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Kölner Keupstraße: Aufmarsch der Politiker

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Bombenanschlag der Zwickauer Zelle Tröster-Karneval in der Keupstraße

Hier detonierte vor sieben Jahren eine Nagelbombe, zu dem Anschlag bekannte sich die Zwickauer Terrorzelle. Jetzt tauchen in der Kölner Keupstraße reihenweise Politiker auf, um sich zu entschuldigen. Dabei sind die Anwohner eher erleichtert. Ein Ortstermin mit Sigmar Gabriel.

Der Tag des Trostes in der Kölner Keupstraße beginnt mit einer verschlossenen Tür und vielleicht auch mit einer Kränkung. Im Friseursalon von Özcan Yildirim, es geht gegen halb elf, sitzt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und trinkt Tee. Freundlich sei der Politiker aus Berlin gewesen, wird der türkische Geschäftsmann später sagen, "sehr nett und sympathisch". Vor dem Laden drängeln sich derweil Dutzende Menschen, weshalb Gabriels Adlatus die beiden Personenschützer anweist: "Lassen Sie die Journalisten erst einmal draußen."

"Das sind keine Journalisten", entgegnet umgehend ein großer Mann von der Spitze des Zuges. "Das ist die Bürgermeisterin von Köln, Frau Scho-Antwerpes." Gabriels Gehilfe entschuldigt sich, doch die Bürgermeisterin von Köln muss trotzdem in der Kälte ausharren, genau wie die TV-Teams und Fotografen, die Hörfunkredakteure und Schreiber. "Ich kann auch wieder gehen, ich habe wirklich genug zu tun", faucht Elfi Scho-Antwerpes - und rührt sich nicht von der Stelle.

Es ist eine absurde Szenerie, die sieben Jahre nach dem Nagelbombenanschlag gerade in der Keupstraße zu beobachten ist. Da reitet mit viel medialem Tamtam der Oppositionsführer aus der Hauptstadt in ein morgendlich-verschlafenes Viertel ein, das die Kölner "Klein-Istanbul" nennen. Ein Junge auf der Straße fragt, in Gabriels Richtung nickend: "Wer isn der Typ?" Und eine Fernsehreporterin witzelt über den Handwerker, vor dessen Laden sie "auf ein Bild" warten muss, der könne "doch sowieso kein Deutsch". Ihr Kollege lacht.

"Wir müssen uns schämen"

Vor laufenden Kameras erläutert der SPD-Chef dann mit staatstragender Miene den Grund seines Besuches: Er wolle sich dafür entschuldigen, dass die Ermittlungen damals in die falsche Richtung gelaufen seien. "Ich kann mir vorstellen, wie beleidigend, wie demütigend das gewesen sein muss", sagt er und setzt noch hinzu: "Wir müssen uns schämen." Ein Journalist ruft: "Sieben Jahre lang war kein Politiker hier und jetzt kommen alle." Gabriel kontert: "Schlimm genug." Er aber sei sowieso gerade in Köln gewesen.

Am 9. Juni 2004 detonierte in der überwiegend von Türken bewohnten Straße eine Nagelbombe, 22 Menschen wurden verletzt. Kriminaltechnische Untersuchungen ergaben schließlich, dass der selbstgebaute Sprengsatz aus Schwarzpulver, Nägeln und einer Gasflasche bestanden hatte. Die Täter lösten ihn per Fernzündung aus. Die zehn Zentimeter langen und drei Millimeter dicken Eisenstifte durchschlugen Autos und zerfetzten Glasscheiben.

Der Oberstaatsanwalt, der damals den Anschlag in der Keupstraße aufklären sollte, sitzt noch immer einige Kilometer Luftlinie entfernt in einem trostlosen Behördenbunker an einer Ausfallstraße. In zwei Wochen jedoch geht Josef Rainer Wolf in Pension, weshalb er zuvor noch etwas klarstellen möchte: "Wir haben damals keine Spuren vernachlässigt, sondern alles versucht. Hinterher weiß man immer mehr." 31 Jahre lang hat Wolf Staatsschutzdelikte bearbeitet. Niemals sonst sei ihm in dieser Zeit eine terroristische Tat untergekommen, zu der sich keiner bekannt hätte, sagt er.

Jede Behörde wurschtelte vor sich hin

Das Problem aber, das sich aus dieser Verschwiegenheit der Mörder ergab, ist von grundsätzlicher Natur: Weil keine Organisation die Verantwortung für die Attentate übernahm, wurden die Ermittlungen nicht zentral geführt. Jede Behörde wurschtelte für sich und vor sich hin. Die Zwickauer Terrorzelle blieb jahrelang unentdeckt.

Ob die Jenaer Ermittler etwa jemals die Berichte über die Beschaffenheit des Keupstraßen-Sprengsatzes auf dem langen Dienstweg über die Polizei, das Landeskriminalamt in Düsseldorf, das Bundeskriminalamt in Wiesbaden und Landeskriminalamt in Erfurt bekommen haben, kann Wolf nicht sagen. "Es hat sich jedenfalls nie ein Kollege aus Thüringen bei uns gemeldet."

Die Idee, dass möglicherweise durch die Republik vagabundiere Rechtsterroristen zugeschlagen haben könnten, verwarfen die Kölner Ermittler schnell wieder - wenn sie ihnen überhaupt jemals gekommen war: "Die Profiler haben uns gesagt, dass wir es mit lokalen Tätern zu tun hätten. Darauf haben wir uns konzentriert", so Wolf. Offenbar war der Umstand, dass die Bombe vor dem Friseursalon von Özcan Yildirim auf einem Fahrrad transportiert worden war, ausschlaggebend für diese Einschätzung. "Wir gingen von Streitigkeiten im Milieu aus", sagt der Beamte. "Und wenn es nicht die Entwicklungen in Zwickau gegeben hätte, würde ich diese Auffassung noch immer vertreten."

"Die Keupstraße", schrieb die "Zeit" einmal, "ist wie ein bunter Hund in der großen Stadt." Es ist eine Welt für sich, mit etwa hundert Geschäften, in die sich selten ein deutscher Kunde verirrt: Konditoreien, Reisebüros, Cafés, Telefonshops. In der Schanzenstraße, einmal um die Ecke, liegen die Fernsehstudios, in denen Stefan Raab und Harald Schmidt ihre Sendungen produzieren. Doch das scheint meilenweit entfernt.

"Die strömen hier durch und verschwinden dann wieder"

"Ich habe immer wieder gesagt", so der Friseur Yildirim, "dass der Anschlag nichts mit mir zu tun hatte." Aber man habe ihm nicht geglaubt. Jetzt, endlich, sei der Beweis dafür erbracht. "Ich bin so erleichtert", sagt er. "Ich freue mich."

Die Politiker scheinen indes eine andere Reaktion zu erwarten. Im Schnelldurchgang hakt etwa die Bundesvorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, am Mittwochnachmittag Geschäfte, Cafés und Restaurants ab. Fünf Minuten je Lokal, dann geht die Mission Solidaritätsbekundung weiter. Das reicht für nicht viel mehr als ein paar warme Worte und ein Händeschütteln. Und natürlich für Fotos. Die Politikerin aus dem fernen Berlin wird von einem mittleren Pressetross begleitet, ebenso wie später der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD).

"Die kommen jetzt einer nach dem anderen", sagt der Gastronom Ali Yüce. "Die strömen hier durch und verschwinden dann wieder. Wir bleiben mit den Problemen zurück." Özcan Yildirims Frau hält die Besuche für "stressig". Man finde gar keine Zeit mehr für die Arbeit, sagt sie. Und in einem Café mault ein alter Mann: "Die kommen und gehen, aber keiner macht was."

Mitat Özdemir ist der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße, ein hagerer Herr mit Krawatte und randloser Brille. "Jetzt interessieren sich auf einmal alle, die Politiker kommen sogar aus Berlin", schmunzelt er. "Merkwürdig. Noch vor wenigen Tagen war das völlig anders. Wenn ich ein Anliegen vortrug, stieß ich auf eine Mauer."

Sigmar Gabriel jedenfalls hat nach einer Dreiviertelstunde auf der bitterkalten Keupstraße offenbar genug getröstet. Er zieht sich mit seiner Entourage in ein Restaurant zurück, es wird Tee serviert. Und die Wirtin, die sich vor einer guten Stunde wegen des hohen Besuchs noch mit der Polizei und der Parkplatzsituation vor ihrem Lokal herumärgern musste, spricht gütig: "Wir haben Verständnis. Er ist ein besonderer Mensch."

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