Demo in Ellwangen Die Brüder des Togoers

Nach der missglückten Abschiebung in Ellwangen schildern die Flüchtlinge ihre Sicht der Dinge. Sie sprechen über Frust, Hoffnungslosigkeit - und die Nacht, in der sich das alles Bahn brach.
Demonstrierende Flüchtlinge in Ellwangen

Demonstrierende Flüchtlinge in Ellwangen

Foto: Sina Schuldt/ dpa

Die Nachmittagssonne scheint auf Ellwangen, als die Rufe durch die Gassen des Städtchens hallen. "We did not fight the police", ruft ein Mann ins Mikrofon. Mit ihm laufen 200 Menschen durch das Zentrum der Kleinstadt in Baden-Württemberg. Sie wollen sich Gehör verschaffen, ihre Sicht der Dinge verbreiten.

Ellwangen - das ist eigentlich kein Name mehr für eine Stadt, sondern Chiffre geworden. Für eine Abschiebung, die in der Nacht zum vorvergangenen Montag misslang. Für den Rechtsstaat, der angeblich kapituliert. Für die Antwort der Polizei, für Sturmhauben und kugelsichere Westen. Und für eine Debatte, in der die Flüchtlinge zu spät zu Wort kamen.

Dieses Gefühl haben hier zumindest viele, auch Isaiah Ehrauyi. Er steht auf dem Marktplatz in Ellwangen. Ein kleiner, kräftiger Mann, 24 Jahre alt. Seit sechs Monaten lebt er in der Unterkunft, wo Polizisten die Abschiebung unterbrachen. Ehrauyi verließ seine Heimat Nigeria, um hier ein besseres Leben aufzubauen, wie er auf Englisch erzählt.

Er hat die Demonstration organisiert. "Wir wollen der Gesellschaft sagen, dass wir die Polizisten nicht angegriffen haben." Er war dabei, in jener Nacht. Niemand habe ein Auto beschädigt, man habe den Wagen auch nicht umringt. Die Polizei stellt das anders dar.

Wie erklärt er sich, dass Polizisten sich bedroht fühlten? "Vielleicht hatten sie Angst, weil wir so viele waren", sagt er. Doch auch hier will er etwas korrigieren: Er sagt, dass nicht 150 Migranten vor dem Haus standen, sondern maximal 40. Man habe friedlich protestiert, Nein gerufen. "Wir wollten verhindern, dass unser Bruder nach Italien abgeschoben wird", sagt er.

Bruder - so nennen hier viele jenen 23-jährigen Togoer, der nun in Abschiebehaft sitzt. Ehrauyi sagt das nicht, weil er den Mann so gut kennt. Sondern weil er weiß, wie das ist. Diese Furcht, die ihn nachts nicht schlafen lässt. Die in seine Gedanken kriecht und die einen Namen hat: Dublin.

Die Dublin-Regelung sieht vor, dass das Land, in dem Migranten zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben, für das Asylverfahren zuständig ist -meist Italien. "95 Prozent der Afrikaner hier sind Dublin", sagt Ehrauyi.

Drei Narben, kurz und dick

Dublin, Ehrauyi spuckt das Wort fast aus. Nach Italien wolle er nicht, dort gebe es keine Jobs. Die Flüchtlinge, sagt er, schlafen dort auf der Straße. "Dublin, dieses Gesetz frisst mich auf", sagt er.

Weil es zerstört, wofür er kam. Wofür er so viel aufgab. Er floh über Libyen, wo ihm Schlimmes widerfahren sei. Er könne jetzt sein T-Shirt lüften, dann würde man die Narben sehen, sagt er, dann könne man sehen, was die Araber ihm angetan hätten.

Doch man sieht die Narben auch so, hier auf dem Marktplatz von Ellwangen, wo die Kastanienbäume pink blühen, wo der Maibaum 34 Meter hoch ist. Drei Narben, kurz und dick, ziehen sich über seinen Hals. Jede ist ein bisschen größer als die andere, wie Adidas-Streifen auf einem Schuh.

Ehrauyi sagt, dass er in Libyen solange Autos wusch, bis er die Überfahrt nach Italien bezahlen konnte. Sein bester Freund, sagt er, sei im Mittelmeer ertrunken. "Und jetzt wollen sie mich dahin zurückschicken?" Auch Ehrauyi hat eine Duldung.

Man weiß, was die Polizisten sahen in jener Nacht. Eine Bedrohung, Menschen in der Überzahl, die nicht einverstanden sind mit dem, was die Beamten vorhaben.

Und was sah Ehrauyi? Er sah Dublin. Doom-Doom, so klingt es wegen seines Akzents, wenn er das Wort schnell ausspricht. Doom, wie Untergang. Als er sah, wie der Togoer abgeschoben werden sollte, dachte Ehrauyi: "Morgen bin ich dran".

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