Corona-Maßnahme Kommt nun die Maskenpflicht in Städten?

Jena ist vorgeprescht, auch Berlin-Mitte würde das Tragen eines Mundschutzes gern anordnen: Der SPIEGEL hat in 16 Kommunen stichprobenartig nachgefragt, ob weitere Städte folgen wollen.
Nach Jena sollen ab Montag auch im Landkreis Nordhausen die Menschen einen Mundschutz tragen

Nach Jena sollen ab Montag auch im Landkreis Nordhausen die Menschen einen Mundschutz tragen

Foto: Sebastian Willnow/ dpa

Stephan von Dassel (Grüne), Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, hofft, nach seiner Covid-19-Erkrankung schon kommende Woche wieder in sein Büro zurückzukehren - und hat auch schon eine Forderung parat: Er wünscht sich eine Pflicht für einen Mund- und Nasenschutz der Berliner in der Öffentlichkeit.

Jena war am Dienstag als erste Stadt in Deutschland mit dieser Maßnahme vorgeprescht: In mehreren Etappen sollen dort von Donnerstag an immer mehr Menschen in der Öffentlichkeit einen Schutz vor dem Mund tragen, damit sie als möglicherweise Infizierte nicht weitere Personen um sich herum anstecken. Es soll vor allem darum gehen, die Sicherheit von Ladenpersonal in der Öffentlichkeit zu erhöhen, hieß es einer Mitteilung der Stadt. (Lesen Sie hier ein Interview mit Jenas Bürgermeister Christian Gerlitz.)

Neben der Forderung aus Berlin-Mitte hat sich auch der thüringische Landkreis Nordhausen ein Beispiel an Jena genommen. Vom kommenden Montag an soll dort das Tragen von Mund- und Nasenschutz zur Pflicht werden.

Die Maßnahme ist unter den Stadtoberhäuptern und in den kommunalen Krisenstäben durchaus umstritten. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) warnt: "Nach Einschätzung meiner Fachleute könnte eine solche Maskenpflicht in der Bevölkerung auch zu einem trügerischen Gefühl von Sicherheit beitragen", sagte Reiter. So könnte gerade das Tragen von Masken die Menschen davon abhalten, sich weiterhin an die "sinnvollen und strikten" Abstandsregeln zu halten. Deshalb plane man derzeit auch keine solche Regelung für die bayerische Landeshauptstadt.

Ebenfalls abgelehnt wird eine Verpflichtung wegen des geringen Bestands der Masken. Gerade an Schutzkleidung fehlt es noch immer in vielen Bereichen, wo sie dringend gebraucht werden: bei Ärzten, in Krankenhäusern, Pflegediensten und -heimen. Die Stadt Jena rief ihre Bürger auf, deshalb selbst Masken zu nähen. Auch Tücher und Schals, die Mund und Nase bedecken, dürfen genutzt werden.

Bisher haben Länder wie Südkorea, Taiwan, aber auch Österreich eine Maskenpflicht eingeführt. Die Bundesregierung lehnt das weiterhin ab. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte, er sehe "keine Notwendigkeit", nannte es aber ein "gutes Signal", wenn Menschen sich freiwillig für einen Mundschutz entscheiden.

Andere Kommunen reagieren in einer stichprobenhaften SPIEGEL-Umfrage quer durch die Republik verhalten auf den Vorstoß aus Thüringen. Einige Städte haben inzwischen ihre Bürger dazu aufgerufen, freiwillig den Mundschutz zu tragen. Claus Kaminsky, Oberbürgermeister im hessischen Hanau beispielsweise, forderte die Bürgerinnen und Bürger auf, "freiwillig" auf den Straßen selbst geschneiderte Masken zu tragen, warnt jedoch vor dem Kauf einer professionellen Schutzmaske, da diese im Moment an anderer Stelle gebraucht würden.

Auch der Oberbürgermeister Bernd Wiegand von Halle (Saale), der als erster OB im Alleingang die städtischen Schulen geschlossen hatte, will keine Pflicht einführen, rät aber ebenfalls zum freiwilligen Tragen. Die Stadt Essen hat für ihre Bürger sogar eine Nähanleitung veröffentlicht, will aber ebenfalls keine Pflichtmaßnahme daraus ableiten. Auch keine Verpflichtung wollen Flensburg, Freiburg im Breisgau, Tübingen, Lübeck und Frankfurt (Oder). "Ich bin der Meinung, dass den Menschen genug verordnet wurde. Es sollte jeder für sich entscheiden", sagte Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper. Selbst Stephan Pusch, Landrat im Kreis Heinsberg, wo es prozentual weiterhin die meisten Corona-Fälle in Deutschland gibt, sagt: "Bislang hat mir kein Virologe gesagt, dass das notwendig sei." Er rate zwar nicht davon ab, wenn er gefragt werde, mahne jedoch vor allem, genügend Abstand zu halten.

Option nach Ostern?

Ähnlich halten es bisher die Landesregierungen. In Hamburg will man zuerst die Versorgungslage im Gesundheitswesen und anderen sensiblen Bereichen verbessern, bevor überhaupt über weitere Maßnahmen entschieden wird. Aus Sachsen ist zu hören, dass die Schutzmaskenpflicht von der Landesregierung als Option erst nach Ostern in Betracht gezogen werden könnte. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) wollen zumindest derzeit keine Verpflichtung, ebenso wenig Malu Dreyer (SPD) aus Rheinland-Pfalz.

Mehrere Bürgermeister warnen auch vor weiteren Alleingängen auf kommunaler Ebene. Stefan Caplan, Bürgermeister von Burscheid im Rheinland, sagt, vor allem für die Akzeptanz der Maßnahme sei ein gemeinsames Abstimmen wichtig. "Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass wir bei solchen Maßnahmen einheitlich handeln - wenn schon nicht bundesweit, dann wenigstens in Nordrhein-Westfalen", so Caplan. Auch Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer wünscht sich zumindest auf Landesebene in Schleswig-Holstein eine einheitliche Vorgehensweise.

Die Stadt Wuppertal hat bereits 500.000 Mundschutz-Masken besorgt, die allerdings im Gesundheitsbereich verteilt werden. Der Oberbürgermeister Andreas Mucke verweist darauf, dass der Mundschutz nur gegen Infektion anderer, nicht aber gegen eine eigene Ansteckung schütze. "Wollte man sie trotzdem als Maßnahme gegen eine Tröpfchenverbreitung durch den Träger einführen, dann muss ich den Bürgerinnen und Bürgern auch Masken zur Verfügung stellen - die gibt es aber gar nicht in ausreichender Zahl", so Mucke.

ab/bhr/chp/fri/him/ktm/le/mab/one/til/stw
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