Nach Missbrauchsgutachten Zahl der Kirchenaustritte in Bayern nimmt drastisch zu

Nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in der Erzdiözese München-Freising wollen in Bayern sehr viele Menschen sehr schnell aus der Kirche austreten. In der Landeshauptstadt kommt die Behörde mit der Bearbeitung kaum hinterher.
Leere Reihen: In Bayern treten vermehrt Menschen aus der Kirche aus (Symbolbild)

Leere Reihen: In Bayern treten vermehrt Menschen aus der Kirche aus (Symbolbild)

Foto: Franziska Kraufmann / picture alliance / dpa

Die Zahl der Kirchenaustritte in bayerischen Städten ist nach der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens vor etwa einem Monat förmlich explodiert. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter mehreren Städten im Freistaat.

In München verdoppelte sich die Zahl der Kirchenaustritte, wie ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferates (KVR) mitteilte: »In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, hatten wir in München pro Arbeitstag in etwa 80 Kirchenaustritte. Seit dem 20. Januar, also seit dem Gutachten, sind es um die 150 bis 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag. Also etwa doppelt so viele.«

Und es könnten sogar noch mehr sein. »Die Nachfrage ist sicherlich dreimal so hoch wie Anfang des Jahres«, sagte der Sprecher. Doch die Lage sei nicht zu bewältigen: »Das Limit ist hier unsere Kapazitätsgrenze, vor allem beim Personal.« Dabei habe das KVR die Öffnungszeiten verlängert und mehr Leute eingesetzt. »Trotz erweiterter Öffnungszeiten und Personalumschichtungen wird es wegen der sehr hohen Nachfrage voraussichtlich nicht möglich sein, alle Austrittswünsche zeitnah zu bedienen.«

Andere Städte bestätigen Trend

Das Standesamt Nürnberg meldete zwischen dem Tag der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens am 20. Januar und dem 14. Februar 617 Kirchenaustritte, davon 381 aus der katholischen, 234 aus der evangelischen Kirche und zwei Sonstige. Vor zwei Jahren – im Vergleichsjahr 2020 – hatte das Standesamt in diesem Zeitraum nur 372 Austritte, davon 200 katholisch, 165 evangelisch und sieben Sonstige.

In Ingolstadt erklärten vom 20. Januar bis zum 17. Februar 254 Personen ihren Austritt aus der Kirche – im selben Zeitraum des Vorjahrs waren es 84. »Das Standesamt meldet eine weiterhin große Nachfrage nach Austrittsterminen«, sagte ein Sprecher der Stadt.

Podcast Cover

Das am 20. Januar vorgestellte und vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW)  war zu dem Ergebnis gekommen, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren. Die Gutachter gehen von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern, zugleich aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Sie erhoben schwere Vorwürfe unter anderem gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, dem sie vierfaches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen vorwerfen.

Joseph Ratzinger, emeritierter Papst Benedikt XVI.

Joseph Ratzinger, emeritierter Papst Benedikt XVI.

Foto:

Sven Hoppe/ dpa

Nicht nur die Vorwürfe lösten scharfe Kritik am ehemaligen Oberhaupt der katholischen Kirche aus, sondern auch die Art und Weise, wie Benedikt XVI. damit umgeht. Zwar antwortete er auf 82 Seiten ausführlich auf die Fragen der Gutachter, was grundsätzlich zunächst positiv zu bewerten ist. Der Inhalt enttäuscht jedoch viele Betroffene. So argumentierte er zum Beispiel in einer Stellungnahme an die Gutachter, ein verurteilter Priester habe seine Straftaten als »Privatmann« begangen. In einem anderen, zentralen Fall räumte er nach der Veröffentlichung ein, zunächst falsche Angaben gemacht zu haben, und berief sich auf ein Versehen »bei der redaktionellen Bearbeitung« seiner Stellungnahme.

nil/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

Abonnieren bei

Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.

Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten