Krise im Erzbistum Köln eskaliert Gläubige rebellieren gegen Kardinal Woelki

Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki (Archivbild)
Foto:Andreas Arnold / dpa
Einen solchen Schritt dürfte es in der katholischen Kirche noch nicht so oft gegeben haben: Die Gläubigen im größten deutschen Bistum kündigen dem Kölner Erzbischof offiziell das Vertrauen und die Zusammenarbeit auf. Der Diözesanrat – die Vertretung der praktizierenden Katholiken in den Gemeinden – hat sich in einer außerordentlichen Vollversammlung gegen Kardinal Rainer Maria Woelki gestellt.
Damit erreicht eine seit Monaten schwelende Krise ihren bisherigen Höhepunkt. »Es ist schier unglaublich, wie sich die Leitung des Erzbistums verhält«, kritisierte der Vorsitzende des Diözesanrats , der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD). »Wir befinden uns in der größten Kirchenkrise, die wir alle je erlebt haben. Der Erzbischof von Köln hat als moralische Instanz versagt und zeigt bis heute keine Haltung.«
Woelki steht seit Monaten in der Kritik, weil er ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes Gutachten zurückhält. Dieses Gutachten untersucht, wie Verantwortungsträger des Erzbistums in der Vergangenheit reagiert haben, wenn Priester des sexuellen Missbrauchs von Kindern beschuldigt wurden.
Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung
Das Gutachten der renommierten Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl ist fertig, doch Woelki hält es unter Verschluss – er begründet das mit rechtlichen Bedenken. Der Diözesanrat fordert Woelki auf, das Angebot der Kanzlei anzunehmen, das Gutachten auf ihre alleinige Verantwortung auf ihrer Webseite zu veröffentlichen.
Auch der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, kritisiert Woelki. »Dieses Verhalten diskreditiert den Aufarbeitungsprozess in der katholischen Kirche insgesamt und zerstört Vertrauen, das eigentlich zurückgewonnen werden müsste«, sagte Rörig dem SPIEGEL. »Das erschüttert mich.«
All die, die zur Vertuschung von sexualisierter Gewalt in der Kirche beigetragen haben, »müssen benannt werden, auch was sie getan haben«, so Rörig. »Das ist der einzige Weg für die Kirche, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen.« In dem Zusammenhang lobte er das Vorgehen des Limburger Bischofs Georg Bätzing, der Namen von Verantwortlichen veröffentlicht hatte, als beispielhaft.
Als Konsequenz aus Woelkis Verhalten setzt der Diözesanrat seine Mitarbeit am sogenannten Pastoralen Zukunftsweg aus. Dabei geht es um die Neuorganisation der Gemeinden im Erzbistum – man könnte es als Woelkis Hauptprojekt bezeichnen. »Für eine weitere Mitarbeit muss erst wieder eine Vertrauensbasis geschaffen werden«, sagte Kurzbach. Zunächst müsse die ganze Wahrheit zum Thema Missbrauch auf den Tisch – erst dann könne man daran denken, die Zusammenarbeit fortzusetzen.
Der Aufstand im 1700 Jahre alten Kölner Bistum ist umfassend. »Wir haben annähernd aus jedem Stadt- und Kreisdekanat, aus jedem Verband, aus Dutzenden von Pfarrgemeinden, von über 50 Priestern schriftlich, wie tief der Vertrauensbruch geht«, schilderte Kurzbach. Das habe es so noch nie gegeben.
Woelki hat das Vertrauen nicht nur durch die Zurückhaltung des Gutachtens verspielt, er sorgt auch sonst für Negativschlagzeilen in Serie. Der Katholischen Hochschulgemeinde in Köln wurde die Webseite abgeschaltet, nachdem sie ein kritisches Papier veröffentlicht hatte. Einem Pfarrer, der Woelki scharf kritisiert hatte, drohte das Erzbistum mit Konsequenzen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Derzeit sind beim Amtsgericht Köln alle Termine für Kirchenaustritte ausgebucht.
Von Woelki hat man zu all dem wenig oder gar nichts gehört – bis auf eine kurze Stellungnahme in der Christmette, in der er die Gläubigen um Verzeihung dafür bat, dass sie ständig Kritik an ihrem Erzbischof erdulden müssten. Ein ehemaliger Mitarbeiter Woelkis sagt, der Kardinal sei sich keines Fehlverhaltens bewusst, sondern glaube an eine Verschwörung der Medien: »Es sind die Journalisten, die ihm Böses wollen, weil er innerkirchlich so konservativ ist.«
Der Diözesanrat hofft, dass sich Woelki nun nicht länger verkriecht, sondern endlich Stellung bezieht. »Ich hoffe doch sehr, dass dieser schwerwiegende und bedeutsame Schritt zu einem Überdenken der bisherigen Strategie führt«, sagt Kurzbach. »Es ist jetzt nicht mehr die Zeit, sich hinter Akten zu verschanzen, auf juristische Gutachten oder auf Rom zu warten. Jetzt muss hier im Bistum Köln gehandelt werden.«
Ob es aber tatsächlich dazu kommt, ist die Frage. Ein Erzbischof kann nicht abgewählt werden – nur der Papst könnte ihn entthronen. Im Vatikan aber soll die Kölner Eminenz über beste Verbindungen verfügen.