Apotheker über Corona-Leugner »Ich frage die Leute ja nicht, was sie wählen, bevor ich ihr Rezept einlöse«

Markus Schilli hat Pandemie-Skeptiker aufgefordert, nicht in seine Apotheke zu kommen, um dort FFP2-Masken zu kaufen. Dafür erntete er einen Shitstorm im Netz – und viel Zustimmung in seiner Apotheke.
Apotheker Markus Schilli: »Da ist mir die Hutschnur geplatzt«

Apotheker Markus Schilli: »Da ist mir die Hutschnur geplatzt«

Foto: privat

Der Apotheker Markus Schilli betreibt im badischen Gengenbach die »Schwarzwald-Apotheke«. Der 56-Jährige ist für die Grünen im lokalen Gemeinderat sowie im Kreistag vertreten. In dem Gremium im Ortenau-Kreis sitzt auch Thomas Seitz.

Seitz ist AfD-Politiker und musste im Dezember und Januar wochenlang wegen des schweren Verlaufs seiner Corona-Erkrankung auf der Intensivstation behandelt werden. Der AfD-Mann sorgte bundesweit für Schlagzeilen, als er mit einer löchrigen Maske im Bundestag auftrat. Auch nach vier Wochen im Krankenhaus bestreitet Seitz aber nach wie vor, dass eine Pandemie existiert und hält die Schutzmaßnahmen für unangemessen. 

In einem Facebook-Post forderte Apotheker Schilli Corona-Leugner wie Seitz auf, nicht in seine Apotheke zu kommen, um dort FFP2-Masken zu kaufen. Dafür erntete er einen Shitstorm im Netz – und viel Zustimmung in seiner Apotheke. Den Beitrag hat er inzwischen trotzdem gelöscht.

SPIEGEL: Herr Schilli, mit Ihrem Facebook-Post haben Sie ganz schön Wirbel gemacht. Was hat Sie denn so in Rage versetzt, dass Sie eine ganze Partei und Ihre Wähler gegen sich aufbringen?

Markus Schilli: Unmittelbarer Anlass war die Aussage des AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz, der ja hier aus der Region kommt und vier Wochen mit Corona auf der Intensivstation des Lahrer Krankenhauses lag. Es ging um Leben und Tod. Und als er alles überstanden hat, sagt er im ersten Interview danach, er müsse seine Überzeugung nicht revidieren, Corona sei keine Pandemie. Diese Dreistigkeit, allein schon dem Pflegepersonal gegenüber, diese Doppelmoral. Da ist mir die Hutschnur geplatzt.

SPIEGEL: Herr Seitz ist ja auch im Bundestag schon aufgefallen, als er mit einer perforierten Maske ans Rednerpult ging. Von der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth bekam er dann eine richtige.

Schilli: Und die nannte er dann einen ›Maulkorb‹. Menschen wie Seitz tun nichts dafür, um sich zu schützen, sie verharmlosen die Pandemie oder leugnen sie sogar. Und sie ändern nicht einmal ihre Meinung, wenn sie fast daran sterben. Dass für so viel Starrsinn und Ignoranz die Allgemeinheit bezahlen muss, empört mich.

»Mein Post sollte auf ein Problem aufmerksam machen«

SPIEGEL: Also haben Sie in Ihrem mittlerweile gelöschten Facebook-Post geschrieben, dass Herr Seitz seine Krankenhausrechnung selbst bezahlen sollte.

Schilli: Außerdem habe ich AfD-Wähler darum gebeten, sich ihre Masken nicht in meiner Apotheke zu kaufen.

SPIEGEL: Moment. Sie unterstellen AFD-Wählern, dass Sie sich eh nicht vor Corona schützen wollen und wollen ihnen gleichzeitig verbieten, Masken bei Ihnen zu kaufen, die sie schützen würden. Ist das nicht widersprüchlich?

Schilli: Mein Post sollte auf ein Problem aufmerksam machen, er sollte wach rütteln. Mir ist natürlich bewusst, dass es rechtlich gar nicht möglich ist, Herrn Seitz die Kosten seiner Behandlung in Rechnung zu stellen. Und selbstverständlich unterliege ich als Apotheker dem sogenannten Kontrahierungszwang. Heißt: Jeder, der mit einem Rezept zu mir kommt, hat Anspruch, dass das eingelöst wird – auch ein AfD-Wähler. Der wäre mir sogar regelrecht willkommen, wenn er begriffen hätte, wofür seine Partei steht.

SPIEGEL: Sie sind immer noch empört.

Schilli: Ich selbst war vergangenes Jahr nach einem Unfall drei Monate nicht ansprechbar. Es ist ein Wunder, dass es mir wieder so gut geht. Vielleicht macht es mich auch deshalb so wütend, wie diese Leute mit Menschenleben spielen. Und ich kenne den Alltag in den Kliniken.

»Ich frage mich halt, wie wenig Empathiefähigkeit man haben muss, um in dieser Lage vor Masken zu warnen.«

SPIEGEL: Erzählen Sie.

Schilli: Das Personal ist dort völlig am Ende. Die ausufernden Dokumentationspflichten plus Corona – das ist nicht zu stemmen. Stellen Sie sich vor, wie belastend es ist, wenn man sich wochenlang um einen Menschen kümmert, und er stirbt einem dann unter den Fingern weg. Ich frage mich halt, wie wenig Empathiefähigkeit man haben muss, um in dieser Lage vor Masken zu warnen und diese Infektion zu verharmlosen. Ich ahne, was in Indien oder Afrika los ist, wo die Dokumentation auf einem anderen Level ist als in Europa. Und wir alle kennen die Bilder aus Brasilien oder Oberitalien. Na ja, fast alle…

SPIEGEL: In Ihrem Post haben Sie AFD-Wähler gebeten, ihre Masken anderswo zu besorgen. Trauen die sich überhaupt in Ihre Apotheke?

Schilli: Ich frage die Leute ja nicht, was Sie wählen, bevor ich Ihr Rezept einlöse. Nach meinem Facebook-Eintrag war es aber schon auffällig, dass hier in der Apotheke die Kunden unisono positiv reagiert haben, nach dem Motto: »Endlich traut sich mal jemand, denen die Meinung zu sagen.« Im Netz gab es allerdings einen regelrechten Shitstorm. Deshalb habe ich den Post dann gelöscht.

SPIEGEL: Was wurde Ihnen vorgehalten?

Schilli: Ich wurde als Nazi beschimpft. Oder als naiver Alt-68er, der von nichts eine Ahnung hat. Fast immer übrigens von Leuten, sie sich nicht einmal trauen, ihren Namen dazuzuschreiben.

SPIEGEL: Kennen Sie Herrn Seitz, den Anlass Ihres Facebook-Eintrags, denn persönlich? Sein Wohnort Lahr ist von hier aus ja mit dem Fahrrad zu erreichen.

Schilli: Ja, wir sitzen beide im Kreistag. Ich für die Grünen, er für die AfD. Und dann haben wir in der Region ja noch Stefan Räpple.

SPIEGEL: Das ist der Landtagsabgeordnete aus Kehl, der seiner eigenen Fraktion zu radikal ist und ausgeschlossen werden soll.

Schilli: Schlimme Leute sind das, Seitz gehört ja auch zum rechten Flügel der AfD. Die würden wahrscheinlich den Impfstoff von Biontech verweigern, weil er von türkeistämmigen Menschen entwickelt wurde…

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SPIEGEL: Sie wollten mit Ihrem Post eine Debatte anstoßen. Das ist Ihnen gelungen. Trotzdem sagen Sie, dass Sie den Post bereuen. Warum?

Schilli: Nicht wegen mir, sondern wegen meiner Angestellten. Die arbeiten sowieso schon seit Monaten unter erschwerten Bedingungen. Hier war vor einigen Tagen eine langjährige Kundin, deren Mann mit 54 Jahren an Corona gestorben ist. Das nimmt einen mit, wenn man hinterm Tresen steht und dann plötzlich eine Witwe vor einem steht und man nicht weiß, wie man trösten soll.

»Das hat meinem Personal dann natürlich gerade noch gefehlt.«

SPIEGEL: Corona prägt den Apothekenalltag?

Schilli: Der Laden ist ständig voll, stundenlang am Stück haben wir alle eine FFP2-Maske auf. Dazu kommt die private Situation. Die eine kann die Mutter im Pflegeheim nicht besuchen, die andere hat zwei kleine Kinder zu Hause, die nicht in die Kita können.

SPIEGEL: Und dann kommt der Chef auf die Idee, sich mit der AfD und Corona-Leugnern anzulegen…

Schilli: Das Telefon steht nicht mehr still, weil irgendwelche Leute aus Düsseldorf und Berlin hier anrufen und einem erklären wollen, dass es Corona gar nicht gibt. Das hat meinem Personal dann natürlich gerade noch gefehlt. Und ich bin daran schuld.

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