Zwangsprostitution von Flüchtlingen In der Falle

Flüchtlinge in der Bayernkaserne (Archiv): Erpressung erfolgt meist innerhalb ethnischer Gruppen
Foto: Peter Kneffel/ dpaKann sein, dass die junge Frau aus Kenia wirklich Mercy heißt, dass sie 22 Jahre alt ist, obwohl sie jünger wirkt. Möglicherweise musste sie fliehen, weil ihre Familie politisch verfolgt wird. Vielleicht hat sie sich allein auf die Reise gemacht. Die Mitarbeiter des Sozialdienstes in der Münchner Bayernkaserne, der bundesweit größten Erstaufnahme für Flüchtlinge, hinterfragen solche Angaben nicht.
Sie sind sich nur in einem sicher: Dass die Frau, die hochschwanger mit einem Rollkoffer in die Straße zum Haus 58 der Flüchtlingshilfe einbiegt, jetzt gleich eine Geschichte erzählen wird, die man hier schon Dutzende Male gehört hat. Die Geschichte vom verschwundenen Vater des Kindes, mit dem sie sich auf der Flucht oder nach ihrer Ankunft in Italien dummerweise eingelassen habe. Von dem es weder Namen noch Adresse gebe.
Was die Sozialarbeiter ebenfalls ahnen: Vor ihnen sitzt wieder ein Opfer von Menschenhandel in seiner brutalsten Form. Eine junge Frau, die von einem Netz aus Schleusern und Zuhältern in den nächsten Jahren dazu erpresst werden wird, ihren Körper zu verkaufen.
"Da kommen wir mit V-Leuten nicht rein"
Das System der Menschenhändler ist äußerst einträglich und funktioniert seit Jahren in einem Dunkelfeld rund um das Flüchtlingsdrama, in das weder Polizei noch Hilfsinstitutionen wirklich vordringen. Es umfasst Frauen aus Afrika, die mit Vodoo erpresst werden, Schulden in willkürlicher Höhe abzuarbeiten. Asiatinnen, die entweder in den Flüchtlingsunterkünften oder in benachbarten Klubs und Wohnungen Männer empfangen müssen. Und junge Männer, hauptsächlich aus den Maghreb-Staaten, die in die Stricherszene eingeschleust werden, um irgendwann die offene Rechnung ihrer Schlepper begleichen zu können.
Das wenige, was über Zwangsprostitution von Asylsuchenden offenbar wird, stammt aus ihren vertraulichen Gesprächen mit Sozialarbeitern. Und aus unscharfen Beobachtungen, die Kriminalbeamte im Rotlichtmilieu machen. "Wir vermuten, dass Flüchtlinge in die Prostitution eingeschleust werden", sagt der Münchner Chefermittler Bernhard Feiner, "und wir verfolgen das aufmerksam, aber uns fehlt der entscheidende Hinweis." Das Problem der Fahnder: Die Erpressung findet offenbar meistens innerhalb einer ethnischen Gruppe statt. "Da kommen wir mit V-Leuten nicht rein."
Vor drei Jahren sprengten Feiners Leute einen Ring von Menschenhändlern, die in einem Asylheim Frauen an Freier verkauften. Ein Glücksfall für die Ermittler, die einen Tipp aus der Szene bekommen hatten. So konkret wird es selten. Auch Pfarrer Andreas Herden, Leiter der Abteilung Migration bei der Inneren Mission, bleibt lieber im Ungefähren. "Das Wissen stammt aus dem Beratungskontext, und es verbietet sich, Details zu nennen", sagt Herden. Zudem könne man als Hilfsorganisation nicht handeln. "Das ist Sache der Politik, hier einzuschreiten. Es ist nicht unsere Aufgabe, Prostitution zu bekämpfen."
Es fehlt an Anzeigen und Zeugen
Dass Prostitution in und um die Sammelunterkünfte stattfindet, und zwar "in massivem Ausmaß", wie der bayerische Integrationsbeauftragte Martin Neumeyer aus Gesprächen mit Flüchtlingshelfern weiß, ist auch Herden lange bekannt. Die SPD macht das Thema nun im Bayerischen Landtag publik und stützt sich auf Informationen aus Flüchtlingsunterkünften. Von der Staatsregierung will die SPD Auskunft, welche Kenntnisse über sexuelle Gewalt und Ausbeutung von Flüchtlingen vorliegen. Pfarrer Herden und der Politik fehlt die junge Frau, die ihre Peiniger bei der Polizei anzeigt, oder ein Zeuge, der konkrete Aussagen macht.
Nur einmal suchte eine junge Afrikanerin Hilfe bei der Prostituierten-Beratungsstelle Solwodi. Sie war vor ihrem Zuhälter von Italien nach Deutschland geflohen. In einer Sammelunterkunft in München traf sie ihn wieder. Der Mann, ebenfalls Asylsuchender, wollte sich in Deutschland offenbar neue Geldquellen erschließen.
Für Mercy aus Kenia endete die Geschichte, wie es die Sozialarbeiter der Bayernkaserne erwartet hatten. Nach der Geburt des Kindes fand sie die Handynummer und den Namen des Kindsvaters auf einem Zettel in ihrer Handtasche. Der Mann, ein deutscher Sozialhilfeempfänger, eilte zum zuständigen Jugendamt, unterschrieb die Dokumente und nahm Mutter und Kind mit nach Hause.
"Kioskvater" übernimmt Vaterschaft, der Staat den Unterhalt
Vermutlich wird Mercy heute irgendwo in Deutschland ihren Körper anbieten, überwacht von einer "Madam" aus ihrem Heimatland, die den Hurenlohn kassiert und die Kinderbetreuung regelt. Weil Mercy nun das Kind eines Deutschen versorgt, bekommt sie ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht - ohne Asylverfahren.
Der Clan, der sie kontrolliert, hat frühzeitig einen sogenannten Kioskvater organisiert, einen Arbeitslosen, der für ein bisschen Geld die Vaterschaft anerkennt. Den Unterhalt übernimmt der Staat. Die sogenannte Vaterschaftsanfechtungsklage, die Sozialbehörden bei einer derart merkwürdigen Konstellation noch vor Jahren anstrengen konnten, hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2013 für unzulässig erklärt. Für die Zuhälter bedeutet das, sie können die junge Frau die nächsten Jahre legal zur Arbeit schicken.
Wehren wird sich Mercy wohl nicht. Sozialarbeiter in den Flüchtlingsheimen schildern, wie Frauen aus Kenia, Eritrea oder Nigeria bereits vor der Flucht von den Schleusern mit Vodoo ritualisiert werden. Sie glauben, dass sie sterben oder ihre Familie zu Hause zugrunde geht, wenn sie nicht gehorchen. Sie sitzen in der Falle.
Prostitution in Asylunterkünften lohnt sich für Menschenhändler
Bereits auf der langen Reise nach Europa werden sie zur Prostitution gezwungen oder sexuell missbraucht. Wenn sie dadurch schwanger werden, schickt sie der Zuhälter nach Deutschland. "Wir wissen, dass die Frauen massiv unter Druck stehen und unbeschreibliche Angst vor diesem Netzwerk haben", sagt jemand, der die Situation genau kennt.
Die Menschenhändler verdienen inzwischen auch in den Asylunterkünften gut an käuflichem Sex. Die Tarife, so haben Flüchtlingshelfer von den verzweifelten Opfern erfahren, seien dort ziemlich günstig. Gelegentlich tauchen Männer auf den Fluren der Wohnheime auf, die junge Frauen in die Zimmer begleiten. Wer nachfragt, bekommt die Antwort, ein Freund sei zu Besuch. Der Rest ist Privatsache.
Ebenso privat wie die Ausflüge junger Asylbewerberinnen, die stark geschminkt und auffällig gekleidet abends vor dem Tor der Münchner Erstaufnahme oder nahe der Unterkunft am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck in Autos steigen.
Die Sozialdienste in München raten den erpressten Opfern zur Aussage bei der Polizei. Vergeblich. Die Betroffenen, sagen die Helfer, fürchteten polizeiliche Willkür mindestens ebenso wie die Männer des Clans, der sie zum Sex zwingt. Viele stammen aus einer Kultur, in der Frauen kaum Rechte haben und schon gar keine sexuelle Selbstbestimmung. Die Zuhälter haben ihnen zudem eingeprägt, es werde sich sehr negativ auf das Asylverfahren auswirken, wenn bekannt werde, dass sie als Hure arbeiten.