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Wochenendprojekt einer Clique: Haus am See

Foto: Simone Pappler

13 Freunde und ein Haus Die Landparty

Sie wollten beides: das Leben der Großstadt und das Haus auf dem Land, die Szene-Bars mit Vintage-Sofas und die Sonnenuntergänge am See. 13 Freunde kaufen ein heruntergekommenes Grundstück, sie entrümpeln, verlegen Rohre, hacken Holz - und empfinden all das als Luxus. Geschichte eines Landgangs.
Von Simone Utler

Hamburg - Die Entscheidung stand fest: Das graue Haus sollte gestrichen werden. Der Zeitpunkt war offen, niemand hatte es so richtig eilig. Die Frage des Farbtons wurde sporadisch thematisiert. Schließlich zogen Olli und Jana in den Baumarkt, ließen eine Farbe anmischen und kauften acht Eimer mit je zwölfeinhalb Litern. Hellrosa mit einem Stich ins Blaue, Kostenpunkt 800 Euro.

Es dämmerte schon, als Elke ein fettes Ausrufezeichen mit der Biofarbe auf die dunkle Wand pinselte. "Bei Nacht sind alle Farben grau." Andine lachte schrill auf: "Vielleicht etwas sehr rötlich. Na ja, mal abwarten, wie es morgen aussieht." Als die Sonne aufging, war das Ausrufungszeichen an der Wand schweinchenrosa. Frühaufsteher Olli hatte es bei seiner Morgenzigarette als erster bemerkt. Glück im Unglück, dass alle noch schlafen, dachte er bei sich. In dieser Situation Farbe zu bekennen, konnte nur heißen, in Windeseile wenigstens schon mal eine Wand so weit wie möglich anzustreichen.

Bei Tageslicht betrachtet war das Haus brombeerfarben - und sorgte für deftigen Streit. Andine reiste umgehend ab und erklärte in mehreren hochemotionalen E-Mails ihren Ausstieg aus der Gruppe. Erst ein Gespräch mit allen konnte sie besänftigen.

Es war nicht die erste Bewährungsprobe. 13 Männer und Frauen, zwischen 37 und 43 Jahre alt, die sich aus Berlin kennen und seit langem befreundet sind, haben gemeinsam ein Grundstück im östlichen Brandenburg gekauft. 6000 Quadratmeter Land mit einem Wohnhaus, einer Scheune, einem kleinen Wäldchen und einem Zugang zum See, der an sonnigen Tagen bis zum Haus glitzert. In der Ferne sieht man die sanften Hügel der Uckermark, Wiesen, Felder und Haine.

Das Haus hat 180 Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Etagen. Im Erdgeschoss ist die Wohnküche, das Bad und drei Schlafzimmer, vier weitere Zimmer befinden sich in der ersten Etage. Der Platz reicht für alle, die Aufteilung erfolgt je nach Ankunft: Wer zuerst kommt, sucht sich eine Schlafmöglichkeit aus - aber inzwischen hat jeder seine Lieblingszimmer.

Das Beste aus zwei Welten

Die Idee: sich im Kollektiv etwas leisten, was einzeln nicht zu finanzieren ist. "Luxuserschleichung durch Gemeinschaftsfinanzierung", nennt Oliver Geyer das. Der 38-jährige Journalist ist einer der Eigentümer und hat nun die Erfahrungen der Clique in einem Buch zusammengefasst.

Die Hausbesitzer sind Fotografen, Übersetzerinnen, Schauspielerinnen, Selbständige, Ministeriumsmitarbeiter oder Berater, einige haben Kinder, andere sind Singles. Sie nutzen das Haus an Wochenenden und im Urlaub, unter der Woche leben sie in Berlin, in Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg.

Das Motiv: ein wenig Stadtfrust und viel Landlust. Wie die meisten anderen der Gruppe verbrachte Geyer Kindheit und Jugend in einem kleinen Ort, zog für das Studium nach Berlin und kostete das pulsierende Leben lange Zeit intensiv aus. Doch inzwischen haben er und die meisten seiner Freunde Kinder, die Prioritäten haben sich verschoben.

"Ich habe immer das Gefühl, meinen Kindern auch bieten zu müssen, dass sie draußen spielen können", sagt Elke Schönberger*. Komplett aufgeben wollten sie und die anderen das Stadtleben aber nicht.

Die Präambel unserer in lauen Sommernächten unermüdlich herbeidiskutierten ungeschriebenen Statuten war die Überzeugung, dass ein Leben im Vorort Teufelszeug ist, wachsweicher Kompromiss aus Stadt- und Landleben. Dass man das Beste aus diesen beiden Welten nun einmal nur durch zwei Wohnsitze bekommen kann: einen in direkter Nachbarschaft zu den Bars, Kinos, Theatern, Restaurants und Falafelbuden Berlins und einen anderen mit Seezugang, zwischen Wäldern, Auen und Rohrdommeln.

Die Clique konnte sich um einen Umzug in einen Vorort und die Entscheidung zwischen Stadt- und Landleben drücken - sie kann sich beides leisten.

"Etwas ganz Verbindliches"

Großstadtleben und Naturidyll zu vereinen, ist schon länger ein Trend. Es gibt viele ähnliche Projekte, entweder direkt auf dem Land, in neuen Kooperationsformen mit der stadtnahen Landwirtschaft oder als sogenanntes Urban Gardening . Wochenendhäuser, Schreberlauben, Campingwagen - die Optionen sind vielfältig. Der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V.  registriert seit längerem, dass es vor allem junge Familien in Schrebergärten zieht. 45 Prozent aller Neuverpachtungen zwischen 2003 und 2008 gingen an Familien, 64 Prozent aller Pächter, die seit 2000 einen Garten übernommen haben, sind jünger als 55.

Ganze Wissenschaftszweige beschäftigen sich mit der Landlust. Soziologin Christa Müller forscht zu nachhaltigen Lebensstilen und neuen Wohlstandsmodellen : "Das moderne Individuum ist gewohnt, möglichst viele Optionen zur Realisierung seiner Identität zu nutzen. Es erscheint heute möglich - und sinnvoll - sich für ein Sowohl-als-auch zu entscheiden statt sich mit der Option Entweder-oder zufriedenzugeben."

Die Clique um Oliver Geyer hatte zunächst einige Jahre ein Haus nördlich von Berlin gepachtet. Als der Vertrag auslief, entschieden sich die Freunde für einen Kauf. Sie gründeten eine Immobilien-GbR, entwickelten einen Finanzierungsplan und suchten nach dem passenden Objekt.

In ihrem Projekt spiegeln sich die Träume, Bedürfnisse und Wertevorstellungen der Generation wider: die Besinnung auf Verbindlichlichkeit, familiäre Strukturen, Entschleunigung.

Man müsse nicht mehr wahnsinnig viel organisieren, um sich mit möglichst vielen zu treffen, sagt Oliver Geyer: "In das Haus kommen einfach alle." Seiner Frau, die lange in einem besetzten Haus und dann in einer WG lebte, geht es darum, mal aus der Viererkonstellation der Familie herauszukommen. Auch störe sie die Entwicklung, dass in unserer Gesellschaft alles immer unverbindlicher werde. "Wir haben etwas ganz Verbindliches", sagt Simone Pappler.

Für die 43-jährige Mette Berglund* ist die Clique eine Art Familienersatz. "Die Freunde fangen mich auf, ich kann mich jederzeit einklinken." Für sie sei das eine natürliche Entwicklung. "Ich muss nicht mehr ständig in Clubs gehen. Ich sitze viel lieber abends mit Freunden bei einem Glas Wein und einem schönen Essen zusammen."

Hände, die nicht nur auf der Tastatur funktionieren

Die Suche nach Natur und Gemeinschaft ist laut Soziologin Müller ein markantes Generationenmerkmal. "Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch Beschleunigung, Individualisierung und Naturferne. Die Hinwendung zu Natur und Garten ist eindeutig ein Hinweis auf einen Epochenwechsel."

Blumen pflanzen zur Entschleunigung, Holz hacken als Ausgleich zur Bildschirmarbeit. "Gerade bei der Generation Internet wächst das Bewusstsein, dass es in der analogen Welt den eigenen Körper zu entdecken gilt", erklärt Müller. "Bei der Gartenarbeit machen viele erstmals die Erfahrung, dass sie zwei Hände haben, die nicht nur auf der Tastatur gut funktionieren."

Was für andere lästiger Alltag ist, ist für Oliver Geyer und die anderen Luxus. Gerade für die Männer der Gruppe ist das eigene Grundstück auch Abenteuerspielplatz. Da werden Zäune aus Verankerungen gerissen, Fenster geschweißt, Kettensägen und Vorschlaghammer zum Einsatz gebracht. "Wir nennen das auch gern Berseker-Dienst", erklärt Geyer. Genug zu tun gibt es. Den Weg zum See überzog dschungelartiges Gestrüpp, Abwasserrohre mussten erneuert werden, die 450 Quadratmeter große Feldsteinscheune wird zum Wohnbereich umgebaut. 65.000 Euro kostete das Grundstück, mindestens dasselbe werden die Freunde wohl noch mal reinstecken.

Ein Blumenstrauß von Zahnbürsten

Die wahren Herausforderungen liegen im Alltag. Geyers Buch legt mit Witz, Ironie und Selbstkritik die Finger in die Wunden - auf verschmierte Arbeitsflächen in der Küche, an den überfüllten Kühlschrank oder den Blumenstrauß von Zahnbürsten im Bad.

Ich zum Beispiel musste mich immer zusammenreißen, um mich nicht vor dem Blumenstrauß von Zahnbürsten zu ekeln, der in dem Bierkrug vor dem Badezimmerspiegel stand. Schaute ich zu genau dorthin, stellte ich mir vor, wie oft die anderen wohl versehentlich meine mit ihrer Zahnbürste verwechselt hatten und ich meine mit der ihren. Russisches Karies-Roulette.

Entscheidungen werden in unzähligen E-Mails und dem regelmäßig zusammentreffenden Plenum geklärt. Für Mette sind all die Reibereien, die Gesprächsrunden, die Konsensfindungen ein Reifeprozess: "Ich hatte früher ein totales Kontrollbedürfnis." Sie habe daran gearbeitet, sich zu öffnen - mit Erfolg. "Ich bin sehr viel lockerer geworden."

Ein Haus als Therapie also?

Es helfe, dass man sich schon so viele Jahre kenne, sagt Oliver Geyer. Da sei man einfach toleranter, nehme vieles nicht mehr so ernst. "Es ist wie mit Kindern. Manchmal gehen sie einem auf die Nerven - aber man möchte sie um keinen Preis missen."

* Pseudonym aus dem Buch

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