Britischer BH-Streit Kampf ums Körbchen
Brighton - Beckie Williams hält einen fleischfarbenen Büstenhalter in Größe 90 K in den Händen, und sagt, sie sei sehr zufrieden. Sie ist umringt von BHs, schwarzen mit weißen Punkten, roten mit Spitze, grünen mit Polstern, weißen mit roten Erdbeeren, blauen mit durchsichtigen Trägern.
Beckie Williams hat es geschafft.
"Ab sofort kosten bei uns alle BHs das Gleiche. Auch die großen Größen", prangt es in weißen Lettern auf einem lilafarbenen Schild an der Wand, vor der sie sitzt. Beckie Williams hat den britischen Warenhausgiganten in die Knie gezwungen, hat erreicht, dass die "Tit-Tax", die Busen-Steuer, abgeschafft wurde.
Es war die wohl einzige Woche in der Geschichte Großbritanniens, in der ein ganzes Land freimütig über Büstenhalter in Übergrößen debattierte - ohne dass die Diskussion in Zotigkeit abglitt.
Immerhin ging es um den Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung - dazu hatte "Busts for Justice", der "Büsten-Bund für Gerechtigkeit" aufgerufen, angeführt von Williams.
Mehr als die Frage, ob ein BH ab der Größe DD (in europäischen Größen F) mehr kosten dürfe als kleinere Modelle, bewegte die Britin in den vergangenen Tagen nur die Abgebrühtheit ihrer Parlamentarier, die Gartenarbeiten und Videoleihgebühren als Spesen abgerechnet hatten. Immer wieder ist Beckie Williams in den vergangenen Tagen gefragt worden, ob es nicht angemessen wäre, dass sich auch Gordon Brown ins Getümmel des Körbchen-Kampfes stürzte.
"No-ooooh", hat Williams stets geantwortet und geschmunzelt. Der Premier einer der größten Nationen Europas habe denn doch andere Aufgaben zu bewältigen, als den "Sturm im D-Körbchen beizulegen".
Kampf der "Weiblichkeitssteuer"
Um zu begreifen, warum Williams dieser Tage Tausende Dankesmails aus dem gesamten Königreich erreichen, sie mehrfach im Fernsehen aufgetreten und sogar von Journalisten aus Mexiko kontaktiert worden ist, muss man das Phänomen Marks & Spencer verstehen.
125-jähriges Jubiläum feiert die Warenhauskette derzeit, M&S ist eine Institution in britischen Fußgängerzonen, Generationen von Frauen haben sich dort eingekleidet, Tausende Briten greifen in der Lebensmittelabteilung allmittäglich zu Sandwichs und Salaten für die Lunchpause.
Kein Unternehmen verkauft mehr Unterwäsche in Großbritannien als M&S: Jede dritte Britin hat einen Büstenhalter der Kette im Kleiderschrank, 20 Millionen BHs gehen jährlich über die Ladentheke, 45 in jeder Minute, alle 1,33 Sekunden schlägt irgendwo auf der Insel eine Kundin zu - entscheidet sich für Modelle mit Herzchen oder Rüschen oder unifarbene Klassiker.
Vielleicht macht das verständlicher, welche Aufregung das Unternehmen verursachte, als es auf einige Modelle ab der Größe DD eine extra Gebühr von zwei Pfund, umgerechnet rund 2,26 Euro, erhob. Größere BHs bedürften höherer Ingenieurskunst, mehr Arbeit und mehr Stoff müssten aufgewendet werden, argumentierte M&S - und löste einen Sturm der Entrüstung auf der Insel aus.
Beckie Williams, 26 Jahre alt, studierte Literaturwissenschaftlerin mit wachem Blick und fröhlichem Gemüt, schrieb im Oktober 2007 deshalb einen Beschwerdebrief an die Zentrale. "Meine Brüste sind Teil meines Körpers, ich trage sie nicht zu besonderen Zwecken herum, ich habe sie mir nicht ausgesucht, ich denke nicht permanent daran, dass sie einmal ein Kind ernähren werden oder gar daran, dass sie ein Sexobjekt sind. Sie sind schlicht ein Körperteil, so wie auch ein Knie eines ist", sagt Williams. "Wenn Frauen keinen BH tragen, dann doch bitte, weil sie keinen tragen wollen - und nicht, weil sie keinen finden."
Ihre Körbchengröße zählt inzwischen fast zum Kanon britischen Allgemeinwissens, kaum ein Medium von "Sun" über "Guardian" bis zur "BBC", das nicht darüber berichtet hat.
Als Trägerin eines BHs in Größe 65 G war Williams von der "Weiblichkeitssteuer" betroffen. Williams musste mehr bezahlen - dabei waren die BHs in ihrer Größe kleiner als beispielsweise ein Modell in 85 B. Denn die Körbchengröße verhält sich proportional zum Brustumfang. Mit anderen Worten: Körbchen ist nicht gleich Körbchen.
Williams hat eine Brustweite von rund 94 Zentimetern, vergleichbar mit der Oberweite einer Frau, die einen BH in Größe 80 B trägt. Weit weniger beeindruckend also, als es der Buchstabe G suggeriert. Wer eine Pamela Anderson im Kopf hat oder hinter "Busts for Justice" dralle Vollweiber vermutet, liegt falsch.
"Interesse für Großbusige und Gerechtigkeitssinn"
Williams arbeitete mit dem Konzern zusammen, betätigte sich gar als Undercover-Einkäuferin, um die Zustände in der Unterwäscheabteilung für die Kundinnen zu ändern und die Fähigkeiten der Verkäuferinnen beim Ausmessen der Oberweite zu verbessern. Gemeinsam mit einer Frau aus dem Management besucht Williams Filialen, ließ das Maßband an ihre Brust anlegen - und hörte von Verkäuferinnen Kommentare wie: "Ich weiß, dass ich das eigentlich nicht sagen sollte, aber sie sind ganz schön knochig. Man kann ja sogar ihre Rippen sehen."
Es gab einiges zu tun für M&S.
Als das Unternehmen Monate später trotz andauernder Beschwerden weiter darauf beharrte, der höhere Preis für größere Körbchen sei gerechtfertigt, gründete Williams die Gruppe "Busts for Justice" auf der Internet-Plattform Facebook.
Erklärte Adressaten: "Alle großbusigen Frauen", und überhaupt alle Menschen, die "Interesse für Großbusige und Gerechtigkeitssinn" haben. Wenige Tage später zählte "Busts for Justice" 15.000 Mitglieder. Die Betroffenen sollten das Unternehmen telefonisch, per Mail oder Postkarte auffordern, die "Steuer" wieder abzuschaffen, appellierte Williams.
Die "News of the World" bot ihr an, sie barbusig abzulichten
Monatelang bewegte sich jedoch wenig im Kampf um die Körbchen. Im April 2009 erreichte Williams versehentlich eine interne Mail der PR-Abteilung von M&S, darin heißt es: "Momentan haben wir angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage nicht vor, die Preise zu verändern."
Williams musste das Dessous-Feld von innen aufrollen. M&S erwies sich als außerordentlich resistent gegenüber den Belangen seiner Kundinnen. Sie kaufte für 3,40 Pfund eine Aktie des Unternehmens, um sich Zugang zur Hauptversammlung zu verschaffen und ihr Anliegen und das Tausender anderer Frauen dort vorbringen zu können.
Williams ist sehr zierlich, sie arbeitet als Übersetzerin und Autorin, und wenn sie spricht, lacht sie viel. Sie wirkt nicht wie eine Frau, die es darauf abgesehen hat, mit ihrem Brustumfang in den britischen Medien hausieren zu gehen und groß rauszukommen. "Für mich drehte sich das alles nicht um Sexismus. Für mich war es einzig eine Frage der Kundenbetreuung", sagt sie.
Dass die "Sun" ihre Seite-Drei-Mädchen ins Rennen schickte und unter dem Slogan: "Finger weg von unseren Brüsten!" gegen den Aufpreis kämpfte, hat Williams nicht gutgeheißen, verhindern konnte sie es nicht. "Es gab schon Zeiten, in denen ich fürchtete, es würde mir über den Kopf wachsen."
Die "News of the World" bot ihr an, sie barbusig abzulichten. "Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich es auch einfacher haben können", sagt Williams knapp und klingt amüsiert.
"Brüste raus!" skandierten Nutzer auf der Facebook-Seite von "Busts for Justice". Andere kommentieren: "Ihh, die ist hässlich."
Ihr sei es immer um die Sache gegangen und nicht um sich als Person, sagt Williams. "Ich bin nicht furchtlos, aber ich denke, man sollte die Dinge ausprobieren. Im schlimmsten Fall stehst du am Ende als Idiot da. Das tue ich seit Wochen."
Besondere Häme ereilte sie ausgerechnet von anderen Frauen: Großbusige seien entweder operiert oder sie seien übergewichtig und hätten sich die großen Brüste somit "angefressen". Sei beides wider Erwarten nicht der Fall, sollten sich die Betroffenen nicht beschweren, sondern sich freuen - und zahlen.
"We boobed"
"Ich bin nicht besessen von dem Gedanken an Unterwäsche. Ich habe nur nicht verstanden, warum die größeren BHs teurer sein sollen - die kleineren müssen sie doch viel mehr ausstopfen. Normalerweise ziehe ich morgens einen BH an und denke dann nicht weiter darüber nach, wo meine Brüste im Laufe des Tages hinwandern", sinniert Williams.
Ganze drei Tage dauerte es, bis der Konzern in die Knie ging - und sich entschuldigte. M&S schaltete ganzseitige Anzeigen in überregionalen britischen Zeitungen. Zu sehen war ein üppiges Dekolleté, dazu der doppeldeutige Satz: "We boobed." - boob, umgangssprachlich für Brust, zu Deutsch aber auch: "Wir haben einen Bock geschossen."
Die "Tit Tax" wurde abgeschafft, als Entschuldigung offeriert M&S seinen Kundinnen nun zwei Wochen lang 25 Prozent Rabatt auf alle Büstenhalter - Williams sei Dank. Aus dem ganzen Land erreichen sie nun Mails des Lobes. Frauen erzählen ihr ungefragt ihre Lebensgeschichten, schreiben von Brüsten der Größe K und der Last, die sie damit zu tragen haben.
Nach einem gemeinsamen Fernsehauftritt tönte M&S-Chef Stuart Rose, sie sei eine "beeindruckende", "temperamentvolle", "resolute" Frau. "Ich dachte schon, er schenkt mir ein Buch von Spartacus, dem Anführer des Sklavenaufstands im Römischen Reich", sagt Williams. Statt dessen gab es die Firmengeschichte von Marks and Spencer. Auf Hochglanzpapier, immerhin.