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Cannabis-Boom in den USA: Grüne Welle

Foto: Fabian Reinbold

Cannabis in den USA Der neue Goldrausch

Ein Milliardenbusiness erwächst: Immer mehr US-Bundesstaaten legalisieren Marihuana, Unternehmer und Lokalpolitiker wittern ihre Chance. Dabei steht die Grasökonomie schon wieder auf der Kippe.

Wer den Medizinmann sucht, muss einfach der Nase folgen. Der Cannabis-Geruch sticht in die Nase, sobald man aus dem Auto steigt. Drei große Anbaugebiete quetschen sich in diesen Straßenblock, in der Mitte thront das Unternehmen "Medicine Man"  in einem schlichten Betonkasten und lässt es auf 3700 Quadratmetern wachsen, wachsen, wachsen.

Andy Williams, ein gemütlicher Mann mit Fünftagebart, führt einen sogleich durch die "Green Mile", wie die Gewächshäuser in der Halle heißen. 108 Hanfpflanzen lässt er hier in Denvers Industrieviertel Montbello Tag für Tag ernten. Durch das Rauschen der Lüftung ruft er heiser: "Was wir hier machen, ist keine Landwirtschaft, sondern industrielle Produktion am Band!"

Williams, 48 Jahre alt, ist Pionier einer Branche, die in den USA boomt. In jedem zweiten Bundesstaat ist Marihuana per Rezept erhältlich und in mehreren Staaten auch zum Freizeitkonsum. In Colorado hat es Williams als Geschäftsmann zu gewisser Berühmtheit gebracht. Und er hat einen Plan, wie er von der neuesten Entwicklung in Sachen Cannabis profitieren kann.

Denn der Wahldienstag vor drei Wochen hat nicht nur Donald Trump zum nächsten Präsidenten gemacht, sondern auch zig Millionen Amerikanern den legalen Zugang zum Haschischrausch gebracht.

Nicht nur als Medikament, sondern auch zum Freizeitkonsum wird das Rauschmittel jetzt in Kalifornien, Nevada, Maine und Massachusetts legal. Die Freigabe im bevölkerungsreichsten Bundesstaat an der Westküste löst ein wahres Fieber aus. Schließlich ist Kalifornien schon seit der Legalisierung von medical marijuana der größte Cannabis-Markt der USA. Das Geschäft wird mit der Legalisierung auch zum Freizeitspaß noch deutlich wachsen.

Alle stehen staunend vor dem Megabusiness Marihuana

Für die einen ist das der Durchbruch beim Projekt, Cannabis landesweit zu entkriminalisieren und den war on drugs, wie das rigorose Vorgehen der Sicherheitsbehörden genannt wird, zu beenden. Die anderen warnen, hier werde eine Droge hoffähig gemacht, deren Suchtpotenzial unterschätzt wird. Beide Lager stehen staunend vor dem Megabusiness Marihuana.

Andy Williams auf der "Green Mile"

Andy Williams auf der "Green Mile"

Foto: Fabian Reinbold

Andy Williams, der mit "Medicine Man" mittlerweile 74 Mitarbeiter beschäftigt, wittert das nächste Geschäft nicht mehr als Großproduzent und Verkäufer, sondern als Cannabis-Consultant - als derjenige also, der andere beim Einstieg in das Geschäft berät. "Womit war denn im Goldrausch das meiste Geld zu machen?", fragt er ohne die Antwort abzuwarten. "Nicht mit Gold, sondern mit dem Verkauf von Pickel und Schaufel!"

Ein McDonald's für Marihuana

Goldrausch, das Wort hört man jetzt öfter, wenn es um Marihuana und die USA geht. Wie der aussieht, lässt sich in Colorado beobachten, das bereits 2014 den Hanf freigegeben hat. Allein im September wurde im Fünf-Millionen-Einwohner-Staat Cannabis für 128 Millionen Dollar gekauft. Ein neuer Rekordmonat, so wie der August und der Juli auch schon.

Bei "Medicine Man" gibt es Blüten der Hauszüchtungen namens Screaming Gorilla oder Blue Dream, THC-Gummitiere und -Schokolade, ein THC-Sexöl, fünf Milliliter für 27 Dollar. Die Pflanzen baut man selbst an, reproduziert die Genome der Pflanze. "Wir sind wie McDonald's", sagt Williams, ohne dass da irgendetwas Negatives mitschwingt. "Es schmeckt immer gleich, es fühlt sich gleich an."

Die Einnahmen sind so verlockend, dass immer mehr Grasunternehmer ins Geschäft drängen. Deshalb will Williams in die Beratung gehen. "Die meisten unterschätzen, wie teuer es mittlerweile ist, überhaupt einzusteigen", sagt er.

Im Staat legal, im Bund illegal

Die Auflagen sind streng. In Colorado muss jede einzelne Pflanze mit einem Funkchip versehen werden, mit dem sie geortet werden kann. Der THC-Gehalt jeder Züchtung muss regelmäßig im Labor kontrolliert werden. Und: Marihuana mag in immer mehr Einzelstaaten legalisiert sein, doch nach Bundesrecht ist die Droge weiterhin illegal.

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Cannabis-Boom in den USA: Grüne Welle

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Das sorgt für allerlei Unsicherheiten und Komplikationen, etwa beim Bezahlen: Kreditkartenfirmen verweigern Cannabis-Firmen Transaktionen, die meisten Banken lassen sie keine Konten eröffnen und die wenigen, die es doch tun, verlangen hohe Gebühren. Wer mit Cannabis reich werden will, muss mit sehr viel Cash umgehen können.

Das Geschäft nahm erst richtig Fahrt auf, als Obamas Justizministerium im Jahr 2013 ankündigte, Einzelstaaten, die die Droge reguliert freigeben, nicht strafrechtlich zu verfolgen.

Der künftige Präsident heißt aber Trump - und zu seinem Justizminister will er den erzkonservativen Senator Jeff Sessions ernennen. Der 69-Jährige ist nicht nur bekannt für seine harte Haltung bei Einwanderung und Terrorbekämpfung, sondern auch in Sachen Cannabis.

"Gute Menschen rauchen kein Marihuana"

Jeff Sessions: Trumps designierter Justizminister und kein Cannabis-Freund

Jeff Sessions: Trumps designierter Justizminister und kein Cannabis-Freund

Foto: Michael Reynolds/ dpa

Noch im April schloss er seine harte Kritik an der Freigabepolitik in einem Senatsausschuss mit dem Satz: "Gute Menschen rauchen kein Marihuana."  Im Rahmen einer Auseinandersetzung, die Sessions in den Achtzigerjahren die Ernennung zum Bundesrichter kostete, wurde auch die Äußerung überliefert, Sessions habe gesagt, er habe den Ku-Klux-Klan immer in Ordnung gefunden - bis er herausgefunden habe, dass die kiffen. Ein Scherz, sagte Sessions später und entschuldigte sich.

Will hier also jemand das Rad zurückdrehen?

Die Gras-Freunde sind jedenfalls alarmiert. "Jeff Sessions ist ein Dinosaurier des war on drugs und das Letzte, was das Land jetzt braucht", sagt Ethan Nadelmann, der Vorsitzende der Drug Policy Alliance, die in den USA und im Ausland für die Freigabe von Cannabis wirbt. Und plötzlich tritt neben den Rausch in der Branche das Gefühl, das Experiment könne jederzeit wieder abgeblasen werden - auch bei jenen, denen die Freigabe einen unbekannten Geldsegen beschert.

Ein Ort erblüht - dank Cannabis-Steuern

Da ist etwa das Städtchen namens Edgewater, ein Ort mit 5300 Einwohnern und eigener Verwaltung, der aber mitten in Denver liegt. Dass man für ein paar Häuserblocks Denver verlassen hat, merkt man vor allem daran, dass es auf der Straße plötzlich kaum noch ruckelt: Alle Straßen in Edgewater sind neu asphaltiert - finanziert aus Cannabis-Steuern. Am Rande des Orts wurde ein neues Gemeindezentrum gebaut - mit neuem Rathaus, neuem Fitnessstudio und deutlich vergrößerter Bücherei - zur Hälfte finanziert aus Cannabis-Geld.

Bürgermeister Kristian Teegardin hat sechs dispensaries, wie die Marihuana-Läden hier heißen, in den Ort geholt und lässt sie bis Mitternacht offen, während in fast allen anderen Ecken Denvers um acht Schluss ist. Abend für Abend drängen sich hier also die Kunden aus der halben Stadt und lassen viel Geld da. 1,2 Millionen Dollar nimmt der Ort dieses Jahr an Steuern ein.

"Ist das gierig? Ja, vielleicht", sagt Teegardin, ein smarter Enddreißiger. Er sieht es pragmatisch: Jeder wisse doch, dass der war on drugs gescheitert sei - warum sollen wir dann nicht davon profitieren?

Bürgermeister Kristian Teegardin posiert vor einem der Marihuana-Shops in seinem Ort

Bürgermeister Kristian Teegardin posiert vor einem der Marihuana-Shops in seinem Ort

Foto: Fabian Reinbold

Der Demokrat erklärt lang und breit, welchen Segen das Business in den Ort gebracht hat. Er schwärmt auch schon vom nächsten Boom, den er heraufziehen sieht: industrielle Hanfproduktion, sagt er, "wird richtig groß!"

Aber Teegardin betont auch, dass er die neue Einnahmen nur in einmalige Projekte stecken und damit nicht den Haushalt finanzieren wolle. Wer weiß, wie lange das neue Geld noch fließt.

Denver geht noch einen Schritt weiter

Hier in Edgewater begegnet einem die heile Welt. Der Polizeichef berichtet von einem einzigen Verbrechen im Zuge der Legalisierung. Jugendliche hätten mal einem Paar das Tütchen mit Stoff aus der Hand gerissen. Bürgermeister Teegardin will keine einzige negative Auswirkung einfallen.

In Wahrheit ist vieles noch unklar, aus den ersten Studien lässt sich alles mögliche herauslesen. Ein Beispiel: Der Befund, dass die Zahl der Notaufnahme-Besuche wegen Cannabis stieg , kann auch damit zu tun haben, dass mehr Patienten den jetzt legalen Konsum einräumen.

In Colorado gab zuletzt eine Mehrheit von 53 Prozent an, die Cannabis-Freigabe habe dem Staat gut getan. Und in der Cannabis-Hauptstadt Denver ist man schon wieder einen Schritt weiter. Dort stimmte am Wahltag vor drei Wochen eine Mehrheit dafür, jetzt auch social pot zu erlauben - das gesellige Kiffen in Bars und Klubs.

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