
Dresdner Kirchentag: Lichter, Andrang und ein Star
Dresdner Kirchentag Die Käßmann-Show
Das Mädchen mit den Blumen im Haar lächelt entrückt. Warum sie hier sei? "Wegen Margot, ist doch klar!" Vor der Ausstellungshalle "Zeitenströmung" in Dresden stehen Männer und Frauen, Kinder und Rentner in langen Schlangen. Sie alle sind gekommen, um eine Frau zu sehen: Margot Käßmann, die frühere Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, bis heute Deutschlands bekannteste Predigerin.
Mehr als hunderttausend Teilnehmer haben sich zum 33. Kirchentag in Dresden angemeldet. Bundespräsident Christian Wulff ist am Donnerstag Vormittag aufgetreten, Schriftstellerin Juli Zeh wird sprechen, der Kabarettist Eckhard von Hirschhausen, für Samstag hat sich Kanzlerin Angela Merkel angekündigt. Doch der Star der Veranstaltung ist Margot Käßmann; acht Auftritte hat sie hier, so viele wie wenig andere.
Käßmann war bis vor gut einem Jahr Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nach einer Trunkenheitsfahrt legte sie alle Ämter nieder. Seit ihrem Rücktritt verehren sie ihre Fans nur noch mehr. Käßmann gilt als glaubwürdig, standfest, gerade. Wo immer sie auftritt, jubeln ihr die Menschen zu. Das war zuletzt bei einer Lesung in Berlin so - und das ist auf dem Kirchentag in Dresden nicht anders.
Überall in der Stadt sind Bühnen und Stände aufgebaut. Jugendliche in "Kirche ist cool"-T-Shirts tanzen Polonaise, Frauen verkaufen selbst gebackenen Kuchen, eine Band singt "I love Jesus". In Messehallen und Sportstadien diskutieren Kirchenvertreter mit Politikern über die großen Fragen der Zeit: Ist die repräsentative Demokratie in der Krise? Wie gelingt Integration? Was hält die Gesellschaft zusammen? Kinder lassen Luftballons in den Himmel steigen. Auf den Litfaßsäulen kleben rosa Kirchentagsherzen.
"Besser mit den Taliban beten, als sie bombardieren"
Margot Käßmann hat am Vormittag über die Bergpredigt und die Politik gesprochen. Die Theologin wurde vor einiger Zeit mit dem Satz berühmt: "Nichts ist gut in Afghanistan." Sie hat den Militäreinsatz in der Folge immer wieder kritisiert. Auch in der Dresdner Eisarena ging sie auf Afghanistan ein: Es sei "besser mit den Taliban zu beten, als sie zu bombardieren", sagte Käßmann.
Jetzt sitzt sie gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Uno-Sonderbotschafter für Afghanistan, Tom Koenigs, auf dem Podium in der "Zeitenströmungen"-Halle. Ihr Thema: Schaffen militärische Interventionen Frieden? Die Halle musste unmittelbar vor Veranstaltungsbeginn geschlossen werden, zu groß war der Andrang. Fernsehteams drängen sich vor der Bühne. Die Luft im Saal ist stickig.
Dann ruft Käßmann zu weltweitem Gewaltverzicht auf: "Gewaltlosigkeit heißt nicht Passivität oder Nichtstun, sondern ist auf ihre Art und Weise ein legitimes Zeugnis." Anstatt militärisch in Konflikte einzugreifen, sollte besser bereits präventiv gehandelt werden, wenn sich Konflikte andeuteten. "Frieden wird selten oder wahrscheinlich nie durch Waffen geschaffen."
Wenige Stunden vor dem Auftritt haben erneut schlechte Nachrichten aus Afghanistan die deutsche Öffentlichkeit erreicht. Bei einem Sprengstoffanschlag der Taliban auf die Bundeswehr kam ein Soldat ums Leben, zwei weitere wurden schwer verletzt. Margot Käßmann legt die Stirn in Falten: "Es gibt keinen gerechten Krieg. Es gibt nur einen gerechten Frieden", ruft sie ins Mikrofon. Ihr Anhänger jubeln nach jedem Satz.
"Margot Käßmann ist für mich ein Vorbild", sagt Melanie, eine Studentin, die aus Berlin zum Kirchentag nach Dresden gereist ist. Den meisten Menschen hier geht es so. Die Welt ist unübersichtlich geworden: Libyen, Fukushima, Afghanistan. Doch in den Predigten und Reden Käßmanns findet sich diese Komplexität nicht wieder. Die Theologin bedient eine Sehnsucht, die viele Menschen teilen: Sie gibt einfache Antworten auf komplizierte Fragen. In ihren Schilderungen tauchen die Widersprüche der Gegenwart nicht auf: Wird der Westen schuldig, wenn er gegen Gaddafi vorgeht? Oder wenn er dem Massaker in Libyen tatenlos zusieht?
Käßmann fordert "mehr Kreativität" bei der Lösung von Problemen. Eine Antwort auf die Frage, wie genau diese "kreativen" Lösungen aussehen könnten, gibt sie nicht. Ihren Anhängern vermittelt sie dennoch das gute Gefühl, auf der moralisch richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière, ebenfalls Referent auf dem Kirchentag, klingt sehr viel zurückhaltender, als er im Dresdener Kulturpalast zur Öffentlichkeit spricht. Er weiß, dass er Lösungen für Afghanistan finden muss - wirkliche Lösungen.