Sicherheit in der Luftfahrt Warum der Co-Pilot allein im Cockpit war

Helikopter nahe der Absturzstelle: 150 Menschen starben bei Germanwings-Absturz
Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/ AFPDer Co-Pilot von Germanwings-Flug 9525 war allein im Cockpit und brachte die Maschine offenbar vorsätzlich zum Absturz. Die Rekonstruktion der Ereignisse durch die französische Staatsanwaltschaft macht fassungslos. Demnach verließ der Flugkapitän das Cockpit, als die Reiseflughöhe erreicht war, mutmaßlich um die Toilette zu benutzen. Als der 27-jährige Co-Pilot allein war, leitete er laut Ermittlern den Sinkflug ein und blieb fortan stumm.
Der Flugkapitän bittet um Einlass, klopft, hämmert gegen die Tür. Doch er erhält keine Antwort und keinen Einlass. Vom Co-Piloten sind auf dem Stimmrekorder bis zum Aufprall der Maschine in den französischen Alpen nur noch Atemgeräusche zu vernehmen.
Mutmaßlich wartete der Co-Pilot, bis der Flugkapitän das Cockpit verließ. Viele fragen nun: Hätte die Situation verhindert werden können? Darf ein Flugkapitän während des Fluges seinen Co-Piloten allein im Cockpit lassen?
Ja, sagt Carsten Spohr, Chef des Germanwings-Mutterkonzerns Lufthansa. Der Kapitän habe vorbildlich gehandelt und das Cockpit erst dann verlassen, als die Arbeitsbelastung am geringsten war. "Das ist Normalität", sagt auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt.
Nach dem Regelwerk der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) reicht es, wenn ein qualifizierter Pilot im Cockpit bleibt. "Die EASA hat nicht angeordnet, dass ein anderes Crew-Mitglied den Platz des Piloten einnehmen muss, falls dieser das Cockpit verlässt, um auf Toilette zu gehen", sagt Ilias Maragakis, Sprecher der Behörde in Köln. (Hier finden Sie die entsprechende Verordnung EG 965/2012. )
Die Flugsicherheitsbehörde der EU für zivile Luftfahrt legt die rechtliche Linie für alle Mitgliedstaaten fest, auch für Deutschland. Die EU-Länder können zwar Vorschläge machen, anpassen muss das Regelwerk aber die EASA.

Germanwings-Absturz: Eindrücke vom Ort der Katastrophe
Europäischen Fluglinien bleibt es selbst überlassen, ob sie strengere Maßnahmen treffen. Laut Lufthansa-Chef Spohr gibt es weder bei der Lufthansa noch bei Germanwings eine Regel, dass sich immer mindestens zwei Personen im Cockpit befinden müssten. Er sehe auch keinen Grund dafür, dies zu ändern.
In der EU sind die finnische Finnair und die irische Ryanair dafür bekannt, sich an das Zwei-Mann-Prinzip im Cockpit zu halten. "In dem Fall, dass einer der Piloten die Toilette aufsuchen muss, ist der Vorgesetzte des Kabinenpersonals dazu verpflichtet, während dieser Zeit im Cockpit zu sein", sagt Sprecher Robin Kiely.
In den USA sei es nach den Anschlägen vom 11. September üblich, Piloten nicht allein im Cockpit zu lassen, sagte der Luftfahrt-Experte Glen Winn der "Los Angeles Times" . Es sei Standard, dass ein Flugbegleiter beim Piloten bleibe.
Mancher Luftfahrtexperte hält diese Lösung für wenig hilfreich. Einen gezielt herbeigeführten Absturz, wie er mutmaßlich bei Germanwings geschah, könne auch kein anderes Crewmitglied verhindern. Stattdessen lasse man jemand Fachfremdes ins Cockpit, so die Kritik.
Videointerview: So funktioniert die Cockpit-Verriegelung
Deutsche Airlines ziehen Konsequenzen
Damit Piloten, die allein im Cockpit sind, überprüfen können, wer um Einlass bittet, müssen laut EU-Verordnung "Mittel für die Überwachung des Türbereichs" an beiden Plätzen im Cockpit vorhanden sein.
Dies sei in Deutschland erfüllt, sagt ein Sprecher des Luftfahrt-Bundesamts. "Meist werden Kameras eingesetzt, damit man sicherstellen kann, wer vor der Tür steht." Zumindest in der Hinsicht wäre ein zweiter Mann im Cockpit nicht nötig für die Identifizierung.
Offiziell gab es im Luftfahrt-Bundesamt bisher keine Pläne, an dieser Regelung etwas zu ändern. Doch noch am Donnerstagabend erklärte der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), die größten deutschen Fluggesellschaften wollten die Zwei-Personen-Regel im Cockpit einführen. Künftig soll sich kein Pilot während des Fluges mehr allein im Cockpit aufhalten dürfen, sagte BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow.
Die Regelung betreffe etwa den Lufthansa-Konzern, Air Berlin, Condor und TuiFly. Darauf habe sich der Verband mit den Mitglieds-Airlines nach den jüngsten Erkenntnissen zum Absturz in Südfrankreich verständigt.

Blick ins Airbus-Cockpit
Foto: [M] DPA, Airbus, SPIEGEL ONLINECockpit-Regel bei Fluggesellschaften
Region | |
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Europa | Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (Easa) empfiehlt die Einführung der Zwei-Personen-Regel. |
Deutschland | Alle Fluglinien haben sich auf die Einführung der Zwei-Personen-Regel ab sofort verständigt |
Österreich | Regierung führt Zwei-Personen-Regelung ab sofort ein |
Regel angekündigt/jetzt eingeführt außerdem bei | EasyJet, Norwegian Air Shuttle, Icelandair, Virgin Atlantic, Monarch, Thomas Cook Airlines (GB), Air Baltic, SAS, Air France, KLM |
Regel bestand vor Absturz bei | Jet2, Flybe, Ryanair, Czech Airlines, Travel Service, Finnair |
USA | Zwei-Personen-Regel ist in den Richtlinien der Flugsicherheitsbehörde FAA vorgeschrieben |
Kanada | Zwei-Personen-Regel war nicht vorgeschrieben, ist jetzt eingeführt |
Regel bestand vor Absturz bei | Air Transat |
Asien | |
Regel angekündigt/jetzt eingeführt bei | Emirates, Etihad |
Regel bestand vor Absturz bei | indischen Fluglinien (Regel vorgeschrieben), Singapore Airlines |
Ozeanien | |
Regel angekündigt/jetzt eingeführt | Neuseeland, Australien |
Vorher hatten schon Lufthansa-Partner Air Canada sowie die Billigflieger easyJet und Norwegian Air Shuttle angekündigt, Konsequenzen aus dem Unglück zu ziehen. Man habe schon länger darüber nachgedacht, die Zwei-Personen-Regel zur Pflicht zu machen, sagte Norwegian-Sprecherin Charlotte Holmbergh Jacobsson. Das grausige Unglück sei nun Anlass, dies zu beschleunigen.