"Brigade Ost" Die Feierabend-Nazis vom Garagenhof
Sie trafen sich in einem Hinterhof in der ostdeutschen Provinz, teilten dort ihre rechte Gesinnung und gingen auf Linke los: Mitglieder der "Brigade Ost" in Johanngeorgenstadt sollen auch die Zwickauer Terrorzelle unterstützt haben. Einblick in eine rechtsextreme Clique.
Hamburg - Den Namen haben sie von ihrem Meister. Der sah die Gruppe junger Handwerker aus dem Erzgebirge als eine Einheit, weil sie in den neunziger Jahren gemeinsam zum Arbeiten vom östlichsten Zipfel Deutschlands in den Westen pendeln musste. Er nannte die Truppe aus dem Städtchen Johanngeorgenstadt an der tschechischen Grenze "Brigade Ost".
Heute prangt der Name an der rechten Außenwand eines Garagenkomplexes am Rande des sächsischen Ortes, aufgesprüht als Graffiti. Es wirkt wie ein Mahnmal für das Versagen der Behörden, was Rechtsextremismus in Deutschland angeht, seit täglich neue Enthüllungen zur Zwickauer Terrorzelle bekannt werden.
Denn auf dem Garagenhof traf sich ab 2000 eine Clique, deren Mitglieder auch engen Kontakt zu dem rechtsextremen Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehabt haben sollen, das für insgesamt zehn Morde verantwortlich sein soll. Einige "Brigade"-Mitglieder gelten inzwischen als mutmaßliche Unterstützer: Unter ihnen Matthias D., Mandy S. sowie die Zwillingsbrüder André und Maik E.
Die meisten Jugendlichen der "Brigade Ost" arbeiteten im Westen, aber lebten im Osten. Dort war ihr Lebensmittelpunkt und dort sollte er bleiben. Sie fuhren jedes Wochenende nach Hause, manchmal auch unter der Woche, trafen sich dann abends auf ein paar Bier und frönten ihrer rechtsextremen Gesinnung. Fremdenfeindlichkeit und Nationalstolz in einer dünn besiedelten, trostlosen Gegend, in der für den von den Nazis erschossenen Kommunistenführer Ernst Thälmann ein Denkmal erbaut wurde.
Die "Brigade Ost" hielt sie zusammen, machte sie stark. Manchmal jagten sie die, die sie als "Zecken" bezeichneten und deren politische Einstellung sie verachteten. Einige Jungs galten als gefährlich, einige sind vorbestraft. Im Ort nannte man sie "Stammtisch-Nazis". Wenn sie zu viel getrunken hatten, schlugen sie zu.
Doch die "Brigade Ost" blieb eine lose Clique ohne Struktur und Satzung, formierte sich weder zur Kameradschaft noch zu einem Verein - und so taucht die Gruppe auch nicht im Verfassungsschutzbericht auf. Anders als die "Skinheads Sächsische Schweiz", einer inzwischen verbotenen Kameradschaft mit organisiertem Schlägertrupp.
Eine "Schelle" für die "Wendegeneration"
Anhänger hatte die "Brigade Ost" reichlich. Als 2006 der Nazi-Online-Shop "Aufruhr Versand" aus Gera gehackt wurde, tauchten allein aus Johanngeorgenstadt, einer Kleinstadt mit 4600 Einwohnern, sechs Personen auf, die Reichskriegsflaggen und Musik der Berliner Rechtsrock-Band "Die Lunikoff Verschwörung" geordert hatten. Auf der Bestellliste der Bekleidungsmarke Thor Steinar standen gar 20 Kunden aus Johanngeorgenstadt.
Die Bewohner des Ortes, der früher vom Bergbau lebte, suchen nach Erklärungsansätzen, warum ihrer Stadt ein brauner Stempel aufgedrückt wird. Die, die Kontakt zur Terrorzelle gehabt haben sollen, zählten zur "Wendegeneration", sagen Anwohner und beschreiben sie als Jugendliche, deren Eltern mit der neuen Situation überfordert gewesen seien, ihre Arbeit verloren und schon zu DDR-Zeiten "ihre Kinder eher mit der Faust" erzogen. "Wenn die Kids nicht pariert haben, gab's ne Schelle", sagt einer. "Die Orientierungslosigkeit ihrer Eltern hat den Ruck nach rechts bestärkt." Rechtsextremismus als Auffangbecken für die "Wendegeneration"?
Zwischen 100 und 150 Jugendliche habe es in der Stadt zu der Zeit gegeben, als sich die "Brigade Ost" zusammenrottete, erinnert sich einer. Und wie in vielen Gebieten Ostdeutschlands spalteten sie sich mit der Wende in ein rechtes und ein linkes Lager, der einende Feind, das System DDR, hielt sie nicht mehr zusammen.
Zum rechten Lager gesellten sich André und Maik E., Zwillingsbrüder aus Johanngeorgenstadt. Beide galten als gefährlich und gewaltbereit. André E. soll bis vor kurzem Kontakt zur untergetauchten Zwickauer Terrorzelle gehalten haben. Im Schutt des abgebrannten Wohnmobils fanden Ermittler Bahncards auf seinen Namen und den seiner Frau Susann, die von Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt benutzt und von E. selbst bezahlt worden sein sollen. Zudem lagen in den Trümmern des explodierten Wohnhauses des Trios Handzettel von seiner Firma, die sich auf die digitale Verarbeitung von Videos und Filmen spezialisiert hat - dieser Flyer gilt derzeit als Indiz für die Vermutung, E. könnte beim Erstellen des Films geholfen haben, der die zehn Morde der vergangenen Jahre auf schreckliche Art und Weise dokumentiert. Die Generalbundesanwaltschaft führt André und Susann E. inzwischen als Beschuldigte.
Maik E., Bruder von André E., verließ 2003 Johanngeorgenstadt, zog nach Hildesheim und versuchte sich als Tätowierer. "Er lernte die falsche Frau kennen, die ihn tief in die rechte Szene zerrte", behauptet ein ehemaliger Anhänger der "Brigade Ost". Inzwischen lebt er in Brandenburg. Im brandenburgischen Verfassungsschutzbericht von 2010 taucht Maik E. als "Stützpunkt"-Vertreter der NPD-Jugendorganisation auf.
"Die haben sich echt gewandelt"
Matthias D., ebenfalls aus Johanngeorgenstadt, soll zwei Wohnungen in Zwickau gemietet haben, in der das Trio Unterschlupf fand. Die Miete sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in bar bezahlt haben. Sein Anwalt sagt, D. habe aus reiner Naivität gehandelt und werde als Zeuge, nicht als Beschuldigter geführt. Das glaubt auch der Weggefährte von damals: "Matthias war eher ein Mitläufer, und er ist ein Sparfuchs, ich denke, er hat die Wohnungen nur gemietet, weil er von den Bewohnern mehr Geld bekam, als sie ihn kostete."
Mandy S. aus dem benachbarten Schwarzenberg, eine gelernte Friseurin und ebenfalls Mitglied der "Brigade Ost", soll mit ihren Papieren Beate Zschäpe ausgeholfen haben.
Szenekennern zufolge soll die "Brigade Ost" zwar unorganisiert gewesen sein, aber immer eine Nähe zum "Freien Netz" gepflegt haben. Beim "Freien Netz" handelt es sich um einen Zusammenschluss gewaltbereiter Neonazis aus Sachsen. Auf Demonstrationen schwenken sie schwarze Fahnen mit dem Schriftzug "FN". Im Thüringer Verfassungsschutzbericht 2010 heißt es, das "Freie Netz" sei ein Internetportal zur Ankündigung von Terminen, die Vereinigung selbst versteht sich als neonazistisches Avantgarde und "politisches Netzwerk" von Kadern der rechten Szene, die von einer "NS-Ersatzorganisation" träumt - unter ihnen auch Mitglieder der NPD.
Die Mitglieder der "Brigade Ost" wohnen zum größten Teil nicht mehr in Johanngeorgenstadt, haben Arbeit und eine Familie. Um die Clique ist es entsprechend ruhiger geworden, was leicht zu Fehlinterpretationen führt. So behauptet ein Nachbar, die "Brigade Ost" sei heute nur noch ein Club alter Herren, die ihr Bier trinken und sich in rechtsextremen Phrasen verlieren würden. "Gefahr geht von denen keine aus. Die haben sich echt gewandelt."
Als Beispiel führt er Frank S. an. Er ist der Ex-Freund von Friseurin Mandy S. und Vater der gemeinsamen Tochter, ein kleiner, eher schmächtiger Mann, der immer aggressiv war. Seit er Vater sei, habe er sich im Griff und sei "auf einem guten Weg", sagt der Nachbar. "Heute würde ich sagen: Das sind die sympathischen Jungs von nebenan."