Deutscher Gefängnis-Alltag Anti-Folter-Stelle prangert Haftbedingungen an

Zu kleine Zellen, lange Einzelhaft, ekelerregender Schmutz: Die amtliche deutsche Anti-Folter-Stelle bemängelt in ihrem neuen Bericht die Haftbedingungen in zahlreichen Gefängnissen. Besonders bedroht sei die Intimsphäre der Insassen.
Justizvollzugsanstalt: Schlechte Haftbedingungen in deutschen Gefängnissen?

Justizvollzugsanstalt: Schlechte Haftbedingungen in deutschen Gefängnissen?

Foto: Boris Roessler/ dpa

Wiesbaden - Auch in Deutschland werden in Gefängnissen und Arrestzellen die Rechte von Gefangenen verletzt. Das berichtet die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter in ihrem Jahresbericht 2010/2011. Zwar seien die Mitarbeiter auf "keine Anzeichen von Folter" gestoßen, sie hätten allerdings "in mehreren Fällen Missstände festgestellt, die nicht akzeptiert" werden könnten.

Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter überwacht im Auftrag von Bund und Ländern seit 2008 die Zustände in Justizvollzugsanstalten, psychiatrischen Kliniken, Abschiebehaft sowie Gewahrsamseinrichtungen von Polizei, Bundeswehr und Zoll.

Über eine Inspektion in der Jugendstrafanstalt Berlin schrieben die Prüfer: "Der besonders gesicherte Haftraum befand sich (...) in einem unhygienischen, ekelerregenden Zustand." Die fleckige Schaumstoffmatratze sei mit toten Insekten übersät gewesen. Toilette und Wasserspender waren verdreckt. "Diese Form von Verschmutzung kann als Verletzung der Menschenwürde empfunden werden."

Nach solchen Beschwerden der Anti-Folter-Stelle erhalten die Justizbehörden Gelegenheit zur Stellungnahme. Oft gingen die Berichte nur zögerlich oder auf wiederholte Nachfrage ein, klagten die Menschenrechtsprüfer.

Häufiger Kritikpunkt war, dass Häftlinge unter besonderer Beobachtung auch beim Toilettengang durch Video oder einen Weitwinkelspion kontrolliert werden können. Dies sei eine Verletzung der Intimsphäre. Die Anti-Folter-Stelle forderte, die Toilettenecke auf dem Videobild zu verpixeln. In mehreren Justizvollzugsanstalten fanden Prüfer die Zellen zu klein oder überbelegt. Tageslicht und Frischluft seien oft die Ausnahme.

Die Überwachung durch Weitwinkelspione oder Video bemängelten die Prüfer auch in den Gewahrsamsräumen der Bundespolizei an Bahnhöfen oder Flughäfen. Mehrere Dienststellen der Polizei mussten sich den Hinweis gefallen lassen, dass Gefangene nicht ordentlich über ihre Rechte aufgeklärt würden. Dies galt auch für die Arbeit der Feldjäger an einigen Bundeswehrstandorten. In der psychiatrischen Klinik Lippstadt in Nordrhein-Westfalen fehlten Therapeuten häufig und wechselten sehr oft.

Die Behörde in Wiesbaden wacht über die Einhaltung des Folterverbots der Vereinten Nationen von 1984. In eigener Sache schrieb die Stelle, dass "die Kapazitäten für die regelmäßige Prüfung mehrerer tausend Gewahrsamseinrichtungen absolut unzureichend" seien. Die Stelle hat vier festangestellte und fünf ehrenamtliche Mitarbeiter. Erstmals wurde der Bericht gemeinsam für Behörden des Bundes und der Länder erstellt.

jbr/dpa
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