Christlicher Fundamentalismus Kirche der Extreme
Hamburg - Ihre Namen klingen nett, niedlich, manche gar infantil: Engelwerk, Marienkinder, Werk Gottes. Doch die Inhalte, die sich hinter der vermeintlich harmlosen Fassade verbergen, sind alles andere als unschuldig: Fundamentalistische, sektenähnliche Gemeinschaften der katholischen Kirche und auch bei den Protestanten predigen einen rigiden Wertkonservatismus, wenden sich gegen die nach ihrer Ansicht zu liberalen Führungsspitzen ihrer Kirchen. Sie begreifen sich als wahre Gläubige, als auserwählte Elite.
"Es gibt einige Orden und Bruderschaften in Deutschland, die ein Eigenleben entwickelt haben und nicht immer ganz unter Kontrolle der etablierten Kirche stehen", sagt Thomas Hase, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft.
Während der Kontakt der fundamentalistischen Gruppierungen zu den protestantischen Landeskirchen eher locker ist, versucht die katholische Kirche seit Jahren, die Einheit zu fördern, Schismen zu überwinden - und auch Vertreter bisweilen reaktionärer Glaubensrichtungen einzubeziehen. Zur Not, wie die aktuelle Debatte um die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft zeigt, auch zu Lasten der eigenen Glaubwürdigkeit.
Fundamentalismus in der katholischen Kirche
Innerhalb der katholischen Kirche gibt es diverse Abweichler und Strömungen - ähnlich wie in einer politischen Partei. Auf der einen Seite stehen liberale Gruppen, auf der anderen erzkonservative Vereinigungen wie etwa die Piusbrüder. "Der Katholizismus verstanden als monolithischer Block existiert nicht", sagt Harald Baer, Referent für Religions- und Weltanschauungsfragen an der Katholischen Sozialethischen Arbeitsstelle (KSA) in Hamm.
Fundamentalistische katholische Gruppierungen
Sektiererische Gruppierungen wie die Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE), in deren Reihen Mädchen in Hosen als verpönt gelten, werden als sektenähnliche Gemeinschaft eingestuft - aus der katholischen Kirche ausgeschlossen werden sie nicht.
Dabei fanden sich in ihren Schriften in der Vergangenheit vereinzelt antisemitische Äußerungen. Ferner empfiehlt die KPE ihren Anhängern, wegzuschauen und ein Stoßgebet zu sprechen, sofern sie mit Aufklärungsmaterial in Berührung kommen.
Anhänger der Marienkinder mussten schwere Holzkreuze um den Hals tragen, trieben sich mit Schlägen die Dämonen aus, fielen manchmal mitten auf der Straße auf die Knie - das zumindest erzählen Aussteiger.
Hebammen, Bauersfrauen für "Dämonen empfänglich"
Das Engelwerk wird auch von Vertretern der katholischen Kirche kritisch beäugt - allerdings kam es bislang nicht zu einem Ausschluss der Mitglieder - trotz einer sektenähnlichen Struktur. Grundlage des Opus Sanctorum Angelorum, wie das Engelwerk auf lateinisch heißt, sind die Offenbarungen der Seherin Gabriele Bitterlich, die in vielen Schriften niedergelegt worden sind.
Kern des Glaubens: Jeder Mensch hat einen Schutzengel und einen satanistischen Gegenspieler, wir leben in einer Zeit des apokalyptischen Kampfes zwischen Engeln und Dämonen. Durch regelmäßige Exorzismusgebete und Sühne sollen die Dämonen vertrieben werden.
Bitterlich benannte auch Gruppen, die für Dämonen besonders empfänglich sind: Hebammen, Bauersfrauen, Zigeuner, alte, rachsüchtige Bauern, schwarze Katzen, schwarze Hennen, glatthaarige Hunde, Schweine, Ratten und Schlangen.
Die Zahl der Mitglieder des Engelwerk wird weltweit auf rund eine Million geschätzt. Offiziell ist das Opus Sanctorum Angelorum noch Teil der katholischen Kirche.
Für Schlagzeilen sorgt immer wieder auch das Opus Dei - das "Werk Gottes" steht für einen erzkonservativen Katholizismus, eine kaum durchschaubare Struktur. Weltweit hat der Geheimbund mehr als 80.000 Mitglieder. Der harte Kern lebt in speziellen Zentren, streng nach Frauen und Männern getrennt.
Nicht gewalttätig - aber oft nicht rechtstreu
Christlichen Extremismus gibt es auch in den Reihen des Protestantismus - allerdings ist die evangelische Kirche per se weniger auf Einheit bedacht. Die eine evangelische Kirche gibt es ohnehin nicht.
In den Reihen evangelischer Fundamentalisten gibt es beispielsweise den Homeschooling-Verband, deren Mitglieder es ihren Kindern verbieten, staatliche Schulen zu besuchen - weil sie sowohl den Sexualkundeunterricht als auch die Evolutionstheorie als atheistisch ablehnen. Sie sind der Ansicht, dass Kinder durch den Aufklärungsunterricht zur sexuellen Betätigung animiert werden.
"Die Unterschiede bestehen in der Ausrichtung: Während der radikale katholische Konservativismus sich vorwiegend mit einer Relativierung des Zweiten Vatikanums befasst und auf Rom fixiert ist, konzentriert sich der extreme Protestantismus auf die Literalität der Bibel und den Kreationismus", erläutert Friedrich Wilhelm Graf, Theologieprofessor an der Universität München.
"Die Gruppen sind nicht gewalttätig", sagt der Weltanschauungsbeauftragte der württembergischen Landeskirche, Hansjörg Hemminger, "aber rechtstreu sind sie auch nicht." Vielmehr handle es sich um Zusammenschlüsse, die "auf die Verunsicherung der Moderne reagieren, indem sie von ihrem religiösen Fundament ausgehend versuchen, die Anforderungen durch Ab- und Ausgrenzung zu bewältigen."
Krisenresistentes Weltbild
Fundamentalistische christliche Gruppierungen bieten Sicherheit und oft auch einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen. Sie erleichtern die Navigation durch die liberale Gesellschaft - und schränken im Gegenzug die Freiheit des Einzelnen ein. "Die Gruppen bieten ein krisenresistentes Weltbild, eine klare Unterscheidung zwischen innen und außen, gut und schlecht und eine Unbedingtheit im Glauben", sagt Theologieprofessor Graf.
Fundamentalistische Gruppierungen innerhalb des Protestantismus
Das biete Stabilität und Gewissheit in Zeiten, die durch eine starke Unsicherheit und Unverbindlichkeit gekennzeichnet seien. "Vielen Anhängern geht es um einen Lebensentwurf, der sich definiert über die Abgrenzung zur liberalen Gesellschaft. Die Religion tritt im Vergleich dazu sogar in den Hintergrund."
Fundamentalistische katholische und protestantische Gruppierungen eint eine wertkonservative Haltung. "Es geht um eine Bekämpfung der liberalen Wertordnung, einen Kampf gegen Homosexualität, gegen die liberale und offene Gesellschaft und zum Teil gegen die Migration", sagt Graf. Die Gruppen einen kulturkritische und kulturpessimistische Töne.
Die Provokation ist - wie im Fall vom Holocaust-Leugner Williamson - für die Gruppen eine Form der Mobilisierung. "Die Vertreter sind sich der öffentlichen Wirkung dessen, was sie sagen, durchaus bewusst", so Graf. "Es handelt sich um effizient funktionierende Gruppen, die über modernste Kommunikationstechnologien verfügen." Was also mitunter wie ein Fauxpas wirkt, ist genau kalkulierte Öffentlichkeitsarbeit.
Im Vatikan hat sich eine konservative Lobby etabliert, die auch den Papst beeinflussen will. Dennoch haben diese "Fundis" in der Vergangenheit ihren Einfluss nicht wesentlich ausbauen können, sagt der Trierer Theologie-Professor Peter Krämer. "Im Gegenteil, auch die katholische Kirche ist auf lange Sicht in der Vergangenheit liberaler geworden." Bestes Beispiel sei das Zweite Vatikanische Konzil, mit dem sie sich öffnete und unter anderem auch andere Religionen anerkannte.
Der Papst und die Piusbruderschaft
Fundamentalistische Gruppierungen sind keine neue Erfindung. In der Geschichte gab es schon immer Abweichler, die den Kurs der etablierten römischen Kirche in Frage stellten, erklärt Krämer. Ein besonders krasses Beispiel seien die Sedisvakantisten: Ihrer Ansicht nach ist der jeweils amtierende Papst kein gültiger Amtsträger - demzufolge kann vom Heiligen Stuhl auch keine Autorität ausgehen.
Nach Einschätzung von KSA-Referent Baer sind die erzkonservativen Strömungen zahlenmäßig nicht sehr stark. Weltweit gibt es rund 1,1 Milliarden Christen. Nur ein sehr kleiner Teil davon gehöre einer fundamentalistischen Gruppierung an, erklärt er. "Fundis machen den kleinen rechten Rand aus."
Strömungen innerhalb des Protestantismus
Die Gruppen selbst suchen die Nähe zur Kirche: zum einen wegen der elitären Überzeugung, Vertreter des "wahren" Christentums zu sein, zum anderen ganz pragmatisch auch wegen finanzieller Unterstützung.