Neues Männerbild "Unsicherheit aushalten - das ist männlich"

Der moderne Mann hat es schwer: Sensibel soll er sein, aber kein Schwächling; gepflegt, aber nicht eitel. Im Interview spricht Buchautor Matthias Lohre darüber, was Frauen über den Mann neuen Typs wissen müssen - und was einen milden Kerl vom Weichei unterscheidet.
Harter Kerl, weicher Teddy: Irgendwo versteckt sich hier das neue Männerbild

Harter Kerl, weicher Teddy: Irgendwo versteckt sich hier das neue Männerbild

Foto: Corbis

SPIEGEL ONLINE: Herr Lohre, die Literatur über das Verhältnis von Frauen und Männern füllt bereits diverse Regalmeter. Braucht die Welt noch ein "Geschlecht A soll Geschlecht B besser verstehen"-Buch?

Lohre: Das ist nicht mein zentrales Anliegen. Mir geht es im Kern darum zu sagen: Habt mehr Empathie füreinander. Merkt, was ihr dem anderen zumutet. Ich will nicht in die Schützengräben der Geschlechterdebatte geraten.

SPIEGEL ONLINE: Sondern?

Lohre: Es muss doch möglich sein, über das Geschlechterverhältnis zu reden, ohne zu sagen: Männer oder Frauen sind doof. Es gibt so viele Bücher und Komiker, die genau das machen.

SPIEGEL ONLINE: Und das nervt Sie?

Lohre: Es ermüdet, wenn immer wieder das Klischee gebracht wird, dass diese männlichen Trottel nur halbwegs vernünftige Menschen werden, wenn eine Frau sie maßregelt wie früher die Mutter. Umgekehrt ist es nervig, wenn Frauen empathische Männer mit Schwächlingen verwechseln. Männer können sich nicht ändern, wenn Frauen ihr Verständnis von einem richtigen Mann nicht revidieren.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie wollen zur Veränderung beitragen?

Lohre: Genau. Das Buch richtet sich ja auch explizit an Frauen.

SPIEGEL ONLINE: Dann vervollständigen Sie doch mal bitte folgenden Satz: Frauen müssen über den modernen Mann wissen, dass...

Lohre: ...er nicht so grundsätzlich anders ist als eine Frau. Es ist halt reizvoller, die Unterschiede zu suchen, aber es fällt zunehmend schwer zu sagen, was genuin männlich ist.

SPIEGEL ONLINE: Sagen Sie es uns.

Lohre: Zu den eigenen Stärken und Schwächen zu stehen, auch wenn sie nicht dem klassischen heterosexuellen Männlichkeitsverständnis entsprechen. Dann hat man auch keine Angst mehr, gegen irgendwelche ungeschriebenen Gesetze zu verstoßen. Diese Unsicherheit und den Unterschied zum Rollenklischee auszuhalten - das ist männlich.

SPIEGEL ONLINE: Und das tun milde Kerle? Man könnte den Eindruck gewinnen, das sind die Weicheier von früher, nur mit schickeren Hemden und mehr Haargel.

Lohre: Das täuscht. Das Weichei versucht, die Ansprüche von Frauen zu erfüllen. Ein milder Kerl ist im Gegensatz dazu emanzipiert. Er macht sich unabhängig vom grundsätzlichen Lob der Frauen.

SPIEGEL ONLINE: Sie auch?

Lohre: Ich habe beim Schreiben gemerkt, wie schwer das ist. Zum Beispiel dieser Quatsch, dass ich nur für mich selber Marathon laufe. Ich achte natürlich darauf, wie Frauen reagieren, wenn ich ihnen meine Zeiten sage. Anderes Beispiel: Ich habe mich dabei ertappt, dass ich mir einredete, ich wolle allein aus eigenem Antrieb beruflich erfolgreich sein. Natürlich geht es mir dabei auch darum, dem Bild vom echten Mann gerecht zu werden. Und der macht nun mal Karriere.

SPIEGEL ONLINE: Es ist also anstrengend, ein milder Kerl zu sein?

Lohre: Ja, weil man täglich widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt ist.

SPIEGEL ONLINE: Welchen?

Lohre: Sei ein guter Verdiener, der die Windeln wechselt. Sei emotional, aber nicht so sensibel. Zeige den eigenen Status, aber gib nicht an. Flirte, aber hab keine Angst davor, zurückgewiesen zu werden. Sieh gepflegt aus, ohne dass man dir den Aufwand anmerkt. Deshalb hakt es oft in Beziehungen - Männer können machen, was sie wollen, und es ist nicht genug. Sich das bewusst zu machen, scheuen aber viele wie alkoholfreies Bier. Da könnte ja rauskommen, dass man Ängste oder Schwächen hat.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Diagnose lautet also: Die Ansprüche an den modernen Mann sind unerfüllbar. Ziemlich frustrierend, oder?

Lohre: Ja, klar. Aber genau diesen Frust gilt es auszuhalten.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie schaffen das?

Lohre: Meist. Manchmal hilft Alkohol, manchmal Schokolade. Und manchmal nur beides zusammen.

SPIEGEL ONLINE: Das hört sich so an, als hätten Sie für das Buch besser den Untertitel gewählt: Wie schwer es heute Männer haben.

Lohre: Ja, kann sein. Aber dann hätten wieder viele gesagt: Ach Gott, jetzt jammern die Männer wieder. Wenn Männer etwas nicht sein sollen, dann Jammerlappen.

SPIEGEL ONLINE: So eine Litanei wäre ja auch unangebracht, oder? Frauen waren Jahrhunderte benachteiligt, und kaum ändert sich was, meckern die Männer.

Lohre: Stimmt schon. Aber ich will ja die Probleme der Geschlechter nicht gegeneinander ausspielen. Wenn Männer und Frauen nicht versuchen, die Bedürfnisse des anderen Geschlechts zu sehen, dann wird es immer ein Ungleichgewicht geben. Und das ist für beide Seiten schlecht. Die Beziehung schlägt in Spott, Häme und Verachtung um, wenn die Verliebtheit erst mal weg ist. Das Gegenüber ist nicht die Erfüllung aller Sehnsüchte.

SPIEGEL ONLINE: Leben Sie diese Erkenntnis auch privat?

Lohre: Derzeit nicht, ich bin Single.

SPIEGEL ONLINE: Ist das bei diesem Thema kein Problem?

Lohre: Nein. Wenn ich in einer Beziehung wäre, stellte sich ständig die Frage, wie diese Frau mit Männern umgeht. Dann wäre der Blick wieder auf eine andere Person gerichtet. Ich glaube eher, mein Singleleben ist ein Vorteil. Im Idealfall denkt sich eine Frau: Cooler Typ, wieso ist der denn Single, dem sag ich mal hallo.

SPIEGEL ONLINE: War das Ihr Hauptmotiv, das Buch zu schreiben?

Lohre: Ich sag mal nein.

Die Fragen stellte Benjamin Schulz

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