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Bestattungskultur in Deutschland Tod und Kommerz

Wie wärs mit einem Flachbildschirm im Grabstein? Oder einer Weltraumreise für die eigene Asche? Der Umgang mit dem Tod wandelt sich radikal: Billig soll das Lebensende sein - und trotzdem individuell.

Bettina Schneider starb bei einem Verkehrsunfall, ein heftiger Aufprall, die Ärzte konnten nichts mehr für die 48-Jährige tun. Die Juwelierin hinterließ Mann und zwei Kinder, die Freunde und Kollegen waren fassungslos. Ihre Familie wünschte sich eine angemessene Beerdigung - und die soll Schneider nun bekommen.

In der kleinen Kapelle im Ortskern von Münnerstadt steht ein weißer Sarg, bedeckt mit Glitzersteinchen und roten Rosen. Daneben das Foto einer lachenden Frau mit blonden Haaren, davor einige Kerzen in der Form eines Herzens. "Das nennt man personenbezogene Dekoration", sagt Diana Pick und nickt den umstehenden Männern anerkennend zu. Soll heißen: gut gemacht, Aufgabe gelöst. Die Vorbereitungen für Bettina Schneiders Trauerfeier sind gelungen.

Dabei ist Bettina Schneider gar nicht tot. Oder anders gesagt: Sie hat nie gelebt. Die Geschichte des Verkehrsunfalls hat sich Bestatterin Pick für ihre angehenden Kollegen ausgedacht, als Teil eines Seminars über Trauerpsychologie. Die Kapelle, der Sarg, das Foto mit der lachenden Frau - all das gehört zur Übungsausrüstung im Bundesausbildungszentrum der Bestatter im fränkischen Münnerstadt.

Dort muss jede angehende Bestattungsfachkraft während der dreijährigen Ausbildung den Umgang mit dem Tod und den Toten üben. Drei mehrwöchige Lehrgänge umfassen etwa das Verlöten von Zinksärgen, Bergungsübungen, die Pflege toter Körper. Professionalität ist in der Branche so wichtig wie noch nie.

Bislang gilt der Beruf als todsicher, schließlich ist nichts im Leben so absehbar wie dessen Ende. Doch der Umgang mit dem Tod wandelt sich tiefgreifend: Die Bedeutung von Religion, Tradition und familiären Bindungen schwindet, zugleich erschüttert eine denkwürdige Kommerzialisierung die Branche. Steinkreuz und Holzsarg werden seltener, Beerdigungsdiscounter und morbider Kitsch breiten sich aus.

Am auffälligsten zeigt sich der Wandel bei der Bestattungsart - für die es im Grunde nur zwei Alternativen gibt: Jahrhundertelang trauerten die Deutschen am offenen Grab um ihre Angehörigen, die sie in Särge legten und vergruben, darauf kam ein steinernes Grabmal. Inzwischen ist aber die Einäscherung die verbreitetste Form der Bestattung, und der Trend ist eindeutig.

Dieser Wandel schlägt sich auch im Ausbildungszentrum im 8000-Einwohner-Idyll Münnerstadt nieder. An den Wänden der Seminarräume stehen klobige Sargattrappen, und in Regalen reihen sich Dutzende Urnen aneinander, in unzähligen Formen und Farben.

Nebenan, im Hygieneraum, versucht sich Dennis Mohr an der Behandlung einer Leiche - aus Plastik, bei anderen Übungen trainieren die Azubis mit tatsächlich Verstorbenen. Mohr, ein sportlicher Typ mit Viertagebart und pfälzischem Dialekt, war früher Soldat und schult gerade um. Gemeinsam mit einem Kollegen hebt der 25-Jährige die Puppe auf eine Trage, legt eine Stütze unter den Kopf und die Hände der Puppe auf deren Bauch. "Sehr gut", sagt Dozent Fabian Lenzen. Mohr kann zufrieden sein, die Abschlussprüfung naht.

Dass es für Bestatter überhaupt Prüfungen gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Seit Urzeiten kümmern sich Tischler oder Geistliche um die Toten, die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft gibt es erst seit 2003. Zwei Jahre später stand das Seminarhaus in Münnerstadt, und dort ist man stolz auf die Erfolgsgeschichte: "Anders als in anderen Branchen haben wir überhaupt keine Probleme, Auszubildende zu finden", sagt Akademieleiterin Rosina Eckert. "Viele sprechen von ihrem Traumberuf, wegen der einmaligen Mischung aus Sozialem und der Handarbeit."

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Bestattungen in Deutschland: Der Tod wird kommerziell

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Rund 32 Millionen Erdgräber gibt es auf Deutschlands 32.000 Friedhöfen. Immer wieder mussten Städte in der Vergangenheit ihre Friedhöfe erweitern, weil ein alter Gottesacker "verwesungsmüde" war, wie es im Fachjargon heißt, also gesättigt mit Toten.

Das Konzept dahinter: Verstorbene werden neben ihren Liebsten beerdigt, um das Grab kümmern sich die Hinterbliebenen. So war das früher.

Heute ist es so: Immer seltener bleiben Familien über viele Generationen in derselben Region, zudem schwindet mit der Bindekraft des Christentums die Bedeutung von Jenseitsvorstellungen - und damit auch die Bereitschaft, Tausende Euro für standesgemäße Sargbestattungen zu zahlen. Urnengräber hingegen sind günstig, pflegeleicht, platzsparend.

So sterben in Deutschland jedes Jahr annähernd 900.000 Menschen, doch die Friedhöfe werden leerer und seit den Neunzigerjahren sind die Einnahmen der rund 4000 Bestattungsunternehmen um ein Viertel geschrumpft. Die beklagen eine "Entsorgungsmentalität",  das Kuratorium Deutsche Bestattungskultur spricht gar von einer "Ex- und Hopp-Mentalität". 

Wie sollen Bestatter dieser Ökonomisierung ihres Berufs gerecht werden, ohne Pietät und ihr Geschäftsmodell preiszugeben? Sie versuchen es mit "Professionalisierung", wie Rolf Lichtner vom Bundesverband Deutscher Bestatter sagt. Auf Aus- und Fortbildungen setze die Branche, in Münnerstadt werden seit 2010 sogar Meistertitel vergeben und Thanatopraktiker ausgebildet - Fachleute für Totenmasken, Einbalsamierungen, Rekonstruktionen zerstörter Leichname. "Der Bestatter von heute ist nicht mehr zu vergleichen mit dem der Achtzigerjahre", sagt Lichtner.

Im Video: Bestatter Fritz Mertens über seinen Beruf

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Was das bedeutet, lässt sich in fünf Autominuten Entfernung vom Ausbildungszentrum beobachten. Neben dem städtischen Friedhof hat der Bayerische Bestatterverband 1994 Deutschlands ersten Übungsfriedhof eingerichtet. Hier lernen jährlich 180 Bestatteranwärter in Handarbeit und an modernen Maschinen, wie Gräber fachgerecht gebaggert und Urnen hinabgehievt werden.

Aber ist das noch zeitgemäß?

Der Friedhof als öffentlicher Gedenkort verliert massiv an Bedeutung, immer mehr Deutsche wollen so privat wie möglich Abschied nehmen. Früher kamen Hunderte zu Beerdigungen, heute verkünden die rar werdenden Traueranzeigen meist eine "Beisetzung im engsten Familienkreis" - und immer mehr Grabmäler zeigen ein Foto des Verstorbenen statt eines religiösen Symbols. 

Mittlerweile wünscht sich laut einer aktuellen Umfrage  nicht einmal mehr jeder Vierte eine klassische Sargbeisetzung, und einer anderen Erhebung zufolge  hätten 83 Prozent der Deutschen kein Problem mit einem Privatgrab im Garten des Nachbarn - vor 15 Jahren sah das nur gut jeder Zweite so. Offenbar ist der Tod für Millionen Individualisten die letzte Etappe der eigenen Selbstverwirklichung, und das lässt sich überall im Land beobachten:

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Sarg im Stadion, Asche im Vulkan: So lassen sich die Deutschen bestatten

Foto: Felix Kästle/ picture alliance / dpa

Die meisten alternativen Beisetzungsarten sind in Deutschland allerdings nicht zugelassen - und sollte sich das ändern, kämen neue Probleme auf. Wer etwa die Überreste eines Angehörigen im eigenen Wohnzimmer deponiert, entzieht ihn allen anderen. Anders gefragt: Wer hat nach dem Tod Anspruch auf den Toten? Und wer will all die Urnen erben, die sich dann nach einigen Generationen in deutschen Wohnzimmern stapeln könnten?

Für die breite Masse sind solche Debatten noch zweitrangig, meist sind die finanziellen Sorgen größer: Seit die Krankenkassen kein Sterbegeld mehr zahlen, müssen Angehörige für eine traditionelle Bestattung mit mindestens 2800 Euro kalkulieren, sagt Bestatter-Sprecher Lichtner. Für den Steinmetz, die Grabpflege und den Gärtner falle noch mal der gleiche Betrag an, zudem seien die Friedhofsgebühren allein in den vergangenen 15 Jahren um 100 Prozent gestiegen. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach preisgünstigen Alternativen.

Die Branche reagiert: Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung  kommen die meisten Särge und Grabmäler längst günstig aus dem Ausland. In Großstädten vertreiben zudem Beerdigungsdiscounter ihre etablierten Konkurrenten - mit Rabattaktionen, Kaffeefahrten in Krematorien, Plakatkampagnen. Der Effekt: Rund jede vierte Beisetzung ist inzwischen eine Billigbestattung. Nicht mal der Tod ist vor dem Kapitalismus sicher.

Doch selbst diese preisgünstigen Beerdigungen können viele Angehörige nicht mehr bezahlen. Viele spenden ihren toten Körper daher der Wissenschaft und sparen so die Beerdigungskosten, für andere kommt der Staat auf. 2006 erhielten laut Statistischem Bundesamt etwa 13.888 Deutsche von den Sozialämtern Unterstützung für Bestattungen, 2013 waren es bereits 23.500. Allein die Stadt Hamburg gibt laut einer Studie von 2010  jährlich rund drei Millionen Euro für Beerdigungen mittelloser Bürger aus.

In Münnerstadt geht es für die Auszubildenden auf die Mittagspause zu, vorher geht es aber noch einmal in den Werkraum. Materialkunde. Dozent Manfred Pungert erklärt, wie aus Holzkisten mit Leim und Nägeln Särge werden, wie sie fachgemäß geöffnet und geschlossen werden. Auf einem Tisch liegt ein Hammer neben Zollstock, Bohrmaschine, Zangen. Es ist ein Sammelsurium aus alten Zeiten, als Bestatter vor allem Experten dafür waren, weiß gekleidete Leichen in Särgen aufzubahren.

Dennis Mohr stützt sich auf einen der Werktische auf. Besonders gut erinnert sich der Azubi an die Bestattung eines passionierten Schwimmers vor einigen Monaten. "Dem haben wir einen Taucheranzug angezogen und dann in der Trauerhalle im Halbkreis um den Sarg einen Strand nachgebildet", sagt er, "mit Taucherbrille, Sauerstoffflasche, Schuhen". Im Sand hätten sie sogar Bierflaschen und einen Aschenbecher drapiert. "Tja", sagt Mohr, "es gibt halt immer mehr Möglichkeiten."


Zusammengefasst: Die klassische Erdbestattung im Sarg wird immer seltener. An die Stelle religiös-traditioneller Beerdigungen treten individuell gestaltete Beisetzungen, zugleich aber sinkt die Bereitschaft vieler Angehöriger, viel Geld dafür auszugeben. Günstige und vielfältige Alternativen gibt es im Ausland, die deutschen Bestatter versuchen dem Umbruch in ihrem Gewerbe mit Professionalisierung zu begegnen.

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