Aufregung über Vatikan-Dokument Papstmord-Krimi mit vielen Fragezeichen

Papst Benedikt XVI.: Angeblicher Machtkampf um seine Nachfolge
Foto: Andrew Medichini/ APDas Dokument ist auf deutsch geschrieben, datiert auf den 30. Dezember 2011 und soll vom einst mächtigen, jetzt emeritierten Kurienkardinal Darío Castrillón Hoyos, 82, der Vatikan-Spitze zugeleitet worden sein. Die kleine, auf Enthüllungen spezialisierte italienische Zeitung "Il Fatto Quotidiano" (etwa: Die tägliche Geschichte) publizierte das Schreiben an diesem Freitag - und löste große Aufregung und Verwirrung rund um den römisch-katholischen Kirchenstaat im Herzen Roms aus.
Der streng vertrauliche Rapport berichtet über den Besuch eines anderen Kardinals, Paolo Romeo, 73, Erzbischof von Palermo, in China. Der katholische Würdenträger muss im kommunistischen "Reich der Mitte" höchst brisanten Stoff ausgepackt haben, wenn das Papier, in dem ein unbekannter Protokollant seinen Vortrag zusammengefasst hat, nicht völliger Blödsinn ist.
Demnach hat Romeo in Peking von einem erbitterten Machtkampf zwischen mächtigen Gruppierungen im Vatikan gesprochen - die eine für, die andere gegen den amtierenden Papst: Benedikt XVI., werde allerdings spätestens im November 2012 nicht mehr leben, heißt es. Romeo habe das mit solcher Gewissheit gesagt, notiert der Schreiber, dass die entsetzten Gesprächspartner sicher waren, er spreche von einem bevorstehenden Attentat. Auch wenn er das wörtlich nicht gesagt habe.
Der Hintergrund: ein Machtkampf der grauen Eminenzen?
Der Kardinal habe auch keinen Zweifel daran gelassen, dass er zum engsten Zirkel des Papstes gehöre - also genau wisse, was im Vatikan los sei. Er bilde, gemeinsam mit dem Erzbischof von Mailand, Kardinal Angelo Scola, 70, und dem Papst gewissermaßen eine Troika.
Gegenüber, auf der anderen Seite der innerkirchlichen Grenzlinie, stünde der päpstliche Generalsekretär Tarcisio Bertone, 77, mit seinen Freunden. Bertone ist der zweite Mann im Vatikanstaat und zwischen ihm und dem Papst gebe es "sehr konfliktreiche Beziehungen", so das mutmaßliche Romeo-Protokoll.
Aber der Staatssekretär sei so mächtig, auch das soll Romeo in China ausgeplaudert haben, dass der Papst ihn zwar gern entlassen würde, aber nicht könne. Deshalb versuche Papst Benedikt schon eine geraume Weile Weichen für seine bevorstehende Nachfolge zu stellen. Aus dem Grund habe er Angelo Scola im vorigen Sommer das Erzbistum Mailand übertragen, die nach Rom wichtigste Gemeinde Italiens. Denn Scola solle sein Nachfolger auf dem Heiligen Stuhl werden.
Eine komplizierte Geschichte mit vielen Fragezeichen. Niemand müsste das, was Romeo in Peking kundgetan haben soll, besser wissen als der Papst und seine Troika - sollte man meinen. Wieso findet der Papst-Vertraute Hoyos dann das Papier eines ihm gut bekannten, vermutlich deutschen Informanten, der die Niederschrift aus Peking entweder übersetzt oder selbst verfasst hat, so wichtig, dass er es als Geheimdokument dem päpstlichen Sekretariat übergibt?
Immer wieder werden geheime Dokumente öffentlich
Haben die ehrwürdigen Greise im Vatikan schlicht die Übersicht verloren? Sind sie auf einen Schwindel hereingefallen? Zumal die Aussage, Papst Benedikt lebe nur noch bis November, doch eher - wenn überhaupt etwas daran ist - für eine bislang verschwiegene unheilbare Krankheit spricht als für ein Attentat.
Oder geht es um etwas ganz anderes und das Ziel des versteckten Spiels ist womöglich Scola? Die Vatikan-Deuter der italienischen Medien rätseln. Soll er, ein durchaus denkbarer Kandidat für die nächste Papstwahl, kompromittiert werden?
Das Papier sei echt, aber der Inhalt so abseitig, dass er nicht ernst genommen werden könne, erklärte heute Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. "Völlig haltlos" nennt es auch der darin zitierte China-Tourist, Kardinal Paolo Romeo. Doch unabhängig davon ist heute erneut ein streng vertrauliches Schreiben - und sei es in diesem Fall möglicherweise auch inhaltlich unsinnig - von einem hochrangigen Vatikan-Insider publik gemacht worden.
Zugriff darauf hatten nur ganz wenige. Damit setzt sich die Serie mysteriöser Veröffentlichungen geheimer Dokumente aus dem Kirchenstaat fort. Dabei geht es zum Beispiel um das kirchliche Institut für religiöse Werke, das immer wieder von sich reden macht. Derzeit ermittelt offenbar sogar die Staatsanwaltschaft, weil die Kirchen-Firma etwa 180 Millionen Euro aus Italien ins Ausland geschafft haben soll. Der Verdacht reicht von Steuerbetrug bis Geldwäsche.
Erst kürzlich war ein internes Schreiben von Erzbischof Carlo Maria Viganò beim italienischen Fernsehsender La 7 gelandet. Viganò, 71, war Vize-Verwaltungschef des Vatikans, zuständig für die Gärten, Gebäude, Straßen und Museen. Der energische Jurist hatte ein ganzes System von Korruption und Vetternwirtschaft ausgemacht, Machtmissbrauch und Mauscheleien angeprangert.
Damit machte er sich ein paar Freunde und viele Feinde im katholischen Kirchenreich. Die Gegner wandten sich an den Papst und der beschloss Viganòs Versetzung. In mehreren Briefen beschwor der in Ungnade gefallene Saubermann den Papst, ihn nicht abzulösen. "Heiliger Vater, meine Versetzung würde viel Orientierungslosigkeit und Entmutigung für die bedeuten, die daran glauben, dass es möglich ist, so viele Fälle von Korruption und Machtmissbrauch in der Verwaltung vieler Abteilungen aufzuklären", schrieb Viganò dem Papst, zum Beispiel, am 27. März 2011. Ein halbes Jahr später wurde er als Apostolischer Nuntius in die USA geschickt.