Burka-Verbot in Frankreich Hinter dem Schleier

Wie wirkt das Burka-Verbot in Frankreich? Polizisten kontrollieren immer wieder dieselben verschleierten Frauen, die Bußgelder übernimmt ein reicher Aktivist. Folgenlos ist das Gesetz dennoch nicht.
Von Verena Hölzl
Frau im französischen Meaux (Archiv): Verschleierten drohen in Frankreich Bußgelder

Frau im französischen Meaux (Archiv): Verschleierten drohen in Frankreich Bußgelder

Foto: © Charles Platiau / Reuters/ REUTERS

"Bonjour, Madame Lécuyer", sagte der Polizist. Stéphanie Lécuyer war da gerade auf dem Weg nach Hause. Dann lief alles ab wie gewohnt: Schleier heben, Identitätskontrolle. Bei der Polizei in ihrem Viertel in Nizza kennt man die Frau mit dem Ganzkörperschleier, die Kontrolle ist ein geübtes Ritual. Wieder und wieder wird die Muslimin überprüft, zu Bußgeldern verurteilt - doch das ändert nichts an ihrer Einstellung.

Lécuyer verschleiert ihren Körper mit einem Nikab, einer abgewandelten Form der Burka. Das ist in Frankreich seit 2011 verboten: Aus Sicherheitsgründen darf im öffentlichen Raum niemand sein Gesicht verhüllen. Der Volksmund spricht vom Burka-Verbot, wie es in Deutschland auch immer wieder diskutiert wird.

Die Frage ist: Wie beeinflusst das Verbot den Alltag in Frankreich? Wie wird es umgesetzt? Die Recherchen und die Gespräche mit Stéphanie Lécuyer begannen im vorigen Jahr, nachdem eine verschleierte Touristin die Pariser Oper verlassen musste. Dann verübten islamistische Terroristen im Januar Anschläge auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt. Es war eine Zäsur. Aber war es das auch im Umgang mit dem Burka-Verbot?

Seit Januar hätten zwar die Kontrollen nicht unbedingt zugenommen, erzählt Lécuyer. Dafür werde sie inzwischen öfter aufs Kommissariat vorgeladen. Außerdem werde sie seit dem Attentat mit ihrem Nikab teilweise nicht mehr in Kinos oder Kaufhäuser gelassen, was vor dem Terroranschlag seltener vorgekommen sei.

"Die Menschen haben seit den Anschlägen mehr Mut, ihre Ressentiments gegenüber Frauen mit Burka zu äußern", sagt Stéphanie Lécuyer. Sie, die vor 22 Jahren vom Christentum zum Islam konvertierte, werde auf der Straße häufiger angepöbelt, in ihrem Viertel zum Beispiel nenne man sie "Verräterin".

Muslimin 2011 auf dem Weg zur Polizeistation in Nantes: Umstrittenes Gesetz

Muslimin 2011 auf dem Weg zur Polizeistation in Nantes: Umstrittenes Gesetz

Foto: FRANK PERRY/ AFP

Stéphanie Lécuyers Beispiel zeigt: Der direkte Erfolg des Burka-Verbots ist begrenzt. In den vergangenen Jahren erhielt die 40-Jährige mehr als 15 Bußgeldbescheide. Kontrolliert wurde sie weitaus häufiger, manchmal sogar mehrfach am Tag. Dennoch denkt sie nicht daran, ihren Nikab abzulegen. Und so wie ihr geht es vielen Musliminnen.

Stéphanie Lécuyers Beispiel zeigt aber auch: Folgenlos bleibt das Gesetz nicht. Muslimverbände könnten mit ihren Befürchtungen recht behalten, dass es "einen legalen Deckmantel bietet, verschleierte Frauen anzupöbeln", wie etwa M'hammed Henniche sagt, Vorsitzender des Muslimverbandes Union des associations musulmanes de la Seine-Saint Denis.

Großes Aufsehen erregte etwa im vergangenen Herbst am Pariser Ostbahnhof Nadine Morano, Europa-Abgeordnete der konservativen Sarkozy-Partei (damals noch UMP, heute Les Républicains), als sie eine Frau aufforderte, unverzüglich ihren Ganzkörperschleier abzulegen.

"Wir können niemanden zwingen"

Laut dem Observatoire de la laïcité, einem staatlichen Institut, das über die Einhaltung der in Frankreich geltenden Trennung von Staat und Kirche wacht, sind es oft dieselben Ganzkörperverschleierten, die von der Polizei angehalten werden. "Wir können letztlich niemanden dazu zwingen, den Schleier abzunehmen. Auch wenn das natürlich das Ziel wäre", erklärte Referent Nicolas Cadène.

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Verschleierte Frauen: Formen der Verhüllung

Foto: Paula Bronstein/ Getty Images

Im Alltag kann das zu merkwürdigen Situationen führen. So räumte im vergangenen Jahr ein Vertreter der Polizeigewerkschaft ein, dass Polizisten die Kontrollen auch schon mal meiden, weil stets dieselben Frauen erwischt würden. Das Burka-Verbot umzusetzen, sei für die Beamten schwierig. Neben Bußgeldern von bis zu 150 Euro können Kurse in Staatsbürgerkunde verhängt werden.

Im Gesetzestext ist weder die Rede von Islam noch von Burka oder Nikab. "Es handelt sich nicht um ein antireligiöses Gesetz", sagt Nicolas Cadène. Als Ex-Präsident Nicolas Sarkozy 2009 eine erste Arbeitsgruppe einberief, war das Verbot des Ganzkörperschleiers jedoch das ausgegebene gesetzgeberische Ziel.

"Das Gesetz ist purer Populismus", echauffiert sich Muslimvertreter Henniche. Als im August 2013 in einem Pariser Vorort die Identitätskontrolle einer verschleierten Frau zu tagelangen Ausschreitungen führte, vermittelte er zwischen muslimischer Gemeinde und Polizei. "Das Verbot hat nichts bewirkt, außer die Muslime wieder einmal in schlechtes Licht zu rücken", sagt er.

Ein Geschäftsmann übernimmt die Bußgelder

Dabei seien Musliminnen mit Ganzkörperschleier eine Seltenheit. Nach Schätzungen des Innenministeriums verhüllen etwa 2000 ihren Körper, meist sind sie zwischen 20 und 30 Jahre alt und zum Islam konvertiert. Henniche, der in der Anfangsphase der Gesetzesinitiative konsultiert wurde, spricht noch dazu von geschönten Zahlen. Als die Diskussion begann, habe das Innenministerium höhere Zahlen genannt, um die Stimmung zu beeinflussen.

Auch Rachid Nekkaz lehnt das Gesetz ab. 2010 gründete er den Verein "Touche pas à ma constitution" ("Finger weg von meiner Verfassung"). Er versucht, das Gesetz zu unterwandern, indem er die verhängten Bußgelder übernimmt. Fast 200.000 Euro hat Nekkaz nach eigenen Angaben bereits gezahlt und dafür eine Immobilie im Großraum Paris verkauft. "So will ich das Gesetz nutzlos machen", erklärt der Geschäftsmann. Seit dem Attentat von Paris sei die Zahl der Bußgeldbescheide, die bei ihm landen, gestiegen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte das Burka-Verbot im vergangenen Sommer bestätigt. Es sei keine Diskriminierung, es verstoße nicht gegen den Schutz des Privatlebens und auch nicht gegen die Meinungs- und Religionsfreiheit.

Verständnis dafür bringt am Ende eine auf, von der man es am wenigsten erwarten würde: Stéphanie Lécuyer. "Wir müssen uns vor islamistischen Extremisten schützen", sagt sie. "Deshalb lasse ich mich auch gerne kontrollieren - vor allem seit den Anschlägen auf 'Charlie Hebdo'."

Dass es nicht um die Kontrolle geht, sondern darum, dass sie ihren Nikab dem Gesetz zufolge in der Öffentlichkeit überhaupt nicht tragen dürfte, daran denkt sie offenbar nicht.

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