Warum ein Lokalpolitiker seine Stadt verlässt "Ich fühle mich permanent von Rechten umgeben"

Der Angriff auf einen Bürgermeister im Sauerland schockiert auch andere Lokalpolitiker: Der sächsische Stadtrat Michael Richter bangt um die politische Kultur. Er zieht persönliche Konsequenzen.
Michael Richter

Michael Richter

Foto: SPIEGEL ONLINE

Mal sind es anonyme Hassmails, mal persönliche Drohungen - und manchmal auch brutale Angriffe: Die Messerattacke auf den Bürgermeister des Städtchens Altena im Sauerland ist der jüngste Fall in einer Reihe von Übergriffen auf Lokalpolitiker, von denen viele sich ehrenamtlich in Rathäusern und Parlamenten engagieren.

Der Stadtrat Michael Richter war einer der ersten, der im Zuge der Debatte über die deutsche Asylpolitik zum Ziel eines solchen Angriffs wurde. Im Interview spricht der Linken-Politiker aus dem sächsischen Städtchen Freital darüber, wie der Vorfall sein Leben verändert hat - und welche Gefahren aus seiner Sicht drohen, wenn Mandatsträger immer häufiger unter Druck geraten.

SPIEGEL ONLINE: Herr Richter, was war Ihr erster Gedanke nach dem Angriff von Altena?

Richter: Es gibt einen Rechtsruck in Deutschland, der in solchen Angriffen zum Ausdruck kommt: Aus Worten werden Taten. Da kann mir auch keiner erzählen, es handele sich bei dem jetzigen Attentat um einen Einzelfall.

Seit dem Beginn der Asylkrise Ende 2014 hat es mehrere Angriffe gegen lokale Politiker und Mandatsträger gegeben - sehr häufig war die Wut über eine aus ihrer Sicht zu liberale Migrationspolitik das Motiv der Täter. Mehrere betroffene Bürgermeister und Landräte haben sich aus der Politik zurückgezogen.

SPIEGEL ONLINE: Was glauben Sie, woher dieser Hass kommt?

Richter: Wer beruflich oder privat keine Perspektive hat, wird offenbar eher zum Täter. Frust und soziale Ungleichheit spielen sicher eine große Rolle - und da wird dann viel auf Flüchtlinge projiziert. Das konnte man auch hier in Freital beobachten, wo Flüchtlinge und linke Politiker wie ich zur Zielscheibe von Anschlägen wurden.

Im Juli 2015 warfen mutmaßliche Rechtsextremisten einen in Deutschland verbotenen Böller in das leere Auto des Linken-Stadtrats, der Wagen wurde völlig zerstört. Richter, der sich zuvor für Geflüchtete in der Stadt eingesetzt hatte, erhielt nach eigenen Angaben auch Morddrohungen: "Stellt ihn an die Wand, erschießt ihn, steinigt ihn" soll es etwa auf Facebook geheißen haben.

SPIEGEL ONLINE: Wie geht es Ihnen heute, zweieinhalb Jahre nach dem Anschlag auf Ihr Auto?

Richter: Wie soll es einem gehen, wenn man aus Gerichtsakten erfährt, dass man mitsamt dem Wagen in die Luft gesprengt werden sollte? Ich bin jahrelang in Freital ständig andere Wege gegangen, habe direkt nach dem Anschlag einen Tiefgaragenplatz für mein Auto gemietet. Jetzt ziehe ich die letzte Konsequenz - indem ich im Dezember Freital verlasse und in Bayern neu anfange.

SPIEGEL ONLINE: Weil die Angst vor weiteren Übergriffen so groß war?

Richter: Absolut. Ich hatte ja schon die Stundenzahl bei meinem Arbeitgeber erhöht, um nicht mehr so viel Zeit in Freital zu verbringen. Am Wochenende bin ich häufig nach Polen oder Prag gefahren, um in Ruhe meine Freizeit genießen zu können. Ich bin schon jetzt nur noch selten in Freital, weil ich mich hier permanent von Rechten umgeben fühle. Einer von denen wohnt nur ein paar hundert Meter von meiner Wohnung entfernt.

Freital machte 2015 mit Massenprotesten gegen ein Flüchtlingsheim Schlagzeilen, laut Bundesanwaltschaft verübte die rechtsterroristische "Gruppe Freital" dort zudem Anschläge auf Flüchtlinge und Politiker.

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Terrorprozess in Dresden: Gewalt und Hass in Freital

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SPIEGEL ONLINE: Aber die Täter von damals sitzen doch inzwischen in Untersuchungshaft und müssen sich vor Gericht verantworten.

Richter: Schon, aber das ändert nichts am politischen Klima. Hier herrscht Stillstand, auf politischer Ebene hat sich nichts getan: Für den Oberbürgermeister gibt es nach wie vor kein Problem mit Rechtsextremisten in Freital, ein kleiner Teil der Bevölkerung verharmlost oder befürwortet sogar die Taten der "Gruppe Freital". Und deren Unterstützernetzwerk existiert ja weiterhin. Beruhigt hat sich die Lage in Freital definitiv nicht.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet all das für Ihr Privatleben?

Richter: Ich habe hier einen Freundeskreis aufgebaut, den ich jetzt wahrscheinlich verliere. Es fällt mir nicht leicht, zu gehen - auch, wenn mir der Weggang durch eine etwas bessere Bezahlung im neuen Job versüßt wird. Auf jeden Fall möchte ich auch in Bayern politisch aktiv bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Da sind sie eher eine Ausnahme: Viele andere Betroffene haben sich aus der Politik zurückgezogen - der SPD-Chef von Bocholt, der Landrat im Main-Kinzig-Kreis, der Bürgermeister von Tröglitz.

Richter: Aber das geht doch nicht! Es kann nicht sein, dass ein Bürgermeister zurücktritt und sich die Rechten dort dann feiern, weil sie ihn besiegt haben. An so was zeigt sich, dass das Ehrenamt in Gefahr ist.

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Beleidigt, bedroht, bekämpft: Attacken und Hass gegen Lokalpolitiker

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SPIEGEL ONLINE: Brauchen Lokalpolitiker Polizeischutz?

Richter: Bloß nicht, das wäre ja kaum umzusetzen - und auch der falsche Weg.

SPIEGEL ONLINE: Was wäre der richtige?

Richter: Was fehlt, ist der Rückhalt der Zivilgesellschaft. Es braucht einen Aufschrei gegen Rechtsextremisten, die ja sowieso eine Minderheit sind. Außerdem muss der Staat in solchen Fällen durchgreifen, Amtsträger schützen und ihnen den Rücken stärken. Das Signal muss sein: Solche Rechten haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Ansonsten finden wir irgendwann nicht mehr genug Freiwillige für unsere Rathäuser und Kreistage.

SPIEGEL ONLINE: Ist die Lage wirklich so ernst?

Richter: In Freital müssen die Parteien im nächsten Jahr entscheiden, wen sie bei den Kommunalwahlen 2019 antreten lassen. Das werden mit Sicherheit sehr, sehr schwierige Gespräche: Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei uns Linken viele Lust haben, in einem solchen politischen Klima ehrenamtlich die Pflichten eines Stadtrats zu übernehmen. Mein Mandat im Kreistag übernimmt jetzt der einzige Kollege, der dazu überhaupt noch bereit ist.

Im Video: Altenas Bürgermeister nach dem Angriff

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