Gewalt in Beziehungen "Ich habe die Messer im Haus versteckt"

Eine neue große Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland beleuchtet auch das Thema Gewalt in Partnerschaften. Eine Forscherin erklärt, was dahinter steckt, ein Betroffener erzählt.
Konflikt in der Partnerschaft: Frauen üben häufiger körperliche Gewalt aus als Männer

Konflikt in der Partnerschaft: Frauen üben häufiger körperliche Gewalt aus als Männer

Foto: Corbis

Hamburg - Anfangs dachte er, die Probleme mit seiner Freundin könne er überwinden. So schrieb es Jochen K.* in sein Tagebuch, nachdem sie ihn zum ersten Mal mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Er hatte sie festgehalten und zu beruhigen versucht. Doch der Angriff im Hausflur sollte nicht der einzige bleiben, immer wieder wurde seine Freundin in den kommenden Jahren gewalttätig. Sie bekamen die Probleme nicht in den Griff. Heute muss K. feststellen: "Eine wahnsinnige Selbstüberschätzung."

Neun Jahre waren sie zusammen, haben eine gemeinsame Tochter. Mit der Zeit sei seine Freundin immer eifersüchtiger geworden. "Eine Beziehung wird unerträglich, wenn man ständig damit rechnen muss, mit den Fäusten attackiert zu werden", sagt K. Auch eine Paartherapie konnte nicht helfen.

Jochen K. ist kein kräftiger Mann, wiegt nur knapp über 60 Kilogramm. Körperlich sei er seiner Freundin aber ebenbürtig gewesen. Er habe bei ihren Angriffen immer probiert, sie festzuhalten.

Am Ende war es soweit, dass er um sein Leben fürchtete. "Ich habe die Messer im Haus versteckt", sagt er. Schon zuvor schlief er getrennt von ihr. Nun stellte er einen Stuhl als Schutz und Stolperfalle vor sein Bett. Er hatte Angst, im Schlaf angegriffen zu werfen. Schließlich beendete er die Beziehung. Das sei trotz allem kein leichter Schritt gewesen, so K., "eine Familie gibt man nicht einfach so auf".

Schweigen aus Scham

Herr K. ist kein Einzelfall, seine Erfahrungen sind keine Ausnahme. In einer umfassenden Gesundheitsstudie hat das Robert Koch-Institut knapp 6000 deutsche Erwachsene auch zu ihren Gewalterfahrungen befragt; Erfahrungen sexueller Gewalt wurden in der Studie aber nicht erfasst. Demnach üben Männer Gewalt eher im Sozialraum und am Arbeitsplatz aus, Frauen eher im häuslichen Bereich. Wie ehrlich und umfassend die Befragten Auskunft gaben, lässt sich bei einem solch heiklen Thema nur schwer sagen. "Die soziale Erwünschtheit sagt: 'Ich habe eine heile Familie, ich bin nie Opfer geworden, ich bin natürlich auch nicht gewalttätig", sagt Heike Hölling, Gesundheitswissenschaftlerin, eine der Autorinnen der Studie.

Wenn Frauen mit gewalttätigen Männern zusammenleben, sind sie deren körperlicher Überlegenheit ausgeliefert. So wird Gewalt in Beziehung meist thematisiert: Männer, die Macht über Frauen ausüben. Doch gibt es auch Fälle, in denen Männer die Opfer sind. Aus der Analyse lässt sich nicht ableiten, wie häufig es Gewalt im häuslichen Umfeld gibt. Zudem lassen sich bei körperlicher Gewalt gegen den Partner keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. "Gewalt ist nicht ausschließlich eine Erfahrung von Frauen", sagt Hölling. "Uns haben die Ergebnisse überrascht."

Konkret war etwa gefragt worden: "Haben Sie in den vergangenen zwölf Monaten erlebt, dass jemand Sie körperlich angegriffen hat?" Als Beispiele wurden Schläge, Ohrfeige, Tritte und an den Haaren ziehen genannt. Bei psychischer Gewalt - Beleidigungen, Bedrohungen, Beschimpfungen, Schikanen - ergab die Auswertung keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen als Ausübende von Gewalt. "Psychische Gewalt kann in ihren Folgen mindestens genauso dramatisch sein wie körperliche", sagt Hölling.

Die Autoren konstatieren: "Die Themen 'Frauen als Gewalttäterinnen' und 'Männer als Gewaltopfer' sind gesellschaftlich noch weitgehend tabuisiert" - erst allmählich richte sich der Blick der Forschung darauf.

"Viele Männer wagen es nicht, sich zu offenbaren, weil die Scham sehr schwer wiegt", sagt Hölling. "Schwäche oder Angst zu zeigen, sozial nicht integriert zu sein, vielleicht sogar zu weinen, passt nach wie vor nicht zum Männerbild in der Gesellschaft." Opfer müssten ihre Erfahrungen ohne Angst vor Konsequenzen oder Stigmatisierung ansprechen können.

Für Männer gebe es zu wenig adäquate Hilfsangebote. Nötig sei auch mehr Aufmerksamkeit in Familie und Bekanntenkreis. "Oft gibt es von Gewaltopfern nicht die lauten Hilferufe, oft sind es schleichende Veränderungen: Jemand bleibt vom Sportverein weg, nimmt nicht mehr an gemeinsamen Unternehmungen teil, hält immer weniger Kontakt." In solchen Fällen gelte es, sensibel nachzufragen.

Warum nicht mal selbst zugelangt?

Dem Umfeld von Jochen K. fehlte das Verständnis für seine Lage. "Die meisten Freunde haben versucht, das herunterzuspielen", sagt K. Er dürfe seine Freundin auf keinen Fall anzeigen, rieten einige. Seine Mutter habe ihn gar gefragt, warum er seiner Freundin nicht mal selbst ordentlich eine gelangt habe. "Männer werden gesellschaftlich nicht als Opfer anerkannt", sagt K.

Als er ein Jahr nach der Trennung eine neue Freundin hatte, ging der Ärger erst richtig los. Seine Ex griff die neue Partnerin an und verbot ihm, die gemeinsame Tochter zu sehen. Zermürbende Auseinandersetzungen vor dem Jugendamt und dem Familiengericht folgten. Er zeigte sie nun auch mehrfach an, wegen Körperverletzung oder Hausfriedensbruch. Doch alle Verfahren wurden eingestellt.

Fälle von häuslicher Gewalt sind nicht einfach zu ermitteln, oft steht Aussage gegen Aussage. "Wenn Männer sich als Opfer an die Polizei wenden, werden oftmals keine Verfahren eröffnet", sagt K. "Ihnen wird nicht geglaubt."

Jochen K. ist ein Mann in den Fünfzigern und lebt ihn Niedersachsen. Er engagiert sich beim Verein Männerwohnhilfe, der Betroffenen in häuslichen Krisensituationen zur Seite steht. Die Situation hätte sich heute, 13 Jahre nach der Trennung, beruhigt, sagt K. Der Kontakt zu seiner Tochter werde nicht mehr behindert. Aber von einem "guten Verhältnis" zu seiner Ex-Freundin will er noch immer nicht sprechen. Er könne bei ihr kein Unrechtsbewusstsein feststellen.


Anmerkung: Dieser Artikel wurde veröffentlicht, nachdem die Studie "Körperliche und psychische Gewalterfahrungen in der deutschen Erwachsenenbevölkerung: Ergebnisse der Studie zur Gesundheit von Erwachsenen in Deutschland" (DEGS1 ) 2013 erschien. Die Veröffentlichung stieß in Fachkreisen auf Kritik. Konkret wurde bemängelt, dass

  • sich die Erfahrung und der Umgang mit Gewalt durch das Erhebungsinstrument nicht adäquat erfassen ließen;
  • der Schweregrad der körperlichen und psychischen Gewalt nicht erfasst wurde - eine Pöbelei im Straßenverkehr könnte damit gleich gewichtet werden wie ein lebensgefährlicher Angriff;
  • sexuelle Gewalt - ein wesentlicher Aspekt von Gewalt in Beziehungen - nicht einbezogen wurde;
  • nicht zwischen (einmalig) im Affekt ausgeübter Gewalt und regelmäßig ausgeübter systematischer Gewalt differenziert wurde;
  • die Folgen der Gewaltausübung nicht systematisch erfasst wurden.

Das Robert-Koch-Institut ging auf die Kritik ein und kündigte an, einen revidierten Beitrag zu erarbeiten, der der Kritik Rechnung tragen sollte. Auf Basis einer vertieften Datenanalyse erschien dieser revidierte Beitrag  2016.

Um den überarbeiteten Forschungsstand korrekt abzubilden, wurde dieser Artikel angepasst.

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