Der deutsche Papst Wo Benedikt draufsteht, ist Ratzinger drin
Berlin - Am Ende wird es vor allem um die Bilder gehen: der Papst winkend, der Papst segnend, der Papst lächelnd. Der Papst mit dem Bundespräsidenten, der Papst im Bundestag, der Papst unter den riesigen Baldachinen gigantischer Altarbühnen.
Der 84-jährige Mann mit den grauen Haaren wird wie sein Vorgänger mal überraschend munter, mal versunken, mal halb weggetreten den Zeremonien folgen, deren Abläufe andere für ihn auf die Minute durchgeplant haben. Jedes überraschende Bild, jedes unvorhergesehene Geschehen eine Meldung, ein Satz in den Kommentaren.
Aber kann Papst Benedikt XVI. nach sechseinhalb Jahren Amtszeit überhaupt noch überraschen? Im April 2005 haben viele nach seiner Wahl gesagt: Ach, gebt ihm eine Chance, er ist doch jetzt Papst und nicht mehr der alte Panzerkardinal Ratzinger, der sittenstrenge Glaubenswächter. Nein, hieß es, Benedetto wird uns noch alle überraschen. Ratzingers langjähriger Sekretär Josef Clemens verbreitete das genau wie der heutige Papstsekretär, Georg Gänswein.
Wer ist Schuld? Der Teufel!
Beide gehören in den nächsten Tagen zum rund 38-köpfigen Begleittross von "Il Papa" - böse Zungen könnte auch sagen, zu den übereifrigen Ja-Sagern, die er im Vatikan rund um sich versammelt hat. Ein kritisches Korrektiv ist weit, weit weg - Kritiker gelten schnell als Kirchenfeinde. So bleibt der alte Kurs auch seit sechs Jahren der neue: Wo Benedikt draufsteht, ist Ratzinger drin.

Ihr alter und neuer Chef hat seit damals tatsächlich seine Kirche überrascht , manchmal auch den Rest der Welt. Allerdings selten zum Vorteil seiner Kirche, wie die Bilanz seiner bisherigen Jahre aussieht:
- Bei seinem zweiten Deutschlandbesuch im Jahre 2006 hielt Benedikt XVI. an der Uni Regensburg eine Vorlesung. Dabei unterstellte er durch ungeschicktes Zitieren alter Quellen dem Islam als Religion einen Hang zur Gewalt. Die islamische Welt empörte sich, es kam zu Morddrohungen gegen ihn, in Mogadischu wurde eine Nonne erschossen.
- Im Mai 2007 sorgte der Papst bei einer Lateinamerika-Reise für Empörung bei den Indios. Sie erfuhren durch ihn, dass die Christianisierung ihrer Ahnen von den Ureinwohnern unbewusst "herbeigesehnt" worden sei.
- Auch mit den Protestanten in seinem Heimatland verdarb es sich Benedikt. Sie seien "nicht Kirchen im eigentlichen Sinn". Für Rom gibt es nur eine Kirche, alles andere sind Sekten, christliche Gemeinschaften oder Laienveranstaltungen. Für die Ökumene ein schwerer Rückschlag. Jetzt treffen sich je 20 katholische und protestantische Vertreter nach einem gemeinsamen Wortgottesdienst für 30 Minuten zum Gespräch. Im "Wort zum Sonntag" wies Benedikt allerdings schon Erwartungen zurück: Es würden "keine Sensationen" passieren.
Das gilt wohl auch für das andere große Thema der katholischen Kirche in Deutschland, den Umgang mit sexueller Gewalt und der Frage, warum ers in der Kirche so lange möglich war. Benedikt XVI. hat sich bislang nicht wirklich zur Kritik an den innerkirchlichen Strukturen aufgerafft, die den Missbrauchsskandal als flächendeckendes Problem in der Kirche ermöglicht haben. Viel lieber schiebt er die Schuld auf den Teufel.
Benedikt hat zur Vertuschung beigetragen
In einer Predigt zum Abschluss des Jahres des Priesters 2009 verkündete er: "Es war zu erwarten, dass dem bösen Feind das neue Leuchten des Priestertums nicht gefallen würde. So ist es geschehen, dass gerade in diesem Jahr der Freude über das Sakrament des Priestertums die Sünden von Priestern bekannt werden." Etwas verquast, aber klar ist: Der böse Feind, der Teufel, hat das Missbrauchsproblem der Kirche verschuldet.
Zur Enttabuisierung der Sexualität gehört nicht zuletzt die Abschaffung des Zwangszölibats der Priester - und die Emanzipation der bislang in der katholischen Kirche weitgehend rechtlosen Frauen.
Selbst bei einem vergleichsweise "kleinen" Problem, über das Außenstehende nur den Kopf schütteln, ist bisher keine sensationelle Lösung in Sicht: die Diskriminierung der Katholiken nach einer Scheidung und erneuten Heirat. Sie bekommen alle kein Abendmahl und in kirchlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Krankenhäusern oder Schulen werden sie in der Regel gefeuert. Ratzingers kritischer alter Weggefährte Hans Küng, darauf angesprochen, hegt wohl mehr den Wunsch als die begründete Hoffnung, dass "der Papst das doch als ein kleines Gastgeschenk mitbringen könnte".
Nach 180.000 Austritten im vergangenem Jahr der Missbrauchsskandale ist die Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens in seine Kirche das wohl drängendste Anliegen. Zwar bekennt der Papst bei seinen Besuchen auch immer wieder seine tiefe Betroffenheit über das Ausmaß der Verbrechen seiner Priester und will ähnlich wie in Malta auch in Deutschland Missbrauchsopfer treffen. Doch als Erzbischof von München und als Chef der Glaubensbehörde hat er höchstpersönlichen Anteil an der jahrzehntelangen Vertuschung.
Ein Treffen mit Missbrauchsopfern als unverbindliche Geste
Für Benedikt galt die Devise: Das Ansehen der Kirche steht höher als das Leid der Opfer. Wenn er in seinem eigenen Fall, in den er persönlich verstrickt war, selbstkritische Worte gefunden hätte, wäre das die "Sensation", mit der Glaubwürdigkeit hätte wieder hergestellt werden können. Aber die Chance scheint verstrichen.
Wenn er - was bisher nicht offiziell ist - tatsächlich Missbrauchsopfer trifft, geht es wieder einmal vor allem um die allgemeine und damit unverbindliche Geste.
Die Frage, wie der heutige Papst im Jahr 1980 als Josef Ratzinger, Erzbischof von München, bei der Versetzung eines pädophilen Priesters mitwirkte, hat er bis heute nicht beantwortet. Die Akten dazu hält das Ordinariat München streng unter Verschluss. Der pädophile Priester konnte unter Ratzingers Augen sofort wieder mit der Jugend- und Ministrantenarbeit weitermachen. Ein schwerer Fehler, der im Vertuschungssystem der katholischen Kirche von vielen Verantwortlichen immer wieder gemacht wurde.
Tatsächlich wurde der Mann dann weiter versetzt und später erneut wieder straffällig. Eines der Opfer, Wilfried Fesselmann aus Essen, kämpft seit zwei Jahren vergeblich um Aufklärung. Der Missbrauchte würde den Papst gerne treffen. Geschrieben hat Fesselmann an den Papst schon vor Monaten, eine Antwort kam nie.