."
Angehörige der Verstorbenen trafen mit sieben Bussen in der kleinen Ortschaft Le Vernet ein. Dort gedachten sie der Toten - an einem Platz mit direktem Blick auf den Tête de l'Estrop. Hinter diesem Berg war am Dienstagvormittag die Maschine zerschellt.
Die Bergung der Leichen könnte nach Angaben der Gendarmerie noch rund zwei Wochen dauern. Mehr als 30 DNA-Spezialisten und Rechtsmediziner arbeiten an der Identifizierung der bislang geborgenen sterblichen Überreste. Unter den Opfern sind laut Auswärtigem Amt 75 Deutsche - drei mehr als zunächst angenommen.