
Hakenkreuz im Kirchturm: Der Glockenstreit von Faßberg
Streit über Nazisymbole auf Glocken "Da bimmelt ein Hakenkreuz"
Der umstrittenste Ort in Faßberg ist schwer zugänglich. Drei Leitern, schmal und klapprig, führen durch ein himmelwärts enger werdendes Holzgerüst und zwei verstaubte Luken nach oben. Dort, im Türmchen der evangelischen Michaelskirche, hängt sie: die Hakenkreuz-Glocke.
Rudolf Blümcke lehnt sich ungerührt in den eiskalten Wind, der durch den Dachstuhl seiner Kirche pfeift. Er lächelt, fast spöttisch sieht das aus, und schüttelt den Kopf. Das sei kein Turm, sondern ein Dachreiter, und die Glocke sei auch keine "Hakenkreuz-Glocke": Das NS-Symbol, das unter der Jahreszahl "1938" und einem Luftwaffenadler auf der Bronzeoberfläche prangt, sei schließlich kaum so groß wie sein Autoschlüssel.
Blümcke, der in der Michaelskirche seit vier Jahren Pastor ist, hat eine schwierige Mission: Ganz Faßberg, ein merkwürdig gleichförmiges 6000-Seelen-Örtchen in der niedersächsischen Heide, ist in Aufruhr wegen dieser Glocke. Er soll das Problem lösen, die Wogen glätten - und das alles, ohne als Verharmloser oder gar Naziversteher dazustehen.
Das ist nicht so einfach in Faßberg.
Blümcke und andere Pastoren hatten im Herbst von ihren Kirchenleitungen Post bekommen: Man möge bitte melden, ob es Glocken mit NS-Symbolen in der Gemeinde gebe. Auslöser war der Fund einer Glocke mit Hakenkreuz und der Inschrift "Alles für's Vaterland - Adolf Hitler", die im Turm der Jakobskirche von Herxheim in der Pfalz hängt. Die Debatte darum verlief hitzig, der Bürgermeister musste wegen fragwürdiger Äußerungen zurücktreten, inzwischen hat der Gemeinderat entschieden: Die Glocke soll weiter bimmeln.
Blümcke, ein Geistlicher mit graubraunem Dreitagebart, ist nicht der Einzige, der über eine solche Frage entscheiden muss. Auch das saarländische Rilchingen-Hanweiler meldete neulich ein Geläut mit brauner Symbolik, weitere Funde gab es in Essingen in der Südpfalz, in Schweringen an der Weser, in Homburg, in Mehlingen bei Kaiserslautern, im Pirmasenser Stadtteil Winzeln. In vielen Kirchen läuten seit Jahrzehnten "Nazi-Glocken".
Seitdem ist die Verunsicherung vielerorts groß, den meisten betroffenen Gemeinden war schnell klar: Die Glocken müssen weg. In Faßberg jedoch beschloss der Kirchenvorstand im November, sie weiter läuten zu lassen.

Hakenkreuz im Kirchturm: Der Glockenstreit von Faßberg
Hans-Dietrich Springhorn kann das nicht fassen. Der pensionierte Ingenieur organisiert mit neun anderen Faßbergern den Widerstand gegen die Glocke. Seit Monaten verschickt die Gruppe Pressemitteilungen ("Da bimmelt ein Hakenkreuz") und verteilt Flugblätter im Ort ("Warum hat uns diese Glocke 72 Jahre nicht interessiert?").
Pastor Blümcke ärgern solche Aktionen. "Dieses Geschrei braucht keiner", sagt der 53-Jährige. Das sei kontraproduktiv, zumal das Nazi-Erbe in Faßberg weit über die Glocke hinausweise.
Blümcke eilt durch seine Kirche zu einer Wand, auf der großflächige Bilder der vier Evangelisten aufgemalt sind. "Die gucken einen wie germanische Recken an", sagt er - und hat zweifellos recht. Ein paar Schritte weiter, über der Kanzel, hängt eine vergoldete Friedenstaube, die einem Reichsadler erstaunlich ähnelt. Und dann gibt es da noch den Grundstein, links neben dem Chorraum. Darauf prangt jenes Luftwaffen-Dienstsiegel, das auch in die umstrittene Glocke eingelassen ist: ein Adler und ein - nachträglich beseitigtes - Hakenkreuz.

Grundstein der Michaelskirche
Foto: SPIEGEL ONLINEAn diesen NS-Relikten störe sich niemand, sagt Blümcke, obwohl jeder sie sehen könne. Das sei nicht zu vergleichen mit der Herxheimer "Hitler-Glocke", die dem Diktator persönlich gewidmet wurde. "In einer Kirche mit solch einer Glocke hätte ich auch Schwierigkeiten, fröhlich zu predigen", sagt er.
Ganz Faßberg abreißen?
Verhältnismäßig sei die ganze Aufregung jedenfalls nicht: "Wenn wir ganz konsequent den Einfluss der Nationalsozialisten in dieser Kirche beseitigen wollten", sagte Blümcke im November seiner Gemeinde, "müssten wir sie abreißen." Und strenggenommen, das fügt er jetzt lapidar hinzu, ganz Faßberg.
Ganz abwegig ist diese Argumentation nicht: Faßberg gibt es erst seit den Dreißigerjahren. Um einen neuen Landeplatz der Luftwaffe bildeten sich damals Siedlungen für Soldaten, Arbeiter und Offiziere. Die heutige Michaelskirche, Baujahr 1938, diente als Garnisonskirche.
Der Kirchenvorstand um Blümcke regte im Herbst einen Kompromiss an: Man könne die umstrittene Glocke ja um eine etwas kleinere ergänzen. Die könne etwa dem NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer gewidmet sein und hätte somit "akustisch etwas entgegenzusetzen".
Diese Idee ist inzwischen wieder vom Tisch, Hans-Dietrich Springhorn findet sie noch immer unsäglich. "Man kann doch den Bonhoeffer, der auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers ermordet wurde, nicht neben eine Hakenkreuz-Glocke hängen", sagt der 69-Jährige. Dass viele Faßberger anderer Meinung seien, überrasche ihn nicht: "Die Bereitschaft, sich in den Wind zu stellen, ist hier sehr gering."
"Jetzt haben die anderen gewonnen"
Blümcke lächelt gequält, wenn er solche Argumente hört. Er greift unter eine Sitzbank in der letzten Reihe der Kirche, holt eine Broschüre aus dem Jahr 2008 hervor, blättert auf Seite zwei und tippt mit dem Finger auf ein Foto: die Glocke, das Hakenkreuz. "Die Leute, die es wirklich interessiert hätte, könnten es seit vielen Jahren wissen", sagt er. Die heftige Kritik sei unangemessen.
Eine Debatte über Faßbergs NS-Vergangenheit wünsche er sich durchaus - eine sachliche, faire, ausgewogene. Inzwischen seien aber wohl die Chancen gesunken, dass es dazu noch kommt: Viele im Ort seien genervt und hätten das Gefühl, die Debatte werde von der Gruppe um Springhorn künstlich aufgebauscht. Demnach breitet sich ein Gefühl aus: Da will uns mal wieder jemand vorschreiben, was wir zu denken haben.
Vor wenigen Tagen hat der Kirchenvorstand entschieden, die Glocke zu ersetzen. Die Kosten will die Landeskirche übernehmen. Im Sommer soll eine Bürgerversammlung folgen, Fachvorträge von Historikern, Podiumsdiskussionen, Aussprachen.
Das dürfte auch im Interesse von Hans-Dietrich-Springhorn sein. Er wolle an dem Thema dranbleiben, sagt er, ein großes Ziel habe die Gruppe noch: Die neue Glocke solle Dietrich Bonhoeffer gewidmet und die alte als Mahnmal in der Kirche ausgestellt werden.
Ob sich dann die Gemüter beruhigen? Pastor Blümcke ist da nicht so sicher. Viele Faßberger seien enttäuscht, dass die alte Glocke abgehängt wird. "Schade, dass ihr umkippt", hätten einige gesagt. "Jetzt haben die anderen gewonnen."
Nach gütlicher Einigung klingt das nicht.