Maskenpflicht in Jena Die Stadt der schönen Muster

Der eine trägt Skimaske, die andere feinen Stoff: In Jena gilt beim Einkaufen jetzt Mundschutzpflicht. Und in manchem kleinen Laden rattern die Nähmaschinen ohne Unterlass.
Von Timo Lehmann, Jena
Masken in Jena: Seit diesem Montag müssen sie beim Einkaufen getragen werden

Masken in Jena: Seit diesem Montag müssen sie beim Einkaufen getragen werden

Foto: Timo Lehmann/ DER SPIEGEL

Vor dem City-Kiosk in Jenas Innenstadt hat sich eine kurze Schlange mit vermummten Menschen gebildet. Der Grund: Den Corona-Auflagen zufolge darf sich jeweils nur ein Kunde in dem kaum 20 Quadratmeter großen Geschäft aufhalten. Und das seit diesem Montag nur mit Mund- und Nasenbedeckung.

Alexander Wyrowski, 24, BWL-Promovend, trägt eine große schwarze Skimaske im Gesicht. "Das ist schon ein bisschen ungewohnt", sagt er und spricht etwas lauter, als könne man ihn sonst vielleicht nicht hören. Die Sonne scheint, es sind 20 Grad. Eigentlich soll die Maske gegen Kälte schützen. "Besser, als wenn wir gar nicht mehr rausdürften", sagt Wyrowski.

Alexander Wyrowski mit Skimaske im frühlingshaften Jena: "Bisschen ungewohnt"

Alexander Wyrowski mit Skimaske im frühlingshaften Jena: "Bisschen ungewohnt"

Foto: Timo Lehmann/ DER SPIEGEL

Kritischer sieht es der 26-jährige Balder Pohle, Jurastudent in Jena: "Man muss den Zweck hinterfragen, ob solch eine Pflicht das richtige Mittel ist", sagt Pohle. Er trägt eine professionellere OP-Maske, die ihm sein Vater geschickt habe. Als er ins Geschäft geht, zieht er sich noch einen Gummihandschuh an. "Auch das Tastaturfeld des Kartengeräts könnte kontaminiert sein", befürchtet er.

Jena, Tag eins der Mundschutzpflicht. In Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr müssen die Bürger Masken tragen, ansonsten droht ein Bußgeld von 50 Euro. Obwohl die Pflicht vorerst gar nicht für die Straße gilt, sind Maskenträger dennoch im ganzen Stadtbild zu sehen. Die Anwohner tragen Schals über den Mund, schwarze Tücher, bunte Tücher oder die weißen OP-Masken. Bisher, so sagt die Verkäuferin des City-Kiosks am Montagnachmittag, hätten sich fast alle Kunden an die neue Regel gehalten. Ansonsten würden sie nach draußen verwiesen.

Jenas Oberbürgermeister sitzt in der strahlenden Sonne auf der Bank vor dem Rathaus und scheint zufrieden. Thomas Nitzsche hatte sich bis zuletzt gefragt, ob die Bürgerinnen und Bürger die Maskenpflicht auch annehmen. Aus anderen Städten und von Bundes- und Landespolitikern gab es Kritik an dem Jenaer Alleingang. Das Universitätsklinikum und das Gesundheitsamt in Jena hatten die Maßnahme empfohlen, doch abgestimmt hatte sich die Stadt nicht.

Schon jetzt ging die Zahl der Neuinfektionen in Jena zurück. Am Montag gab es nur noch drei neue positive Corona-Tests in Jena. Welche Rolle dabei die Masken spielen, will man in den kommenden Tagen herausfinden.

Nitzsche ist einer der wenigen FDP-Oberbürgermeister in ganz Deutschland. Ausgerechnet in Thüringen, wo kürzlich noch ein FDP-Ministerpräsident ohne jegliche Minister regierte, ist es nun ein Stadtoberhaupt der Freidemokraten, das vorprescht. Nur wenige Tage vor der Coronakrise hatte der Thüringer Landtag Bodo Ramelow wieder zum Regierungschef gewählt. Nitzsche, der auch dem FDP-Landesvorstand angehört, ist froh, dass man das noch regeln konnte. "Es wäre eine Katastrophe, hätten wir jetzt keine richtige Regierung", sagt er. Mit Thomas Kemmerich, der noch Landeschef der Partei ist, stand er im Austausch über sein Vorgehen.

Dass ausgerechnet ein Freidemokrat zu der wohl bisher rigidesten Maßnahme greift, will er nicht zählen lassen. "Wir wollen die Mund- und Nasenbedeckung ja auch, weil wir hoffen, dadurch die anderen Beschränkungen wieder etwas früher lockern zu können", sagt Nitzsche. Gleichzeitig bedeute das aber auch nicht, dass die anderen Regeln nicht mehr gelten. Einen Termin für mögliche Lockerungen will er nicht nennen. Das sei einfach noch nicht absehbar.

Vor allem einen Kritikpunkt hört Nitzsche derzeit immer wieder: Wie kann man eine Pflicht für Masken einführen, wenn diese nicht genügend vorhanden sind? Selbst in Krankenhäusern und Altenheimen gibt es noch immer zu wenige. Wie soll die ganze Stadt damit versorgt werden? Nitzsche verweist darauf, dass es nicht um Masken gehe, die in Krankenhäusern gebraucht werden, sondern um einfache Baumwollmasken, die davor bewahren können, andere anzustecken. Das Risiko für den Träger selbst senken sie wohl nicht. Deshalb kommt es darauf an, dass die Menschen mitziehen. Und zumindest an diesem Montag scheint das zu gelingen: Bis zum Abend wurde kein einziges Bußgeld verhängt.

Maskenproduktion im Schnellverfahren

Auch bei der Maskenproduktion setzt die Stadt auf Eigeninitiative der Bürger. Kien Pham, 65 Jahre alt, sitzt am Nachmittag in einer kleinen Kammer an einer Nähmaschine. Die Tür der Änderungsschneiderei hat sie angelehnt und mit einem Band versperrt. Im Eingang hängen die Masken in türkis, mit grauen Streifen oder Blumenmuster. Pham näht sie seit Tagen. Einige davon verkauft sie für einen Euro oder fünf Euro, viele verschenkt sie auch. "Ich möchte helfen", sagt sie. Die Textilgeschäfte haben in Jena für die Maskenproduktion wieder geöffnet. Ob sich dadurch 100.000 Einwohner versorgen lassen, ist jedoch fraglich. Auch deshalb gilt, dass vorerst ein Schal genügt.

Zumindest was die Grundversorgung angeht, ist auch die Zivilgesellschaft längst eingebunden. Katja Stimmer steht in dem kleinen Laden "Kabuff" in einer kleinen Gasse von Jena. Eine Bürgerinitiative hat hier im Schnellverfahren die Maskenproduktion in der Stadt angeschoben, 40 Schneiderinnen und Schneider sind involviert. Schon 2500 Masken wurden verteilt - an Erzieher, Diakonie und andere sensible Bereiche in der Stadt.

Katja Stimmer: "So viele unterschiedliche Farben"

Katja Stimmer: "So viele unterschiedliche Farben"

Foto: Timo Lehmann/ DER SPIEGEL

Für neue Probleme suchen sie bei der Bürgerinitiative kreative Lösungen: Wie geht man mit Gehörlosen um, die nicht mehr die Lippen der Menschen lesen können? Masken mit einem kleinen Kunststofffenster könnten helfen. Was bedeutet es für Kinder, wenn sie die Mimik der Erzieher nicht mehr lesen können? Masken mit lächelndem Gesicht - das wäre doch vielleicht was.

Täglich kommen Menschen vorbei, die ihre Bettlaken bringen oder gleich selbst nähen wollen, was gar nicht notwendig sei, sagt Stimmer. Aber daran sehe man, wie groß das Engagement in der Bevölkerung ist.

Die Maskenproduktion wird auch zur Beschäftigung in der Krise, zumal im Internet unzählige Anleitungen zu finden sind. In Jena sieht man denn auch Eigenkreationen, die mit Steinchen besetzt sind oder etwas düsterer mit Totenkopfmotiv. Stimmer selbst trägt eine Maske aus Musselin-Stoff. "Das ist doch eigentlich ganz schön, dass man so viele unterschiedliche Farben sieht", sagt sie.

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