Beenhakker köpft Ballack Polnische Zeitung eröffnet Fußball-Medienschlacht
Hamburg - Eine graue Autobahnlandschaft irgendwo in Deutschland. Einem schwarz-rot-goldenen Kleinbus entspringen sechs stämmige Fußballfans mit madenweißen Waden. Sie tragen alberne Hüte, riesige Irokesen-Perücken und nationalfarbene Blumenkettchen.
Die Männer haben es eilig, sie stehen unter Druck. Ein kurzer Sprint zur nächsten Grünfläche, das Surren von Reißverschlüssen - und dann die Befreiung: Im Gleichklang mit der deutschen Nationalhymne pinkelt das halbe Dutzend auf den Rasen und zeigt erleichterte Mienen. Doch nur für einen Augenblick. Als sich die Fans umdrehen, merken sie, dass etwas fehlt: ihr Auto.
Der Spot könnte nun beendet sein. Ist er aber nicht. Im Abspann heißt es lapidar: "Deutschland - Polen 8. Juni 2008." Dann folgt ein Werbehinweis auf das Tippspielportal "Foozee" .
"Foozee" zeigt eine wenig originelle, aber mit viel Liebe zum Detail inszenierte Satire, die das Klischee des polnischen Autodiebs zelebriert. Der Clip ist aber auch eine selbstironische Darstellung des dicken Deutschen, der auf seine Nationalhymne pfeift und so blöd ist, sich beim Pinkeln das Auto klauen zu lassen.
Ballack in unvorteilhafter Position
Gar nicht witzig, befanden viele Polen, die das Video zu bester Sendezeit in den Abendnachrichten sahen. Eine Beleidigung, eine Herausforderung, kurzum - eine Frechheit. Doch es kam noch besser: Ausgerechnet die von Axel Springer Polska herausgegebenen Tageszeitung "Fakt" holte zum schmerzhaften medialen Gegenschlag aus.
"Leo, wiederhole Grunwald", titelte das Warschauer Boulevardblatt am Dienstag und zeigte eine wiederum für deutsche Fußballfans wenig erfreuliche Collage: Da kniet Mannschaftskapitän Michael Ballack mit Wilhelminischer Pickelhaube vor Polens Nationaltrainer Leo Beenhakker. Der Niederländer holt mit einem Schwert zum tödlichen Schlag aus und macht dazu ein Gesicht wie der von Wagner verzückte Bayernkönig Ludwig II.
Der martialische Imperativ des Blattes soll an das Jahr 1410 erinnern, als ein polnisch-litauisches Heer zwischen den Dörfern Grunwald und Tannenberg die Deutschen besiegte. Beenhakker ist also aufgerufen, das Massaker auf dem Spielfeld zu wiederholen.
Der in so wilder Pose gezeichnete Trainer versuchte, die Wogen zu glätten: "Es gibt in Holland nicht viele Fans des deutschen Fußballs, aber ich bin einer", erklärte der Niederländer. "Ich weiß, es wird eine unheimlich schwere Aufgabe, Deutschland zu schlagen. Aber ich kann auch garantieren, dass es eine unheimlich schwere Aufgabe wird, Polen zu schlagen. Wir sind auf einer Höhe."
Den Machern von "Fakt" war das egal - am Mittwoch legte "Fakt" noch einmal nach und zeigte Ballack als mickrigen Beifahrer eines Trabbis, der von Leo Beenhakker geritten wird. Titel: "Leo tritt die Trabbis", sprich die Deutschen, in den Allerwertesten.
"Das Fieber, das die Spiele einläutet"
Bei Axel Springer indes weiß man ganz genau, welche Zeitung welche Position auf dem EM-Schlachtfeld zu beziehen hat: "Polen und Ösis - die ersten Giftpfeile gegen uns", schreibt Springers "Bild"-Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe und wettert gegen die Hetze der polnische Zeitung, die doch ein Blatt aus eigenem Hause - und mit 500.000 Exemplaren die auflagenstärkste Tageszeitung in Polen - ist.
"Die 'Fakt' ist eine journalistisch völlig unabhängige Zeitung, wie die 'Bild' auch", sagt der Stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Alfred Draxler, SPIEGEL ONLINE. Der Axel-Springer-Verlag habe deshalb auch kein Problem damit, kritisch über das polnische Blatt zu berichten - im Rahmen eines "gesunden Binnenpluralismus". Sportjournalist Draxler ist ein langjähriger Freund von Franz Beckenbauer und hat zwei Bücher über Fußball verfasst.
Sein polnischer Kollege Janusz Bslalaj vom "Przeglad Sportowy", der ältesten und größten Sportzeitung des Landes, glaubt, dass die Leser sich durch eine solche Meldung nicht aufhetzen ließen: "Solche Geschichten sind unser tägliches Geschäft. Das ist das Fieber, das die Spiele einläutet, eine Art psychologische Kriegsführung, die einfach dazugehört", sagt der stellvertretende Chefredakteur SPIEGEL ONLINE. Fußball sei nicht das Wichtigste auf der Welt, man dürfe solche Ausfälle "nicht zu ernst nehmen", so der Journalist, dessen Blatt inzwischen ebenfalls Springer gehört.
"Fakt"-Chefredakteur Grzegorz Jankowski stand SPIEGEL ONLINE für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.
"Wir sind auf einer Höhe"
Während sich die polnische Elf im österreichischen Bad Waltersdorf auf das EM-Auftaktspiel gegen Deutschland vorbereitet, fühlte sich Fußball-Ikone Zbigniew Boniek berufen, ein wenig Öl ins Feuer zu gießen: "Die polnischen Spieler sind 16-mal intelligenter als die deutschen", tönte er.
Die deutsche Delegation nahm es gelassen: "Die Polen sind unsere Nachbarn und Freunde. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis", sagte DFB-Präsident Theo Zwanziger am Mittwoch im deutschen Quartier im schweizerischen Ascona.
Nach ihrem einzigen Sieg gegen eine deutsche Mannschaft im Jahr 1933 (1:0) wollen die Polen endlich wieder gewinnen. Nur viermal erreichte sie in der Vergangenheit ein Unentschieden, elfmal musste sich die Nationalmannschaft dem deutschen Gegner geschlagen geben.
Unberührt von dem Skandal sorgte der ehemalige Nationaltorwart Jan Tomaszewski für zusätzlichen Unmut: "Polen ist das korrupteste Land im Weltfußball", beklagte der ehemalige Chef der Ethik-Kommission Polens in der "Sport Bild". So schlimm scheint es um das Ausmaß der Bestechlichkeit zu stehen, dass Tomaszewski sogar die Austragung der EM 2012 in Frage stellt. "Zurzeit sitzen Leute in den Kommissionen, die selber mit der Korruption zu tun haben."
mit Material von sid