Vorlieben von Adoptiveltern Wünsch dir was

Mädchen oder Junge? Evangelisch oder katholisch? Forscher haben untersucht, wie sich Vorlieben von Adoptiveltern in der jungen Bundesrepublik verändert haben. Ergebnis: Noch Jahre nach dem Krieg wirkte sich die NS-Ideologie offenbar auf die Wünsche aus.
Mutter mit Kind: Adoptiveltern äußern weniger Wünsche als früher

Mutter mit Kind: Adoptiveltern äußern weniger Wünsche als früher

Foto: Corbis

Die Bewerber waren sich sicher: Wenn sie ein Kind adoptieren wollten, dann sollte es auf jeden Fall evangelisch sein. Die Mehrheit der Interessenten bevorzugte zudem blonde und blauäugige Kinder, gerne Mädchen.

Die Wünsche mögen heute seltsam anmuten. Doch als sie geäußert wurden - im Jahrzehnt von 1947 bis 1956 - waren sie keinesfalls ungewöhnlich. Sie waren ein Spiegel ihrer Zeit, wie eine aktuelle Studie von Forschern der Uniklinik Köln zeigt.

150 Adoptionen nichtverwandter Kinder und Jugendlicher von 1947 bis 1987 wurden für die Studie repräsentativ ausgewählt und ausgewertet. "Wir wollten aus Datenschutzgründen nicht zu nahe an die Gegenwart rangehen", sagt Gerd Lehmkuhl, einer der Studienautoren und Direktor des Klinikzentrums für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Die Forscher suchten in den Akten nach spezifischen Wünschen an das Adoptivkind. Und sie bemerkten einen Trend: Direkt nach dem Krieg äußerten die Adoptiveltern noch viele konkrete Vorlieben, wie ein Beispiel verdeutlicht.

Auswertungsbogen: Wunsch nach einem Mädchen, blond und blauäugig

Auswertungsbogen: Wunsch nach einem Mädchen, blond und blauäugig

Foto: Yvonne Dörwald

"Es gab nach dem Krieg noch ganz klare Vorstellungen, welches Kind in die Familie aufgenommen werden soll - wie es aussieht, welches Geschlecht es hat, welche Religion es hat", sagt Lehmkuhl.

  • Beispiel Aussehen: "Heute wäre es vollkommen daneben, nach einem blonden und blauäugigen Kind zu verlangen", sagt der Forscher. Von 1947 bis 1956 tat dies noch die Mehrheit der Interessenten. Die Forscher interpretieren dies als Überbleibsel der NS-Ideologie. Manche Bewerber gaben auch an, was sie auf keinen Fall wollten: rothaarige Kinder. Im Untersuchungszeitraum 1977 bis 1987 gab es dagegen keine Wünsche zum Aussehen mehr.
  • Beispiel Konfession: Gaben im ersten untersuchten Jahrzehnt noch 100 Prozent der Adoptiveltern Wünsche an, sank dieser Anteil in den folgenden Jahrzehnten auf 63, 26 und schließlich auf null Prozent.
  • Beispiel Geschlecht: In den Jahren von 1966 bis 1987 war es sieben von zehn Paaren gleichgültig, ob ihr Adoptivkind ein Mädchen oder ein Junge ist. Anders sah es in den beiden Jahrzehnten davor aus. Von 1947 bis 1956 bevorzugten 70 Prozent der Bewerber ein bestimmtes Geschlecht, im Folgejahrzehnt sogar mehr als 80 Prozent. Mädchen waren dabei immer deutlich beliebter als Jungen - laut Lehmkuhl offenbar in der Annahme, sie seien leichter in die Familie zu integrieren.

Bedeuten immer weniger spezifische Wünsche, dass Adoptivfamilien offener geworden sind? Lehmkuhl hat Zweifel. Er vermutet, dass Ängste der Interessenten eine entscheidende Rolle spielen. Gesellschaftliche Normen legten nahe, derartige Wünsche seien sozial nicht erwünscht. Zudem schmälere jeder besondere Wunsch die Chancen auf eine Vermittlung, so die Befürchtung der Adoptiveltern.

Zunächst scheint das verständlich. Denn das Verhältnis von zur Adoption freigegebenen Kindern und potentiellen Adoptiveltern hat sich drastisch verändert, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Bis 1964 gab es mehr zur Adoption vorgemerkte Kinder als Adoptionsbewerber - das Angebot war groß, die Nachfrage gering. In den achtziger Jahren kehrte sich dieses Verhältnis ins Gegenteil. 1987 etwa kamen auf ein Kind mehr als 34 Bewerber.

Wunsch nach jungen Adoptivkindern

So extrem ist es nicht mehr. Im vergangenen Jahr waren laut Statistischem Bundesamt 969 Kinder und Jugendliche zur Adoption vorgemerkt. Gleichzeitig zählten Adoptionsvermittlungsstellen 5671 Bewerbungen. Damit kamen rein rechnerisch auf jedes zur Adoption freigegebene Kind sechs Erwachsene, die adoptieren wollten.

Es scheint aus Sicht der Adoptiveltern verständlich, bei der Vermittlung nicht auch noch wählerisch zu sein. Doch Lehmkuhl sieht eine Lehre der Studie darin, dass es ein Fehler ist, seine Wünsche zu verheimlichen - auch im Interesse der Kinder.

Offenere, liberale Einstellungen zu den Kindern seien zwar positiv, sagt der Forscher. In Wahrheit würden viele aber ihre Sorgen, Bedenken, Phantasien eher verleugnen. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sie nicht mehr gibt. Und das kommt vielleicht später, wenn die Adoption vollzogen ist und die Erwartungen nicht erfüllt sind, umso deutlicher hervor." Lehmkuhl nennt als Beispiel etwa Kinder mit Behinderung oder Kinder aus dem Ausland. Die Adoptierten spürten manchmal "extrem deutlich, wenn sie wegen ihrer mitgebrachten persönlichen Belastungen nicht so gut in die Familie hineinpassen".

Für nachvollziehbar hält der Forscher vor allem einen Wunsch: den nach einem jungen Kind. Eine frühe Adoption bedeutet meist weniger belastende Ereignisse, die Kinder durchmachen mussten. Und es bleibt mehr gemeinsame Zeit, um Probleme aufzufangen.

Diesen Gedanken scheinen Adoptiveltern in allen untersuchten Jahrzehnten gehabt zu haben. Bei den Alterswünschen lassen sich von 1947 bis 1987 am wenigsten Unterschiede ausmachen: Mindestens 65 Prozent der Bewerber wünschten sich ein Kind zwischen null und fünf Jahren.




Dörwald, Yvonne/Walger, Petra/Oelsner, Wolfgang/Lehmkuhl, Gerd: Adoptionsmotive und -wünsche im gesellschaftlichen Wandel: Ergebnisse einer Längsschnittbetrachtung. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 62/2013, 459-472

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