Katholische Kirche und Wiederverheiratete Kommet, ihr Sünder

Robert Zollitsch: "Sie gehören zur Kirche"
Foto: Franziska Kraufmann/ dpaSchon einmal ging von Freiburg eine mutige Initiative aus: In einem Hirtenbrief stellte der damalige Erzbischof Oskar Saier gemeinsam mit den Bischofskollegen Karl Lehmann (Mainz) und Walter Kasper (Rottenburg-Stuttgart) die Allgemeingültigkeit des Kirchenrechts in Frage. Es ging um die Verwehrung der Sakramente für Wiederverheiratete. Im seelsorgerischen Gespräch, schrieben die Autoren, müsse geklärt werden, "ob das, was im Allgemeinen gilt, auch in der konkreten Situation zutrifft".
Menschen, die sich nach einer kirchlichen Trauung scheiden lassen und danach eine neue Ehe beschließen, sind bisher keine gleichberechtigten Mitglieder der Kirche. Sie sind von kirchlichen Ämtern ausgeschlossen, sie dürfen die Sakramente nicht empfangen, so ist die Lehre, wenn sich auch manche Priester schon anders verhalten.
Das Freiburger Schreiben datiert auf den 10. Juli 1993, die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die Glaubenskongregation ließ wissen, dass sich die Herren in Deutschland "in offenem Gegensatz zur Lehre der Kirche befänden". Sprich: Schwere Sünde bleibt schwere Sünde, Sakramente ausgeschlossen, konkrete Situation hin oder her.
Der Druck der Laien
Der damalige Chef der Glaubenskongregation hieß Joseph Ratzinger. Lange Zeit tat sich seither nichts Entscheidendes in der Frage, wie die katholische Kirche mit Wiederverheirateten umgeht. Auch als Papst blieb sich Ratzinger bekanntlich treu: Die Kommunion für Menschen, die in schwerer Sünde leben, lehnte er ab. Da änderte es auch nichts daran, dass er bei seinem Deutschland-Besuch vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff willkommen geheißen wurde, Katholik, geschieden, in zweiter Ehe lebend.
Schon lange verstärken Laien den Druck, in vielen Bereichen umzudenken, die Wiederverheirateten nehmen einen prominenten Platz auf der Wunschliste ein. Es gab einen Dialog mit den Kirchenoberen, der auf beiden Seiten gelobt wurde, doch Reformen blieben aus, unter Benedikt XVI. war kein Durchkommen bei der konservativ dominierten Führung der Kirche in Deutschland.
Nun wagt man in Freiburg den nächsten Vorstoß, dieses Mal allerdings unter anderen Vorzeichen. Ein Papst hat das sagen, der seine Kirche davor warnt, seinen Gläubigen "ohne Unterscheidung eine Menge von Lehren aufzudrängen". Unter Franziskus schöpfen in Deutschland jene, die sich von alten Hemmnissen befreien wollen, neues Selbstbewusstsein.
Der Freiburger Erzbischof und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, hatte sich mehrmals offen für einen neuen Weg gezeigt, zuletzt Ende September. "Sie gehören zur Kirche", sagte er zum Abschluss der Herbst-Vollversammlung der Bischofskonferenz über wiederverheiratete Katholiken. Es gehe darum, "auf der ganzen Breite der Kirche Lösungen zu finden".
Da wird er schon gewusst haben, dass in seiner eigenen Diözese eine Lösung bereits im Druck war. "Handreichung für die Seelsorge" ist das Papier überschrieben, herausgegeben vom Seelsorgeamt der Diözese.
Vor den Sakramenten kommen die Gespräche
Zu Beginn wird die Schrift vorgestellt "als eine Orientierung für die pastorale Praxis in den kommenden Jahren". Was folgt, ist freilich keine Lobrede auf die zweite Ehe. Am Sakrament der Ehe wird nicht gerüttelt, und wenn sie gescheitert sein sollte, gelte es in besonderer Weise, "denen nahe zu sein und sie zu unterstützen, die (bewusst) keine neue Partnerschaft eingehen".
Doch zugleich nimmt sich die Handreichung den Wiederverheirateten an und öffnet eben jenen Weg, der bisher versperrt war: "In der Folge einer verantwortlich getroffenen Gewissensentscheidung kann in der konkreten Situation aber auch die Möglichkeit gegeben sein, die Sakramente der Taufe, der Heiligen Kommunion, der Firmung, der Versöhnung und der Krankensalbung zu empfangen, insofern die erforderliche konkrete Glaubensdisposition vorhanden ist."
"Im Kontakt mit Geschiedenen und zivilrechtlich Wiederverheirateten geht es darum, dass die menschenfreundliche und respektvolle Grundhaltung Jesu erfahrbar wird", sagt der Leiter des Seelsorgeamtes in Freiburg, Domdekan Andreas Möhrle. "Die Treue und Barmherzigkeit Gottes gilt auch für diejenigen, deren Lebensentwurf gescheitert ist."
"Mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar"
Die Handreichung ist allerdings kein Freibrief für alle Wiederverheirateten, sie formuliert klar, was sie unter einer "verantwortlich getroffenen Gewissensentscheidung" versteht: Geschiedene sollen in Gesprächen begleitet werden, sie sollen etwa glaubhaft machen, dass "eine Rückkehr zum ersten Partner wirklich nicht möglich ist und die erste Ehe beim besten Willen nicht wieder belebt werden kann". Sie sollen ihre Schuld bereuen, die sie an der Trennung tragen, sie sollen mit dem neuen Partner "eine neue sittliche Verpflichtung" eingegangen sein.
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die Zulassung zu den Sakramenten erlaubt werden. Sind sie es nicht, bleiben die Sakramente verwehrt. Auch das Arbeitsrecht wird angesprochen, auch hier wird nicht ausgeschlossen, dass im Fall einer Wiederheirat Konsequenzen zu ziehen sind: "Als letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht." Es hänge ab vom Einzelfall, "vom Ausmaß der Gefährdung der Glaubwürdigkeit von Kirche und konkreter kirchlicher Einrichtung".
Es ist keine Revolution, die von der Handreichung ausgeht, doch wird die von der Katholischen Kirche niemand verlangen. Es ist ein Schritt in Richtung gesellschaftlicher Realität, der Versuch, die kirchliche Lehre mit dem Leben der Gläubigen kompatibel zu machen.
Es wird sich zeigen, ob weitere Diözesen folgen. Und wie der Vatikan davon Kenntnis nimmt. Auch heute, 20 Jahre nach dem Hirtenbrief von Saier, ist die Glaubenskongregation unter deutscher Führung, und der Mann an der Spitze ist wie sein berühmter Vorgänger ebenfalls nicht gerade für Fortschritt bekannt. Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2012 hatte Erzbischof Gerhard Ludwig Müller sich gegen eine Gruppe von reformorientierten Priestern gestellt, die sich beim Kommunionempfang für Wiederverheiratete nicht mehr ans Kirchenrecht halten wollen: Dies sei "mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar", sagte Müller.