Germanwings-Unglück Das Puzzle fügt sich zusammen

Die Blackbox von Germanwings-Flug 9525: Neue Daten untermauern Theorie der Ermittler
Foto: DPA / Bureau d'Enquetes et d'AnalysesMit dem Fund des zweiten Flugschreibers erhärten die Ermittler ihre Theorien zum Absturz von Germanwings-Flug 9525. Immer klarer zeichnen sie die Abläufe des 24. März, vervollständigen das Bild des jungen Mannes, der alleine im Cockpit saß, als der Airbus A320 mit 150 Menschen an Bord gegen die Felswand in den französischen Alpen raste. Die bisherigen Erkenntnisse im Überblick.
- Absturz über den Alpen
Nach jetzigem Ermittlungsstand startet Germanwings-Flug 9525 am 24. März um 10 Uhr in Barcelona mit dem Ziel Düsseldorf. Eine halbe Stunde später, um 10.30 Uhr, hat die Maschine zum letzten Mal Funkkontakt mit der französischen Flugsicherung. Der Airbus befindet sich zu der Zeit etwa in 11.500 Meter Höhe und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 880 Kilometern in der Stunde. Zu diesem Zeitpunkt verlässt der Flugkapitän das Cockpit, wohl um auf Toilette zu gehen.
Als der Flugkapitän kurz darauf wieder in die Kanzel will, bleibt die Cockpittür verschlossen. Auf den Aufnahmen des bereits am Unglückstag gefundenen Stimmenrekorders ist der regelmäßige Atem von Co-Pilot Andreas Lubitz zu hören. Ein Hinweis darauf, dass er nicht etwa ohnmächtig, sondern bis zuletzt bei Bewusstsein war und vermutlich absichtlich die Tür versperrte.
Die Daten der nun gefunden Blackbox untermauern diese These. Die Experten der französischen Luftfahrtermittlungsbehörde BEA erkannten anhand der gespeicherten Parameter: Lubitz benutzte den Autopiloten, um das Flugzeug in einen Sinkflug auf eine Höhe von 100 Fuß - umgerechnet etwa 30 Meter - zu bringen. "Dann hat der Pilot während des Sinkflugs mehrfach die Einstellungen des Autopiloten geändert, um die Geschwindigkeit des sinkenden Flugzeugs zu erhöhen."
Bereits am Donnerstag hatte der ermittelnde Staatsanwalt von Marseille, Brice Robin, gesagt, Lubitz habe in den letzten Minuten des Flugs "mehrfach" verhindert, dass ein Alarm ausgelöst werde, der eine zu hohe Geschwindigkeit des Flugzeugs anzeigt.
- Co-Pilot mit langer Krankengeschichte
Bei der Durchsuchung der Düsseldorfer Wohnung von Andreas Lubitz beschlagnahmten Beamte zahlreiche medizinische Unterlagen, aus denen sich eine Krankengeschichte rekonstruieren lässt. Demnach hatte ein Psychiater Lubitz für fast zwei Wochen, inklusive dem Tag des Unglücks, krankgeschrieben - wohl wegen einer bipolaren Störung. Nach Angaben der Ermittler zerriss der junge Pilot das Attest und trat seinen letzten Flug an.
Wegen einer psychischen Krankheit unterbrach Lubitz seine Pilotenausbildung bei der Lufthansa 2009 für sechs Monate und begab sich in psychotherapeutische Behandlung. Laut Düsseldorfer Staatsanwaltschaft war Lubitz damals selbstmordgefährdet. Nach seiner Ausbildungsunterbrechung wurde seine geistige und körperliche Gesundheit im Auftrag der Lufthansa überprüft - im Anschluss durfte er seine Ausbildung an der Flugschule in Bremen wieder aufnehmen.
Zuletzt teilte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft mit, dass sich Lubitz in den Tagen vor dem Unglück im Internet über Umsetzungsmöglichkeiten eines Suizids informierte. Die Ermittler hatten diese Erkenntnis durch die Auswertung von Lubitz' Tablet gewonnen. Auch suchte der 27-Jährige seinem Browser-Verlauf zufolge nach Informationen zu den Sicherheitsvorkehrungen an Cockpittüren.
Lubitz hatte in der vergangenen Zeit mehrere Ärzte aufgesucht. Nach SPIEGEL-Informationen wurde Lubitz bei mindestens fünf Medizinern vorstellig, darunter Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie. Die Ermittler stellten seine Krankenakten in den Praxen sicher. Auch ließ er sich vor wenigen Wochen in der Düsseldorfer Uni-Klinik untersuchen.
- Die Rolle von Lufthansa und Germanwings
2009 unterbrach Lubitz seine Ausbildung an der Flugschule der Lufthansa in Bremen für sechs Monate. Doch laut Lufthansa informierte der 27-Jährige die Airline erst in dem Moment über seine Depressionen, als er die Ausbildung wieder aufnehmen wollte. Per E-Mail sei man von Lubitz über eine "abgeklungene schwere depressive Episode" unterrichtet worden, teilte die Lufthansa mit.
Daraufhin wurde Lubitz im Auftrag der Lufthansa körperlich und psychiatrisch begutachtet. Die Checks absolvierte er erfolgreich. In seinen Unterlagen wurde der Vermerk SIC eingetragen, der für "besondere regelhafte medizinische Untersuchungen" steht. Nach Abschluss der Ausbildung erhielt er seine Lizenz.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr erklärte wiederholt, der Konzern habe keine Hinweise auf psychische Probleme von Lubitz gehabt. Der 27-Jährige sei "ohne jegliche Auffälligkeit" und "zu 100 Prozent flugfähig" gewesen. Auch ein Sprecher von Germanwings sagte, man habe nichts von der Erkrankung geahnt. Dazu hätte Lubitz selbst auf den Arbeitgeber zukommen müssen.
Lufthansa und Germanwings müssen sich nun kritische Fragen anhören. Hätten die Airlines etwas von Lubitz' Problemen bemerken können? Und: War die Entscheidung richtig, dass Lubitz nach einer Pause wegen psychischer Probleme seine Ausbildung fortsetzen durfte?
- Die Arbeit der Ermittler an der Trümmerstelle
Die Bergungsarbeiten an der Absturzstelle sind wegen der Witterung und des sandigen, steilen und unzugänglichen Geländes schwierig. Mittlerweile gelang es den Einsatzkräften, aus mehr als 2000 DNA-Proben 150 verschiedene Profile anzulegen, erklärte Staatsanwalt Robin.
Die DNA-Profile müssten zur Identifizierung nun mit Proben abgeglichen werden, die Angehörige der Toten übergeben hätten. Diese Arbeit werde nächste Woche beginnen und könne "drei bis fünf Wochen" dauern.
- Welche Konsequenzen gezogen werden
Politik und Luftfahrtbranche wollen nach Ostern beraten, ob die Technik der Cockpittür geändert werden soll. Mehrere Arbeitsgruppen wurden gestartet.
Auch die aktuellen Regeln zum medizinischen Tauglichkeitszeugnis für Piloten sowie die im Beruf üblichen psychologischen Testverfahren werden überdacht.
Die Einführung einer Ausweispflicht an Flughäfen wird diskutiert - auch wegen des Chaos um die Passagierliste der abgestürzten Germanwings-Maschine. Nach einem Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sollen Airlines dann auch bei Flügen im Schengen-Raum die Identität ihrer Passagiere überprüfen.
Die Zwei-Personen-Regel, wonach ein einzelner Pilot zu keinem Zeitpunkt allein im Cockpit sein darf, wurde bereits von vielen Airlines eingeführt.
Politiker diskutieren, ob die ärztliche Schweigepflicht für sensible Berufsgruppen wie Piloten gelockert werden soll.