
Coronapandemie Du sollst dich impfen lassen


Gebote
Das im Titel dieser Kolumne formulierte Gebot wurde nicht vom Watzmann oder vom Brocken herabgetragen; es ist nicht übermenschlichen Ursprungs, sondern eine Schlussfolgerung des gesund gebliebenen Menschenverstands, der, wie uns die Erforschung der Fauna lehrt, auch bei nichtmenschlichen Lebensformen durchaus so weit verbreitet ist, dass die Angehörigen bestimmter Spezies in programmierter Regelmäßigkeit Substanzen zu sich nehmen oder sich ihnen aussetzen, die nicht allein ihrer subjektiven Identität, sondern der ganzen Art nützlich ist.
Diese metaphorische Berufung auf die genetisch gesteuerte Intelligenz des Tieres in uns ist weit hergeholt, das muss ich zugeben. Aber in diesen Zeiten – um eine medial verbreitete Präzisierung desjenigen Ortes im Kosmos zu verwenden, an welchem die Welt sich derzeit befindet – sind die ausgefallensten Argumente gerade gut genug.
Ich habe, sehr geehrte Leser, überlegt, ob ich diesen Text dem Thema widmen solle, mit dem die »Süddeutsche Zeitung« am 15. Januar 2022 auf Seite 1 aufmachte: »Ein Krieg wird immer wahrscheinlicher«. Es ist damit, wie Sie bei Erscheinen dieses Beitrags hoffentlich noch wissen, nicht ein Krieg in Jemen, Kongo, Syrien oder Korea gemeint, sondern einer in Europa, zwischen dem sogenannten Riesenreich des Ostens und einem Vorposten unseres eigenen goldenen Westens. Deutschlands Gas wird, das wusste schon einer der Vorgänger von Frau Ministerin Lambrecht, auch in Charkow verteidigt.
Aber immer ein Krieg nach dem anderen! Die Bundesrepublik ist bekanntlich äußerst sensibel, charakterlich der Prätraumatisierung zugeneigt und daher empathisch und sensibilitätsmäßig rasch überfordert. Wir müssen also zunächst einmal den Booster besiegen oder mittels Booster die Virologenbrut oder die chinesische Fledermaus. Zum Glück ist es so, dass Deutschsein ja seit jeher auch bedeutet: gründlich sein (Preußen), extrem intelligent sein (Sachsen), dem Ganzen verpflichtet sein (Bayern).
Das führte dazu, dass im Frühling 2020 die Anzahl der heimischen Virologen sich binnen weniger Monate ins Ungeheure steigerte, sich seit Anfang 2021 ins Psychotherapeutische verschob und heute, Anfang 2022, im Verfassungsrechtlichen angekommen ist, bekanntlich die Heimat von »Karlsruhe«, wo der Deutsche sich extrem gut auskennt, schon wg. des allgegenwärtigen Verstoßes gegen die Gleichheitspflicht aus Art. 3 GG.
Pflichten
Impfpflicht! Allgemeine, besondere, ab 18, ab 60, ab ärztlicher Vorprüfung, überhaupt, für Lehrer, Zahnarzthelferinnen, Minister und Tennisspieler. Oder nicht? Oder anders? Über die sogenannte Impfpflicht wird seit ungefähr 140 Jahren diskutiert, »myops« hat soeben in Nr. 44 (S. 80) ein hübsches kleines Zitat aus dem Jahre 1881 veröffentlicht, in welchem ein nicht weiter nennenswerter Autor die allgemeine Impfpflicht als Kennzeichen jüdischer Weltverschwörung enttarnt. Und das ganz ohne Nano-Chips!
Von Österreich lernen heißt Impfen lernen. Wer das nicht glaubt, soll sich einmal das österreichische Tuberkulosegesetz von 1968 anschauen. Sehr erfolgreich! Bei der Bundeswehr (erinnert euch: Wehrpflicht!) ist das Impfen Pflicht, und auch der empathiesehnsüchtige Fernreisende neigt, wie der Arzt ohne Grenzen oder die Businesswoman, zur Vorsorge gegen Fleckfieber, Typhus und bald auch gegen Malaria. In Ebola-Ausbruchsgebieten ist die Zahl der sogenannten Skeptiker meist hinter derjenigen der nach Impfung Rufenden zurückgeblieben, und hierzulande werden die Körper dreijähriger Kinder mit Masernimpfstoff für das Abenteuer Kita fitgespritzt. Die Rötelnimpfung, eine schwer antifeministische Körperverletzung, dient anerkanntermaßen vor allem Lebewesen, die noch nicht einmal gezeugt sind; gleichwohl kennen wir keine Massenaufläufe rötelninfizierter schwangerer Skeptikerinnen.
Das ist natürlich, wie man gewiss belehrt werden wird, jeweils alles ganz was anderes, wie ja überhaupt jeder Tag des Lebens etwas anderes ist und jede Influenza und jeder Erstickungstod ein ganz individueller. Vielleicht, so hören wir, hilft das Impfen ja nicht allen, eine schwere Erkrankung zu vermeiden, oder nicht sehr lange, oder vielleicht geht alles auch einfach so vorbei. Und vielleicht kann die Polizei ja gar nicht alle bestrafen, die die bußgeldbewehrte Pflicht nicht erfüllen, und dann bricht der Rechtsstaat zusammen, wie seit Jahrzehnten bei der Nichtahndung der Abermillionen von Rotlichtnichtbeachtern und Geisterfahrern und Steuerhinterziehern!
Wenn also der Staat gar nicht garantieren kann, dass wirklich alle Nichtimpfer von der Boosterpolizei geschnappt, ins allgemeine Boosterregister eingescannt und mittels einfachen körperlichen Zwangs in den Oberarm gestochen werden, dann ist das Ganze am Ende doch bestimmt furchtbar verfassungswidrig. Es haben uns daher zuletzt am 15. Januar die beiden Risikoanalysten Bubrowski und Grunert in der »Zeitung für Deutschland« ausführlich erläutert, dass es zwar einerseits Gründe, andererseits aber auch Gesichtspunkte gibt, sodass die Sache FAZ-mäßig eigentlich klar und wie immer ist: Wehe, wehe!
Und dann sagt uns Karlsruhe in fünf Jahren von heute an, dass man es anders hätte machen sollen, aber andererseits auf die Schnelle nicht hat können, weswegen der Gesetzgeber verpflichtet sei, binnen drei Jahren eine Einreisesperre für chinesische Fledermäuse zu verhängen. Bis dahin schauen wir mal, was wir mit der Schweinepest machen, die ja garantiert für Menschen total ungefährlich ist, ebenso wie die Hühner-, die Hunde-, die Katzen-, die Pferde- und die Doradengrippe.
Verhältnisse
Eine gruppenspezifische Impfpflicht ist gut. Eine allgemeine Impfpflicht ist besser. Der damit verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist, anders als zuletzt der Herr Bundespräsident im Fernsehen mitteilte, keineswegs »schwerwiegend«, und ganz gewiss ist das Impfen nicht ein »besonders schwerwiegender Eingriff in die Freiheit«. Die Abgrenzung der Rechtsgüter »körperliche Unversehrtheit« und »Freiheit« ist hier sowieso besonders feinsinnig: Die Freiheit besteht darin, den Körper von einem Nadelstich freizuhalten; die Unversehrtheit in einem mit bloßem Auge kaum erkennbaren Durchdringen der Haut sowie der intramuskulären Zuführung einer Substanz, die zu hocherwünschten, gegen schwere Erkrankungen schützenden chemischen Reaktionen in den Zellen des Körpers führt. Nach einigen Milliarden Anwendungen weiß jeder, der bei klarem Verstand ist, dass die Anzahl der hierdurch unbeabsichtigt hervorgerufenen Schäden extrem gering, das Ausmaß der erwünschten Schutzwirkung sehr hoch ist.
Nun wird dagegen gesagt, da eine Immunität der geimpften Personen nicht sicher erreichbar und eine Infektiosität nicht ausgeschlossen sei, gälten für Covid-19 alle Regeln nicht, die sonst gelten. Auch dieses Argument der Verzweiflung scheint mir nicht zu stimmen. Sagen wir es so: Die Vorschriften des Bauplanungs- und -ordnungsrechts zwingen die Bauherren unter Verletzung ihrer Design-Freiheit, Regeln des Brandschutzes einzuhalten. Daran müssen sich auch diejenigen Baukünstler halten, die sich den eigenen Tod in den Flammen mit Gleichmut vorstellen, um ihre Kinder keine Angst haben und der Ansicht sind, Brandschutz sei schlecht für ihre Atemluft oder ziehe gefährliche kosmische Strahlen an. Die Welt der Moderne – deren Frühbeginn wir hier einmal auf die Mitte des 14. Jahrhunderts datieren, dem Anfang der ersten großen Pestwelle in Europa – ist randvoll mit Vorschriften und Regeln, die zum Schutz der Einzelnen und der Gemeinschaften in die Freiheiten des selbstbestimmten Säugetiers eingreifen. Die meisten von ihnen sind informell sanktionsbewehrt, sehr viele formell. Wer einigermaßen überleben will, hält sich daran und verlangt es besonders gern von allen anderen.
Staat
Ich weiß: Manchem werden solch feuilletonistischen Betrachtungen eines derart ernsten Themas wie der Unversehrtheit der bürgerlichen Ungeimpftheit zu oberflächlich erscheinen und verfassungsrechtlich frivol. Sei’s drum! Angeblich, so hörten wir, muss dem Staat daran gelegen sein, die Zahl der Opfer von allfälligen Katastrophen und Schicksalsdrohungen unter seinen Bürgern möglichst gering zu halten. Nun ist es so, dass eine allgemeine Impfpflicht zwar keineswegs zur Ausrottung des Virus führen wird und noch nicht einmal sicher zur Beendigung der Pandemie. Weitgehend sicher ist aber, dass sie die Zahl der Opfer schwerwiegender und tödlicher Krankheitsverläufe sehr deutlich verringern wird, und zwar sowohl durch unmittelbare als auch durch mittelbare Wirkung. Also wo ist das Problem?
Die Bundesregierung möchte, jedenfalls so ungefähr oder mit einer gewissen Mehrheit, gern, dass eine allgemeine Pflicht zur Impfung eingeführt wird. Sie möchte aber nichts Regierungsmäßiges dafür tun, und zwar, weil dies einerseits angeblich »das Land spalten« würde und andererseits eine »Gewissensfrage« sei, weshalb der Gewissensimpuls nicht einem Ministerium, sondern dem Abgeordneten selbst entspringen müsse.
Beide Argumente unterfordern die Intelligenz der Bürger erheblich. Wenn man schon den Unsinn von der seltenen »Gewissensentscheidung« bemüht (wenn dies eine ist, warum dann eigentlich nicht die über die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes? Oder die über die Abschaffung des Ehegattensplittings, die Erhöhung des Mindestlohns oder die Änderung des Richterwahlgesetzes?), müsste man dazusagen, warum die Aktivierung des Gewissensgenerators nicht mittels Regierungsentwurfs erfolgen kann. Und die Prognose einer »Spaltung des Landes« in 95 Prozent Gesetzesbefolger und 5 Prozent Oberschlauberger hat bisher, soweit ersichtlich, selten dazu geführt, dass eine Bundesregierung aus lauter Angst vor einer wackligen Abstimmung unterlassen hat, was die Grundbedingung ihrer Existenzberechtigung ist: Regieren.
Die Methode, mit welcher die Sache zu einem unrühmlichen Ende gebracht werden soll, lautet wieder einmal: Unbedingt alle Risiken des dritten Schritts abschließend ausloten, bevor der erste Schritt begonnen wird. Also zum Beispiel: Keine Impfpflicht einführen, bevor nicht die Datenschutzbeauftragten aller Ebenen der Errichtungsanordnung des Impfregisters zugestimmt haben! Keinesfalls eine Impfpflicht für Lehrer einführen, bevor nicht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ausgerechnet hat, wie viele zusätzliche Planstellen aufgrund der impfbedingten Unpässlichkeiten von Französischlehrerinnen zu erwarten sind!
Überaus hilfreich bei dieser todsicheren Methode, einen Staat in den Wahnsinn zu treiben, ist eine nationale Presse, von der erhebliche Teile der aktuellen Generationen zum einen im Kinderglauben erzogen wurden, jeder noch so fernliegende Widerspruch sei eine Manifestation intelligenter »Hinterfragung«, zum anderen bemüht sind, die eigene Degradierung zu Influencern mittels Imitation von Aktivistentum erträglich zu gestalten. Diese letztere, hier erforderliche Klage muss, wie stets aus Überzeugung, mit dem vorsorglich disclaimenden Hinweis versehen werden, dass mit »die Presse« auch heute wieder nicht jeder einzelne Journalist gemeint ist, wie ja bekanntlich auch bei der gelegentlichen journalistischen Klage über »die Justiz« sich kein Jurist im Staatsdienst angesprochen fühlen sollte! Und wenn ein Journalist schreibt, dass »die Politik« im Coronarausch versage, so meint er, das versteht sich, stets nur den Politiker als abstraktes Geistwesen.
Fazit
Der Autor ist für die Einführung einer allgemeinen, bußgeldbewehrten Impfpflicht für alle impffähigen Personen ab 16 oder 18 Jahre, gerne ausgeweitet auf Jüngere, falls sich die Nützlichkeit erweist. Er ist außerdem für eine alsbaldige (!) Einführung eines Gehaltszuschlags von 100 Prozent für alle Pflegeberufe, gerne auf 200 Prozent zu erhöhen bei Bedarf. Der Freiheitsfreund auf dem Finanzministerstuhl finanziert das locker. Die zu erwartende Welle von Menschenrechtsbeschwerden bei den Tempelverwaltern in »Karlsruhe« wegen diskriminierender Nichterhöhung des Lohns von Fahrlehrern, Opernsängerinnen und Steuerberatern muss ein Staat aushalten können, der demnächst die Freiheit der Ukraine mithilfe von Joe Biden gegen die schnellen Panzerverbände aus dem Osten verteidigen zu müssen in Erwägung zieht, was Hashtag AnnalenaBaerbock dem Kollegen L. in Moskau mal deutlich sagen wird. Aber mal ganz deutlich!