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Italien vor dem Halbfinale: Balotelli gegen Merkel

Foto: STRINGER/ITALY/ REUTERS

Italien gegen Deutschland Im Halbfinale gegen die Sparmeister

Wer gewinnt? Natürlich die Azzurri! Vor dem Halbfinale gegen Deutschland herrscht in Italien grenzenloser Optimismus. Für viele geht es nicht nur um Fußball. Es geht auch um einen Sieg gegen die Sparkommissare aus dem Norden - und um einen Erfolg gegen die ungeliebte "eiserne Kanzlerin".

"Wir werden Euch vom Platz fegen", mischt sich der zierliche alte Herr lautstark in die Diskussion ein. Ein paar Männer stehen in einer kleinen Bar in einem toskanischen Dörfchen, trinken einen Espresso und tragen das "Jahrhundert-Match" vorab schon einmal verbal aus. Der einzige Deutsche unter ihnen wird nicht beschimpft, sondern belehrt: Warum "die Deutschen" das EM-Halbfinale am Donnerstagabend in Warschau (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) verlieren werden, warum das gerecht ist und warum "la Merkel" daran schuld ist.

Es geht um Fußball, eigentlich. Mithin werden auch die Spieler verglichen, die Systeme der Trainer, und klar, die Italiener sind in allen Bereichen deutlich überlegen. Das zeigt ja schon der historische Vergleich: Bei EM- oder WM-Duellen hat Italien nie gegen Deutschland verloren. Drei Siege, vier Unentschieden sei die Pflichtspiel-Bilanz, so das kollektive Gedächtnis der Dorfkneipe.

Tatsächlich geht es manchem Italiener um viel mehr als Fußball auf hohem Niveau. Es geht um den Stolz einer zu oft und zu Unrecht gedemütigten Nation. "Italien-Deutschland, das politischste Spiel, das man sich vorstellen kann", überschreibt die Zeitung "Il Fatto Quotidiano" ihren Vorbericht. Darin geht es unter anderem um Euro-Bonds, die Italien helfen könnten, die Deutschland aber blockiert. Erinnerungen an weitere deutsche Fehltritte werden bemüht, bis hin zum unvergessenen und nie verziehenen Titelblatt des SPIEGEL aus dem Jahre 1977: Ein Teller Spaghetti und eine Pistole. Seht her, so sehen uns die Deutschen!

"Geld, Schulden, Fußball"

In den Zeiten der Krise und der vermeintlichen deutschen Vormundschaft kommt altes und neues bunt durcheinander auf den Tisch. "Geld, Schulden, Fußball - Deutschland verteidigt sich gegen die 'Pigs' Europas", schlagzeilt sogar die eigentlich politikfreie "Gazzetta Dello Sport". Eigentlich müsste es "PIIGS" heißen. Denn unter diesem nicht gerade schmeichelhaften Namen werden Europas Krisenstaaten zusammengefasst: Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien.

Vier Länder sind darunter, die Gegner Deutschlands waren, es sind oder es bei dieser EM noch werden könnten. Vier Länder, die wirtschaftliche Probleme haben und mit ihren Forderungen und Wünschen immer wieder an der "eisernen Kanzlerin" scheitern. Angela Merkel gilt vielen mittlerweile als Reizfigur, auch in Italien. Sie habe durch ihr Verhalten, vor allem "durch ihre Härte", so heißt in Internet-Blogs und den Kommentar-Rubriken von Netz-Zeitungen, "sich selbst und, unvermeidbar, auch die Deutschen für den gesamten Rest Europas unsympathisch gemacht".

Trotzt der Merkel!

"Sfida la merkel" stand vergangenen Freitag in Rom auf vielen Plakaten, die zu einer Protestkundgebung luden, frei übersetzt: "Trotzt der Merkel". Abends beim Fußballgucken in einer "Birreria" im Flaminio-Viertel wurde das Signal prompt aufgenommen: Im Spiel Deutschland gegen Griechenland waren alle Italiener mit Begeisterung für die Griechen, jubelten bei deren guten Szenen und verkrümelten sich traurig nach deren herber Niederlage. Nur ein Mann aus Kalabrien bekannte sich leise als "Tifoso" der Deutschen. Er hat eine deutsche Ehefrau. Aber beim entscheidenden Spiel wird natürlich auch er für Italien jubeln.

Wer jetzt nicht zu Italien steht, ist fast ein Landesverräter. So brachten zwei Zeitungen aus dem Berlusconi-Reich gleich einmal in Umlauf, der Nachfolger ihres geliebten Silvio Berlusconi auf dem Stuhl des Regierungschefs, Mario Monti, halte zu Deutschland. Einen Beleg dafür hatten sie nicht und so hält sich mancher an die Vorstellung, dass am Donnerstagabend gleich zweimal ein heldenhafter Mario gegen die Deutschen antritt: Mario Balotelli im Stadion von Warschau und Mario Monti im EU-Ratsgebäude in Brüssel. Wenigstens der in Polen soll siegen.

Natürlich gib es auch kritische Stimmen gegen die allgemeine Volksmeinung. Marco Travaglio etwa, ein bekannter Journalist und Buchautor, verkündete frei "Ich drücke die Daumen gegen Italien". Er fürchtet, sollten die Italiener Europameister werden, würde der gigantische Skandal um verkaufte Spieler und Spiele, der Italien in diesem Jahr erschüttert hat, nicht länger untersucht, sondern umgehend begraben und vergessen. Ganz so wie ein ähnlicher Fall nach der Weltmeisterschaft 2006. Erboste Italien-Fans reagierten heftig, einer bedauerte gar, dass es in Deutschland die Mauer nicht mehr gebe, sonst hätte man Travaglio zu seinen mutmaßlichen Gesinnungsgenossen von der Stasi schicken können.

Weniger verbohrt kommentierte die TV-Moderatorin Myrta Merlino in der "Gazzetta Dello Sport" das Umfeld der Partie: "In den Augen der Deutschen sind wir Italiener Teppichverkäufer". Doch mit einem "Geniestreich", wie dem sagenhaften Elfmeter-Lupfer von Andrea Pirlo im Spiel gegen England, werde man sie "auf typisch italienische Art" besiegen.

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