EU-Studie Lesben und Schwule fühlen sich in Europa nicht sicher

Schikanen im Büro und beim Arzt, Pöbeleien und Angriffe in der Öffentlichkeit: Homosexuelle, Bisexuelle und Transgender werden in Europa immer noch diskriminiert. In einer Umfrage der EU berichten mehr als 90.000 Teilnehmer vom Ausmaß der Schikanen.
"Gay Pride"-Parade in Paris: Viele Homosexuelle berichten von Diskriminierung

"Gay Pride"-Parade in Paris: Viele Homosexuelle berichten von Diskriminierung

Foto: FRED DUFOUR/ AFP

Wien - Akzeptanz von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender ist in Europa keine Selbstverständlichkeit. Noch immer werden sie diskriminiert, sozial isoliert oder offen angegriffen. Zu diesem Ergebnis kommt die bisher größte Studie der EU-Grundrechte-Agentur (FRA)  zu dem Thema. Die Umfrage zeigt, dass sich viele LGBT-Personen nicht offen zu ihrer Neigung bekennen können. Das Akronym steht für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender.

Fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) gab an, im vergangenen Jahr eine Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung erlebt zu haben. Deutschland liegt mit 46 Prozent einen Punkt unter dem EU-Schnitt. Etwa jeder vierte Teilnehmer berichtete, in den vergangenen fünf Jahren Opfer tätlicher Angriffe oder von Gewaltandrohungen geworden zu sein.

Sechs Prozent der Befragten erzählten von körperlichen Angriffen in den vergangenen zwölf Monaten, die zum Teil in der eigenen Familie stattfanden. Frauen wurden außerdem häufiger Opfer von sexuellen Übergriffen. Transgender berichten der Erhebung zufolge, dass sie durchweg weniger Toleranz erfahren als Homo- und Bisexuelle.

Die Umfrage  ist der Grundrechte-Agentur zufolge die bislang umfangreichste zum Thema. Die Daten wurden online erhoben, rund 93.000 Personen aus den Ländern der Europäischen Union und Kroatien nahmen teil. Alle Befragten waren über 18 Jahre alt und bezeichneten sich als Transgender, homo- oder bisexuell. Mehr als 20.000 der Antworten kamen aus Deutschland - mehr als aus jedem anderen Land.

"Mein Verhalten in der Arbeit beinhaltet einiges an Selbstzensur"

Da der Anteil der LGBT-Personen an der Gesamtbevölkerung nur geschätzt werden kann, weist die Grundrechte-Agentur darauf hin, dass die Ergebnisse nicht als repräsentativ für alle LGBT-Personen in der Europäischen Union gelten können - aber immerhin als größte empirische Datensammlung zu dem Thema bislang.

Die Befragten

Alter Teilnehmer Lesben Schwule Bisexuelle Frauen Bisexuelle Männer Transgender
18-24 28.110 5625 14.782 3359 2270 2074
25-39 39.939 6759 25.260 2547 2790 2583
40-54 20.236 2399 14.224 447 1597 1569
55+ 4794 453 3182 71 543 545
Insgesamt 93.079 15.236 57.448 6424 7200 6771
Quelle: European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey

Diskriminierung und Verheimlichen der eigenen Neigungen ziehen sich demnach durch alle Lebensphasen und -bereiche.

  • Schule: In zwei Drittel der Fälle verheimlichen die Befragten ihre sexuelle Ausrichtung, in Deutschland liegt dieser Anteil bei 68 Prozent. Die große Mehrheit der Teilnehmer kann sich an Schikanen gegen LGBT-Personen während ihrer Schulzeit erinnern. Viele Befragte bezeichneten die Schulzeit als "Hölle". 91 Prozent gaben an, sie hätten erlebt, dass Mitschüler schlecht behandelt wurden, nur weil sie für schwul oder lesbisch gehalten worden seien. In Deutschland lag dieser Anteil nur um einen Prozentpunkt niedriger.
  • Alltag: Zwei Drittel der Befragten gaben an, es nicht zu wagen, in der Öffentlichkeit die Hand ihres gleichgeschlechtlichen Partners zu halten; bei homo- und bisexuellen Männern lag dieser Anteil bei 75 Prozent. Die Hälfte der Befragten meidet gewisse Orte - öffentliche Gebäude oder Plätze oder öffentliche Verkehrsmittel - aus Angst, dort wegen ihrer sexuellen Ausrichtung belästigt, bedroht oder angegriffen zu werden.
  • Arbeit: Etwa jeder fünfte Teilnehmer (19 Prozent) fühlt sich im Beruf oder bei der Stellensuche diskriminiert.

"Mein Verhalten in der Arbeit beinhaltet einiges an Selbstzensur und zurückhaltendes Auftreten." 31-jähriger schwuler Mann, Deutschland

"Ich fühle mich jetzt stark genug, mit der Belästigung auf der Straße fertigzuwerden, aber es bringt mich aus der Fassung, dass ich meinen Lebensstil gegenüber jedem Arzt rechtfertigen muss. Es ist alarmierend, dass Mediziner absolut kein Bewusstsein für Bedürfnisse von LGBT haben, nicht einmal Gynäkologen." 30-jährige lesbische Frau, Tschechien

"Ein Kollege sagte mir, er respektiere mich, aber er denke, ich sei abnormal ... in wenigen Worten, meine sexuelle Orientierung sei seiner Meinung nach widernatürlich." 28-jährige lesbische Frau, Italien

"Ich erlebe so viel Diskriminierung, Belästigung und Gewalt, dass es zu meinem Alltag geworden ist." 25-jähriger bisexueller Transgender, Litauen

"Ich wurde von einem Türsteher in einem Nachtclub angegriffen. Er sprach mich an, als ich gehen wollte. Er sagte, ich solle mit ihm nach Hause gehen, ich antwortete, ich sei nicht interessiert. Er packte meine Jacke und irgendwann habe ich ihm gesagt: 'Ich habe kein Interesse, ich bin lesbisch'. Danach haben er und sein Kollege mich auf den Kopf geschlagen, ich bin bewusstlos geworden. Als ich aufwachte, war mein Bein gebrochen." 27-jährige lesbische Frau, Rumänien

Von den Behörden erwarten die Betroffenen offenbar nur in Ausnahmefällen Hilfe. "Es würde nichts geschehen oder sich ändern", ist der am häufigsten genannte Grund, weshalb nur etwa jeder fünfte Übergriff oder Fall von Diskriminierung bei der Polizei angezeigt wurde. Auch die Aussagen "Das passiert doch ständig" oder "Ich wollte meine sexuelle Orientierung und/oder Gender-Identität nicht offenlegen" wurden häufig genannt.

Vorbilder Dänemark, Schweden und Großbritannien

Die Grundrechte-Agentur fordert deshalb, dass Polizisten verstärkt geschult werden, um mit der Thematik besser umgehen zu können. Sollte es zu Übergriffen wegen der sexuellen Orientierung kommen, sollte dies erschwerend bei der Strafe berücksichtigt werden - ähnlich wie es bei rassistisch motivierten Taten bereits in einigen Ländern der Fall sei.

Vorreiter in Europa, was die Rechte für Homosexuelle und Transgender angeht, sind Dänemark, Schweden und Großbritannien. Dort setzte die Politik bereits eigene Aktionspläne um. Trotzdem gibt es laut den Studienautoren auch dort noch Nachholbedarf.

Der Studie zufolge spielen prominente Vorbilder eine große Rolle. Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der offen zu seiner Homosexualität steht und in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, wirke in Deutschland als Leitfigur: "Das macht natürlich einen positiven Unterschied zu anderen Ländern", sagte die Sprecherin der FRA, Waltraud Heller. In Ländern, in denen sich Politiker selbst abwertend über Homosexualität äußerten, fühlten sich Befragte häufiger diskriminiert.

Auch die eigene Offenheit kann laut Studie zu mehr Akzeptanz führen: Geoutete Menschen in allen Ländern berichteten demnach von weniger Diskriminierung als jene, die nicht offen mit ihrer Neigung umgingen. Die Ergebnisse der Studie werden am Freitag - dem Tag gegen Homophobie - in Den Haag vorgestellt. FRA-Direktor Morten Kjaerum sagte, Maßnahmen seien nötig, um "Barrieren einzureißen, Hass zu beseitigen und eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder seine Rechte voll genießen kann".

ulz/dpa
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