Deutschland spricht "Grenzposten sind Blendwerk, dummes Geschwätz fürs Volk"

Horst Schmitzberger und Christian Klee
Foto: SPIEGEL ONLINEChristian Klee legt eine dicke Kladde auf den Tisch und zieht einen Zettel hervor. "Na gut", sagt der 72-Jährige mit erwartungsfroher Stimme und schaut auf das Blatt Papier: "Ich habe mir mal die Themen aufgeschrieben, über die wir sprechen können." Es sind ziemlich viele Themen, die er an diesem Nachmittag in einem mexikanischen Restaurant im fränkischen Roth besprechen will: Donald Trump, Asylpolitik, Fleischkonsum, wirtschaftliche Weltlage.
Klees Gegenüber lächelt schüchtern und sagt erst mal nichts. Horst Schmitzberger, ein gemütlicher Kerl mit Vollbart, hatte offenbar nicht mit einem so gut organisierten Gesprächspartner gerechnet. Dabei ist das ein Glücksfall, vermittelt durch die Aktion "Deutschland spricht", der sich in den folgenden zwei Stunden auszahlen wird: Weil Schmitzberger klare Meinungen und Klee einen klaren Plan hat, gelingt den beiden ein konstruktives Gespräch - obwohl sie in vielen Fragen völlig unterschiedlicher Meinung sind.

Horst Schmitzberger, 55, ist ein Linker mit breitem bayerischen Dialekt. Der Familienvater ist SPD-Mitglied und arbeitet als politischer Sekretär für die Gewerkschaft IG Metall. Eine Erhöhung von Steuern auf Fleisch lehnt er ab, ebenso wie die Politik Horst Seehofers und Donald Trumps. "Ich lass mich mal überraschen", sagt er vor dem Gespräch. Ihn interessiere vor allem, "wie diese laute Minderheit denkt."

Christian Klee, 72, arbeitete jahrelang im Management eines Industriebetriebs und ist heute Rentner. Er lässt sich politisch nicht so leicht verorten: Der gelernte Physiker ist Vegetarier und sorgt sich wegen des Klimawandels, pocht aber auf strenge Grenzkontrollen. "Ich glaube, dass wir keine gute Zukunft vor uns haben", sagt Klee. Ihm gehe es bei dem Gespräch vor allem um eines: die eigene Meinung loswerden.
Bildung
Klee ist davon überzeugt, dass es Deutschland früher besser ging - und macht das unter anderem am Zustand der Schulen fest: Ein befreundeter Lehrer habe ihm erst neulich bestätigt, dass der Anspruch an die Schüler in den vergangenen Jahren gesenkt worden sei, Klee redet sich nun regelrecht in Rage.
Schmitzberger: Kommt Ihnen diese Klage denn nicht bekannt vor?
Klee: Nein, das kommt mir nicht bekannt vor.
Schmitzberger: Schon im alten Rom klagten die Denker, die Jugend von heute sei versaut und faul...
Klee: ...das hab ich doch gar nicht gesagt!
Schmitzberger: Aber wenn wir uns mal anschauen, dass wir mit den jungen Leuten in Deutschland noch immer mit dem Wirtschaftswachstum und vielem anderen an der Weltspitze stehen, kann es so schlecht doch nicht bestellt sein ums Bildungssystem.
Klee: Aber früher war's besser.
Schmitzberger: Ich weiß nicht, ob uns dieser Pessimismus was bringt. Es bleiben noch immer zu viele Talente ungefördert, da geb ich Ihnen recht - aber deswegen ist ja nicht das ganze System mies.
Klee: Ich hab nicht gesagt, dass es mies ist - obwohl ich dieser Meinung bin - aber es ist schlechter als vor zehn Jahren.

Migration
Besonders innig diskutieren die beiden über die Frage, ob Deutschland seine Grenzen strenger kontrollieren sollte. Klee befürwortet das vehement, Schmitzberger lehnt Grenzkontrollen grundsätzlich ab - und verweist vor allem auf den freien Verkehr von Waren und Personen innerhalb des Erfolgsmodells EU.
Schmitzberger: Grenzposten sind Blendwerk, dummes Geschwätz fürs Volk. Wenn jemand über drei Kontinente zu Fuß gegangen ist...
Klee: ...und dabei rechtswidrig die deutsche Grenze überquert hat...
Schmitzberger: ...dann wird er sich von einem Grenzer in Freilassing, der da in sein Auto furzt, auch nicht aufhalten lassen - sondern durch den Wald gehen und seinen Weg finden.
Klee: Also ich gebe Ihnen Recht: Es ist für uns alle bequemer, keine Grenzen zu haben. Aber ob man Grenzen kontrollieren sollte, hat nichts damit zu tun, ob das Volk sich besser fühlen soll. Entscheidend sind andere Fragen, zum Beispiel die Sicherheit. Und ohne Staatsgrenzen gibt's kein Staatsvolk.
Klee führt nun detailliert aus, warum seiner Ansicht nach offene Grenzen ein Widerspruch in sich sind - und dass strenge Kontrollen zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöhen würden, Gefährder und Terroristen rechtzeitig abzufangen.
Schmitzberger: Da kommen wir nicht zusammen, tut mir leid.
Klee: Macht ja nix. Ich finde halt: Eine Grenze ist eine Sache, die man erst mal akzeptieren muss.
Schmitzberger: Ich finde, man hat mit dem Grenzregime hier in Bayern die nicht realen Ängste der Bevölkerung mit nicht realer Medizin bekämpft - und wundert sich nun, dass uns die ganze Debatte immer weiter Richtung rechts entgleitet.
Klee: Da gebe ich Ihnen recht, das ist nicht gut.
Donald Trump
Das Gespräch über den US-Präsidenten nimmt einen überraschenden Verlauf: "Trump ist die größte politische Katastrophe, die den USA und der Welt passieren konnte", sagt Schmitzberger. Klee hingegen hatte anfangs angegeben, Donald Trump für ein gutes Staatsoberhaupt zu halten - und rudert nun zurück.
Ihm habe anfangs der Slogan "America first" imponiert, sagt Klee, weil diese Haltung die richtige sei: Auch Angela Merkel müsse sich als Kanzlerin zunächst um das Wohl des deutschen Volkes kümmern - was sie aus seiner Sicht nicht tut.
Klee: Ob Trump nun Amerika auf Dauer guttut... hmm. Inzwischen erscheint er mir immer mehr wie ein irgendwie seniler Greis. Ich weiß manchmal nicht, was er mit seinen Entscheidungen will. Ich finde es aber trotzdem positiv, dass er es geschafft hat, die Weltpolitik in Unruhe zu bringen. Jetzt sind die Politiker aus ihrem Dauerschlaf erwacht.
Schmitzberger lässt seinen Gesprächspartner nun einfach reden. Die USA, sagt Klee, seien kein Vorbild mehr, er spricht über Guantanamo und den Irakkrieg, nennt Barack Obama einen "sehr sympathischen und eloquenten Mann". Die neuen Partner, sagt er, müsse sich Europa im Osten suchen: in Russland und China. Nun widerspricht Schmitzberger deutlich: Er halte die USA noch immer für den wichtigsten Partner.
Der gemeinsame Nenner
Das Gespräch geht noch eine ganze Weile weiter, Klee navigiert alle 20 Minuten einen weiteren Themenkomplex an - und immer wieder zeigt sich, dass die beiden klassischen Links-Rechts-Mustern kaum entsprechen: Der 72-jährige "America first"-Anhänger erzählt, Vegetarier zu sein und jahrelang die SPD gewählt zu haben.
Und Schmitzberger, Gewerkschafter und Sozialdemokrat, lässt sich frustriert über SPD-Chefin Andrea Nahles aus: Er hoffe, ihre Zeit an der Spitze der Partei sei so schnell wie möglich vorbei. Sie verfüge über eine "unglaubliche Inkompetenz". Und dann, ganz zum Schluss, finden Klee und Schmitzberger in einer Frage sogar uneingeschränkt einen gemeinsamen Nenner: Beide sehnen das Ende der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel herbei.
Hat es sich also gelohnt, das Streitgespräch mit einem fremden Menschen an einem Sonntagnachmittag? "Ich hätte nicht gedacht, dass es so harmonisch verläuft", sagt Schmitzberger. Klee lächelt: "Mir hat es trotz all der Differenzen richtig Spaß gemacht." Jetzt lächeln beide.