EKD-Ratsvorsitzender über Corona "Eine ganze Gesellschaft ist verwundet"

Plakat mit Corona-Regeln in der Inselkirche Langeoog: "Wir geben aufeinander acht"
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SPIEGEL: Herr Ratsvorsitzender, lassen Sie uns über Mammon reden: Die evangelische Kirche hat auf ihrer Synode beschlossen, bis 2030 rund 17 Millionen Euro einzusparen. Wo setzen Sie den Rotstift an?
Bedford-Strohm: Wir wollen auch künftig ausstrahlungskräftig Kirche sein. Um das mit geringer werdenden finanziellen Mitteln zu können, wollen wir vor allem Parallelstrukturen abbauen und die Aufgabenverteilung zwischen EKD und Landeskirchen klarer definieren.
SPIEGEL: Wie hoch sind die Verluste der EKD durch die Coronakrise?
Bedford-Strohm: Die Kirchensteuereinnahmen sind dramatisch gesunken. Im laufenden Jahr wird das Minus wohl im Schnitt zwischen acht und elf Prozent liegen.
SPIEGEL: Das wären bei 5,9 Milliarden Euro Kirchensteuereinnahmen im Jahr mehr als 500 Millionen Euro, die Ihnen verloren gehen?
Bedford-Strohm: Ja. Glücklicherweise hat die EKD schon 2017 einen Reformprozess angeschoben, als klar war, dass ein massiver Mitgliederschwund durch Kirchenaustritte und demografische Entwicklungen droht. Die Kirchensteuer ist extrem wichtig, für die Verkündigung und Gemeindearbeit ebenso wie für unsere diakonischen Aufgaben und humanitären Projekte. Etwa zehn Millionen Menschen erhalten von der Diakonie Betreuung, Beratung, Pflege oder medizinische Versorgung.

Heinrich Bedford-Strohm wurde 1960 in Memmingen als Pfarrerssohn geboren. Er studierte Theologie in Erlangen, Heidelberg und Berkeley. An der Universität Heidelberg promovierte er 1992 über "Vorrang für die Armen. Auf dem Weg zu einer theologischen Theorie der Gerechtigkeit". Er war Professor für Systematische Theologie an den Universitäten Gießen und Bamberg, seit 2009 an der Universität Stellenbosch in Südafrika. Im Oktober 2011 wurde er evangelischer Landesbischof in Bayern. Seit November 2014 ist er Ratsvorsitzender der EKD. Bedford-Strohm ist verheiratet mit der US-Psychotherapeutin Deborah Bedford-Strohm. Das Paar hat drei Söhne.
SPIEGEL: Die evangelische Kirche verliert aber nicht nur Einnahmen, sondern mit sinkenden Mitgliedszahlen auch an Bedeutung.
Bedford-Strohm: Das würde ich so nicht sagen. Unsere Stimme wird gehört. Und auch mit weniger Mitgliedern können wir große Strahlkraft entwickeln. Das ist in den ostdeutschen Bundesländern gut zu beobachten, wo der Anteil der Kirchenmitglieder vergleichsweise niedrig ist. Heute sind die Menschen Kirchenmitglied aus freier Entscheidung und nicht aus Konvention. Entsprechend engagiert sind sie auch.
SPIEGEL: In der Coronakrise sparen viele an der Kirchensteuer, die Gotteshäuser waren teilweise geschlossen – wie wollen Sie neue Gläubige rekrutieren?
Bedford-Strohm: Unsere Kirchen sind offen, aber unabhängig davon: Wir müssen offen und milieuübergreifend auf Menschen zugehen, vor allem auf die jungen. Sie sollten bei uns eine Heimat finden und aktiv in den Gremien mitbestimmen. Wir müssen flexibler und agiler werden, mehr wie ein Netzwerk, nicht wie eine staatsanaloge Behörde.
SPIEGEL: Die Pandemie bringt große Verunsicherung und könnte ein idealer Moment für ein Comeback der Kirche sein. Nutzt Ihre Institution die Gunst der Stunde?
Bedford-Strohm: Es geht jetzt nicht um die Institution, sondern um die Bedürfnisse der Menschen. Viele suchen nach Orientierung, sie erfahren in der Pandemie einen Kontrollverlust. Krankheit und Tod brechen über sie herein und jeder Einzelne muss lernen, damit umzugehen und eine gewisse Resilienz zu entwickeln. Eine ganze Gesellschaft ist verwundet. Da ist die Kirche gefragt. Tröstende und aufbauende Worte waren noch nie so wichtig wie in Zeiten dieser Kontaktarmut, deshalb ist es einen Versuch wert, mal wieder die Bibel zu lesen. Denn ihre Worte, etwa in den Psalmen, geben Kraft.
SPIEGEL: Covid-19 konfrontiert viele Menschen mit dem Thema Schuld. Ein Beispiel: Eine Frau besucht für mehrere Tage ihre schwer kranken, hochbetagten Eltern und steckt sie dabei mit dem Coronavirus an. Jetzt liegt der Vater mit beidseitiger Lungenentzündung im Krankenhaus und will nur noch sterben. Die demente Mutter ist allein zu Hause. Wie würden Sie als Seelsorger der Frau Trost spenden?
Bedford-Strohm: Die Frau ist einem wertvollen Ur-Impuls gefolgt, sie wollte ihre Eltern nicht allein lassen und bei ihnen sein. Das kann doch kein Mensch verurteilen. Sie hat in der schwierigen Dilemma-Situation verhindern wollen, dass Vater und Mutter einen sozialen Tod sterben. Dass sie nun tragischerweise ihre Eltern angesteckt hat, kann sie sich nicht vergeben. Aber Gott kann es. Er spricht die erlösenden Worte: Dir ist vergeben.
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