Streit unter Flüchtlingen "Ein freundliches Lächeln ersetzt den Ordnungsdienst"

Flüchtlinge im Erstaufnahmelager in Friedland: Streit in der Essensschlange
Foto: Swen Pförtner/ dpaHeinrich Hörnschemeyer leitet seit 1991 das Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen. Mittlerweile wird die Anlage auch als Erstaufnahmestelle genutzt. Friedland hat Platz für 700 Personen, derzeit beherbergt die Einrichtung jedoch 3000 Menschen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hörnschemeyer, bei Ihnen sind derzeit 3000 Flüchtlinge untergebracht, obwohl Sie eigentlich nur Platz für 700 Menschen haben. Wie wirkt sich die Überbelegung auf Ihre Unterkunft aus?
Hörnschemeyer: Normalerweise sind bei uns die Menschen zu viert oder zu sechst untergebracht, diese Zahl ist nun auf acht bis zehn gestiegen. Auch ist es nicht immer möglich, Familien gerecht unterzubringen. Gemeinschaftsräume gibt es schon lange nicht mehr - jeder Quadratmeter zählt. Wenn ich morgens zur Arbeit komme, liegen auf dem Weg zu meinem Büro Flüchtlinge mit Matratzen auf dem Flur und schlafen.
SPIEGEL ONLINE: Es kam bei Ihnen im Spätsommer immer wieder zu Auseinandersetzungen. Im August gab es eine Massenschlägerei , die wie auch in Kassel ihren Anfang bei der Essensausgabe nahm. Wie kommt es zu diesen Konflikten?
Hörnschemeyer: Die Leute haben keinen Rückzugsort, keine Privatsphäre. Als wir noch nicht so überfüllt waren, gab es solche Probleme nicht. Heute müssen sie häufig lange anstehen, für Essen, Kleider, Anmeldung, Taschengeld. In diesen Warteschlangen kommt es dann wegen Nichtigkeiten zu kleineren Rangeleien. Einmal ist eine Frau einem Asylbewerber mit dem Kinderwagen über den Fuß gefahren. Ein anderes Mal gab es Streit darüber, wann das Licht ausgeschaltet werden sollte. Ruckzuck schalten sich Freunde der Beteiligten ein, um die Betroffenen zu unterstützen. Meistens können die Streitigkeiten schnell geklärt werden.
SPIEGEL ONLINE: Die Massenschlägerei in der Essensschlange musste von der Polizei aufgelöst werden. Was haben Sie für Konsequenzen aus der Eskalation gezogen?
Hörnschemeyer: Wir haben sofort einen Sicherheitsdienst engagiert, der an diesen Brennpunkten - wo es zur Schlangenbildung kommt - vor Ort ist. Bei einer solchen Menschenmenge ist das sonst nicht mehr hinzukriegen. Außerdem gibt es erhöhte Polizeipräsenz. Dadurch haben wir die Situation gut in den Griff bekommen, es gab seither keinen Vorfall dieser Größenordnung mehr. Was auch extrem wichtig ist: Die Flüchtlinge müssen sich von den Mitarbeitern ernst genommen fühlen. Es muss jemanden geben, der sich ihre Sorgen anhört und ihnen verlässliche Antworten gibt. Ein freundliches Lächeln ersetzt nach meiner Erfahrung den Ordnungsdienst.
SPIEGEL ONLINE: Warum werden die Menschen überhaupt wegen Nichtigkeiten so aggressiv?
Hörnschemeyer: Die meisten Asylbewerber haben einen Höllentrip hinter sich. Sie haben in den Tagen, bevor sie zu uns kommen, weder vernünftig geschlafen noch gegessen. Der wenige Raum, das ständige Warten, die Strapazen der Flucht - die Nerven liegen blank. Eine Matratze im Flur führt dann nicht gerade dazu, dass die Situation sich entspannt.
SPIEGEL ONLINE: Wenn sich dann jemand an der Essensschlange vorbeischummelt…
Hörnschemeyer: …werden die Leute ungehalten. Bei einer normalen Belegung sind die Wartezeiten viel kürzer. Da ist das Verständnis für denjenigen, der sich vielleicht an der Essensschlange vorbeischummelt, viel größer. Deswegen sind wir auch daran interessiert, die Zahl der Flüchtlinge in unserer Einrichtung so schnell wie möglich wieder zu reduzieren.
SPIEGEL ONLINE: Einige Politiker fordern, dass christliche und muslimische Flüchtlinge getrennt untergebracht werden. Sind unterschiedliche Glaubensrichtungen bei Ihnen in Friedland eine Konfliktquelle?
Hörnschemeyer: Das würde ich so nicht unterschreiben. Es ist schwierig herauszufinden, wie ein Streit entstanden ist. Die Konfliktparteien erzählen uns vielleicht auch nicht immer die ganze Wahrheit. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass es hier bei uns um einen Glaubenskrieg geht. Zumindest nicht in Friedland.
SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von einer Trennung nach Nationen, wie es mittlerweile in Thüringen gemacht wird?
Hörnschemeyer: Wir versuchen schon, nach Herkunftsländern zu trennen. Da die Sitten, Gebräuche, Kultur und Sprache unter den verschiedenen Nationen teilweise ganz anders sind, ist es schon sinnvoll und konfliktvermeidend. Es ist aber nicht immer möglich.
SPIEGEL ONLINE: Ein Vorurteil, das man immer wieder hört: Flüchtlinge sind gewaltbereiter.
Hörnschemeyer: Das kann ich überhaupt nicht bestätigen, die meisten Asylsuchenden sind freundlich und dankbar. Klar gibt es immer ein paar, wo ich sage: So richtig tolles Verhalten ist das nicht. Aber das hat man auch bei 3000 einheimischen Hamburgern, Berlinern oder Münchnern.