In Kleinstadt mit 7000 Einwohnern Modemilliardär will Wolkenkratzer bauen - in dänischer Provinz

Anders Holch Povlsen ist so etwas wie der dänische Jeff Bezos. Auf mehr als sechs Milliarden Dollar schätzt "Forbes" das Vermögen des Textilunternehmers, niemand in dem kleinen Königreich hat mehr Geld. Zu Povlsens Imperium gehören unter anderem die Marken Vero Moda und Jack & Jones, er ist außerdem Anteilseigner beim Mode-Versandhändler Zalando. Der 46-Jährige und sein Familienkonzern Bestseller wollen nun noch höher hinaus - mit einem 317 Meter hohen Turm.
Entstehen soll das höchste Hochhaus Westeuropas nicht etwa in London, Frankfurt oder Kopenhagen. Der von Stararchitektin Dorte Mandrup entworfene Komplex soll im jütländischen Brande errichtet werden. Brande? Eine Gemeinde mit nur etwas mehr als 7000 Einwohnern, ganz grob auf halbem Weg zwischen Aarhus und Nordsee.
Seit der dänischen Niederlage im Krieg mit Preußen 1864 prägt ein Motto das Land: Was im Äußeren verloren, muss im Inneren gewonnen werden. "Oder in der Höhe", könnte man angesichts der Turmpläne für die jütländische Provinz nun ergänzen.
Das Hochhaus soll das neue Wahrzeichen für Bestseller und für Brande werden, wo Povlsens Eltern den Modekonzern nach und nach aufgebaut hatten. Neben dem Büroturm sind auch Restaurants, Geschäfte, Wohnungen, Hotelzimmer sowie Parks und Marktplätze geplant.
Kritik an dem Projekt hält sich bislang in Grenzen. Nur wenige Naturschützer erhoben laut Danmarks Radio bislang ihre Stimme, Bestseller selbst verweist unter anderem auf die Pläne für ein firmeneigenes 125-Megawatt-Solarkraftwerk, mit dem der Energieverbrauch von Firmengebäuden gedeckt werden soll. Allerdings vermisst die "Königliche Akademie der Schönen Künste" angesichts einer solch weitreichenden Entscheidung eine übergeordnete politische Strategie.
Der Gemeinderat der Großkommune Ikast-Brande hatte selbstbewusst für das Projekt gestimmt. Im Interview erklärt Brandes Bürgermeister Ib Lauritsen, warum seine Gemeinde sich auf einen Turm freut, den Architekturprofessor Thule Kristensen mit Gebäuden aus "Herr der Ringe" verglich .
SPIEGEL ONLINE: Der Textilgigant Bestseller will in Ihrer Gemeinde mit kaum mehr als 7000 Einwohnern ein 320 Meter hohes Hochhaus bauen. Was bedeutet das für Sie?
Ib Lauritsen: Auf die Einwohnerzahl kommt es nicht an. Ich glaube, das wird auf Jütland eine Attraktion, der bereits viele entgegenblicken. Wie beim CN Tower in Toronto oder dem Eiffelturm in Paris könnten Menschen kommen, um sich das Bauwerk anzuschauen und den Turm zu besteigen.
SPIEGEL ONLINE: Brande wird also künftig in einem Atemzug mit Toronto, Paris oder London oder Frankfurt genannt?
Lauritsen: Zumindest was die Höhen der Gebäude anbelangt, ja.
SPIEGEL ONLINE: Was ist die größte Herausforderung mit dem Turm für Ihre Gemeinde?
Lauritsen: Die größte Herausforderung sind Menschen von weit weg, die den Turm aus irgendwelchen Gründen für falsch halten. Unter unseren Einwohnern ist der Rückhalt für dieses zu hundert Prozent private Projekt dagegen groß. Es wird von Bestseller geplant, umgesetzt und finanziert.
SPIEGEL ONLINE: Fürchten Sie nicht, dass solch ein Großprojekt Ihre Gemeinde verändert?

Ib Boye Lauritsen, 55, ist seit 2018 Bürgermeister von Brande. Zwölf Jahre lang saß der rechtsliberale Venstre-Politiker zuvor im Gemeinderat. Der gelernte Landwirt wuchs in der Nähe von Brande auf.
Lauritsen: Nein, davor habe ich keine Angst. Es geht ja erst mal bloß um ein sehr hohes Haus. Es ist aber tatsächlich für die Gemeinde und die ganze Region ein sehr großes Projekt, bei dem auch ein großes Einkaufszentrum entstehen soll und was noch so dazugehört.
SPIEGEL ONLINE: Werden wegen des Turms auch Menschen nach Brande ziehen?
Lauritsen: Heute pendeln sehr viele Menschen in den Ort. Wir haben hier genauso viele Arbeitsplätze wie Einwohner. Als Gemeinde fänden wir es natürlich schön, wenn sie hier wohnen würden, doch wie viele das werden, ist nur schwer abzuschätzen.
SPIEGEL ONLINE: Wissen Sie denn bereits, wie Sie den Turm touristisch vermarkten wollen?
Lauritsen: Nein, das ist ja aber auch kein Projekt, das morgen fertig wird. Vor 2024 oder 2025 rechnet hier keiner damit.
SPIEGEL ONLINE: Politisch wurde den Plänen im Gemeinderat bereits im März zugestimmt.
Lauritsen: Ja, ohne Gegenstimme. Und im Vorfeld hatten nur ein paar Architekten noch Bedenken geäußert.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie das in nur 17 Monaten Planungszeit geschafft? Bei deutschen Großprojekten gibt es oft großen Widerstand.
Lauritsen: Den gäbe es hier sicherlich auch in Dänemark, wenn wir in der Nähe von Aarhus oder anderen großen Städten wären. Doch wir sind glücklich, dass Bestseller seine neue Firmenzentrale auch am bisherigen Unternehmenssitz bauen will - sie hätten ja auch in einen anderen Ort gehen können.
SPIEGEL ONLINE: Der ländliche Raum als Standortvorteil?
Lauritsen: Ja! Wir sind es gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Hier im mittleren und westlichen Jütland geschieht nichts von selbst, wir müssen immer selbst etwas dafür tun. Daher haben wir auch Respekt vor Leuten, die solch einen Schritt wagen. Auch wenn es spektakulär ist, wenn man etwas höher baut. Wäre der Turm nur mit 50 Meter Höhe geplant worden, hätte das kaum jemanden interessiert.
SPIEGEL ONLINE: Jetzt soll der Turm so hoch werden, dass auch die dänische Luftwaffe erst noch ihr Okay geben musste.

Auf der grünen Wiese: Restaurants, Geschäfte, Wohnungen, Hotelzimmer
Foto: BESTSELLERLauritsen: Das muss sie aber schon ab 50 Metern. Da geht es um Beeinträchtigung des Radars, um Beleuchtung und andere Dinge. Das Militär hat die Sache geprüft, das war kein Problem.
SPIEGEL ONLINE: Wissen Sie, was der Turm kosten soll?
Lauritsen: Das wurde ich schon oft gefragt, aber ich habe keine Ahnung.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es bald auch andere Firmen, die bei Ihnen so kräftig investieren wollen?
Lauritsen: Das weiß ich nicht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass jemand anderes in Dänemark ein so hohes Haus bauen würde. Das wird einzigartig.