Erste Ausgangssperre in Deutschland Alles dicht in 95666 Mitterteich

In einer bayerischen Kleinstadt steigen seit Tagen die Covid-19-Fälle. Das Landratsamt hat deshalb eine Ausgangssperre verhängt. Was ist dort noch erlaubt?
Mitterteich im bayerischen Landkreis Tirschenreuth: "Die Regel wird besonnen aufgenommen"

Mitterteich im bayerischen Landkreis Tirschenreuth: "Die Regel wird besonnen aufgenommen"

Foto: TIMM SCHAMBERGER/EPA-EFE/Shutterstock

Landrat Wolfgang Lippert erreichen derzeit viele Mails mit Fragen. Eine Frau will wissen, ob sie ihren Notartermin zum Kauf eines Hauses noch wahrnehmen darf. Ein Mann fragt, ob er noch mit dem Auto an Mitterteich vorbeifahren dürfe. Aus Oberbayern habe jemand schriftlich mit einer Klage gedroht. "Das sind Leute, die haben noch nicht verstanden, worum es geht", sagt Lippert am Telefon.

Der Politiker der Freien Wähler ist Landrat im bayerischen Landkreis Tirschenreuth - und hat die erste Ausgangssperre in Deutschland wegen des Coronavirus verhängt. Seit Mittwoch dürfen die Bewohner der Kleinstadt Mitterteich in der Oberpfalz ihre Häuser nur noch in Ausnahmefällen verlassen. Für Arztbesuche, für die Arbeit, zum Tanken.

Es ist nicht die letzte Maßnahme dieser Art: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kündigte am Vormittag an, auch im Landkreis Wunsiedel werde es Ausgangssperren geben. Und er fügte hinzu: "Wenn sich viele Menschen nicht freiwillig beschränken, dann bleibt am Ende nur die bayernweite Ausgangssperre als einziges Instrumentarium, um darauf zu reagieren. Das muss jedem klar sein."

Die Entscheidung in Mitterteich fiel am Mittwoch. Der Krisenstab traf sich zu seiner täglichen Versammlung: Vertreter der Bundeswehr, Ärzte, Polizisten. Die Zahl der Infizierten in Mitterteich steigt seit Tagen. Noch vor einer Woche war kein einziger Erkrankter im ganzen Landkreis bekannt. Inzwischen sind es 57, davon 27 in Mitterteich, einer Stadt mit 7000 Einwohnern.

Das entspricht etwa 3,8 Fällen auf 1000 Einwohner - im sehr stark betroffenen Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen waren es Stand Mittwoch 1,8 Fälle auf 1000 Einwohner. Für Mitterteich heißt das: 15 der Infizierten seien im Krankenhaus, fünf müssten beatmet werden, sagt Lippert.

"Die Regel wird besonnen aufgenommen"

Landrat Wolfang Lippert (Freie Wähler)

Wegen dieser Häufung erließ er die Ausgangssperre. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) habe ihm gesagt, eine solche Dichte sei ihm in Bayern noch nicht begegnet, erzählt der Landrat. Er habe seine Maßnahme mit dem bayerischen Gesundheits- und Innenministerium abgesprochen. "Die haben das sehr positiv aufgefasst", sagt Lippert.

Nach der Entscheidung rückte die Feuerwehr aus. Die Frauen und Männer warfen die Allgemeinverfügung in jeden Briefkasten, Durchsagen schallten durch die Straßen. "Die Regel wird besonnen aufgenommen", sagt Lippert. Die Polizei kontrolliert die Einhaltung: Das zuständige Präsidium meldete, die Nacht zum Donnerstag sei ruhig verlaufen.

Gassigehen ist erlaubt

Zwölf Ausnahmen des Verbots stehen in der Regel (lesen Sie hier  die Allgemeinverfügung): Apothekenbesuche, Abgabe von Briefwahlunterlagen, Geldabheben. Wer zur Arbeit fahren will, braucht eine formlose Bestätigung der Firma. Auch Gassigehen ist möglich, da es unter "unabdingbare Versorgungen von Haustieren" fällt.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bürger können sich mit ihren Fragen an eine Hotline wenden. "Wir können schließlich nicht jede Ausnahme anführen", sagt Lippert. Ein geplanter Notartermin etwa müsse nicht ausfallen. Auch, wer Mitterteich nur auf der Durchfahrt passiere, müsse keine Folgen befürchten.

Grundlage für die Verfügung in Mitterteich ist Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes . Damit können Behörden "Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten". Verstöße können laut Paragraf 75 mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden.

"Punktgenaue" Reaktion

"Das, was Bund und Länder als freiwillige Maßnahmen empfohlen haben, wird in Mitterteich durchgesetzt", sagt Sigrid Wienhues. Die Hamburger Juristin ist Expertin für Verwaltungsrecht. "Die Verfügung zeigt, dass Föderalismus auch positiv sein kann: Er erlaubt uns, punktgenau zu reagieren." Wenn Grundrechte wie in diesem Fall massiv eingeschränkt würden, müsse das angemessen sein. Das garantierten die zeitliche und örtliche Beschränkung der Ausgangssperre, so Wienhues.

Noch gibt es nur Gerüchte, warum ausgerechnet Mitterteich so stark betroffen ist. Am 7. März fand dort das 41. Starkbierfest statt  - eine Großveranstaltung, zu der Menschen aus der ganzen Region kommen. Womöglich, sagt Lippert, sei da ein Infizierter herumgelaufen. Zwei Epidemiologen seien schon unterwegs. Sie sollen klären, warum das Virus ausgerechnet in Mitterteich derartig grassiert.

Mitarbeit: Almut Cieschinger

Mit Material von dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten