Einsatzkräfte am Nürburgring Feldbetten in der Boxengasse

Die Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland hat enorme Hilfsbereitschaft ausgelöst – von professionellen Trupps wie von Privatleuten. Beides zu koordinieren, ist eine große Herausforderung.
Von Jan Friedmann, Ahrtal und Nürburgring
Foto: MARC JOHN / imago images/Marc John

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Eine ungewöhnliche Perspektive auf die Dimension der Katastrophe bietet sich von den VIP-Räumen des Nürburgrings: abgestellte weiße Krankenwagen, soweit das Auge reicht. Dazu die olivgrünen Lastwagen der Bundeswehr, das Technische Hilfswerk in Blau, die Feuerwehr in Rot. Hunderte Fahrzeuge parken im Innenraum der Rennstrecke, ständig fahren welche ein und aus. »Katastrophenschutz Landkreis Neunkirchen« ist auf den Fahrzeugen zu lesen oder »Malteser Stadt Memmingen«. Aus dem ganzen Bundesgebiet sind professionelle Helfer angereist, um im verwüsteten Ahrtal zu helfen.

»Wir hatten noch nie einen solchen Einsatz«, sagt Lars Ritscher auf dem Balkon des VIP-Centers. Es ist neun Uhr Samstagabend, Ritscher kommt gerade aus der Lagebesprechung, an der Tür zum Besprechungsraum hängt ein Schild mit der Aufschrift »Stabsraum Abholung Marschbefehl«.

Ritscher koordiniert die Bereitstellung der Helfer und ihrer Fahrzeuge. Der stellvertretende Kreisfeuerwehrinspekteur der Kreisverwaltung Rhein-Lahn ist ein erfahrener Krisenmanager, er war schon beim Elbe-Hochwasser 2002 im Einsatz. Das hier sei noch größer, so Ritscher: »Die ganze weggebrochene Infrastruktur über Kilometer, die Belastung für die Einsatzkräfte, das emotionale Leid der Betroffenen.« Der Brand- und Katastrophenschützer rechnet damit, dass die Hilfskräfte die Infrastruktur des Rennkurses noch mehrere Tage in Anspruch nehmen müssen.

In den Boxen, wo normalerweise am Feintuning der Rennmotoren getüftelt wird, schlafen Helfer auf Feldbetten. Ein paar Stunden, bis es wieder losgeht. Die Mitarbeiter der Rettungsdienste können duschen in den vor Ort installierten Toiletteneinheiten. An der Essensausgabe gibt es kleine Pakete: Ökobesteck, Lyoner Wurst, Fisch mit Senfsoße in der Dose, Müsliriegel, zwei Wasser.

Ordnung in der Höhe, Verwüstung im Tal

Der ausgefeilten Logistik oben am Nürburgring steht die Zerstörung im Ahrtal gegenüber. In dem verwüsteten Dorf Schuld, das Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag besuchen wird, ist schon viel schweres Gerät im Einsatz. Die Straßen sind geräumt, teilweise provisorisch mit Sand aufgeschüttet, um sie passierbar zu machen.

Doch auch hier hängen in den Böschungen am Rand noch die Teile der Wohnwagen, die es vom Campingplatz wegschwemmte, dazu Dämmplatten von Häusern. Fast alle Straßenschilder entlang des Flusses sind abgeknickt, in der braunen Brühe des Flusses liegen entwurzelte Bäume. Vor dem Landgasthaus »Zum Köbes« sammeln sich die Sattelzüge mit den zerschmetterten Autos. Ein örtlicher Bauunternehmer hat Gerät zur Verfügung gestellt, dazu das THW und die Räumpanzer der Bundeswehr.

»Wir müssen Straßen wiederherstellen, wir müssen die Hilfsgüter koordinieren, die ankommen«, so beschreibt Andreas Solheid, der Sprecher der Freiwilligen Feuerwehr Adenau, die aktuellen Aufgaben. »Die Müdigkeit ist da, doch es geht immer weiter.«

Lesen Sie hier aktuelle Nachrichten zur Flutkatastrophe.

Das ganze Ahrtal ist von den Fluten schwer getroffen und nur in Teilen passierbar. In Fuchshofen hat es Häuser am Fluss überschwemmt, aber die Brücke steht noch. In Antweiler sind an der alten Steinbrücke die Seiten weggefräst. Das Wasser suchte sich seinen Weg um blockierendes Treibgut herum. Im Brückenweg erzählt ein Anrainer, wie das Hochwasser im ersten Stockwerk seines Hauses von innen durch die Fenster brach. Retten musste er sich ins zweite Obergeschoss. Im Hintergrund verladen Freunde und Familienmitglieder Schutt auf einen Hänger.

Überall: Menschen, die sich gegenseitig helfen, Bauern und Winzer, die ihre Traktoren einsetzen, Gruppen, die gemeinsam vor verschlammten Häusern stehen und sich beim Kaffee Mut zusprechen. Der Zusammenhalt im Tal ist groß, doch der Bedarf nach den nötigsten Dingen des Alltags ebenso.

Kein Strom, um Konserven zu wärmen

Tobias und Natascha Lindner verteilen Brot, Brötchen oder Hundefutter aus dem Kofferraum ihres weißen Kombis heraus, dazu Schaufeln und Müllsäcke. Sie wohnen am Berg in Blankenheim, einem Ort, den es nicht so schlimm getroffen hat. Sie haben bei der Freiwilligen Feuerwehr gesammelte Hilfsgüter eingepackt, mit denen sie nun durch die Dörfer fahren.

Helferin zwischen Sachspenden

Helferin zwischen Sachspenden

Foto: Philipp von Ditfurth / dpa

Die Erfahrung des Ehepaares: Süßigkeiten gehen gut, Wasser immer. Kaffee und Konservendosen hingegen nicht, die Menschen im Ahrtal haben keinen Strom, um sie zuzubereiten. Vor allem aber fehle es an Logistik für private Helfer, sagt Tobias Lindner. Es gebe beispielsweise zu wenige Schnittstellen zwischen den Facebook-Gruppen und den Verwaltungen. »Da ist eine enorme Macht von Menschen, die einspringen wollen, aber es fehlt an Anlaufstellen«, sagt Tobias Lindner.

Eine solche findet sich beispielsweise oben am Nürburgring. Bei Tina Klipphahn klingelt alle paar Sekunden das Telefon: Weitere Freiwillige, die mitmachen wollen, Menschen, die nach Kleidern oder Hygieneartikeln fragen. Klipphahn steht hinter einem Biertisch vor dem Eventcenter am Nürburgring. Wo sonst gefeiert wird, koordiniert sie die Ausgabe der Sachspenden. Bei der Hilfsaktion machen inzwischen Hunderte Ehrenamtliche mit.

Folgende Bestellung der Freiwilligen Feuerwehr in Schuld hätten sie und Mitstreiter zum Beispiel bedient: »Stirnlampen, Kanister, Gummistiefel, einen Kinderbuggy, Windeln für Erwachsene.« Es sei alles angekommen. »Die Bevölkerung ist sehr hilfsbereit«, sagt Klipphahn. Die Initiative musste zwischenzeitlich einen Annahmestopp verkünden, man kam nicht mehr nach. Die Herausforderung seien nicht die Waren, sondern deren Verteilung, sagt Klipphahn.

Gesammelte Sachspenden auf dem Gelände des Nürburgrings

Gesammelte Sachspenden auf dem Gelände des Nürburgrings

Foto: Dennis Lloyd Brätsch / dpa

Die Freiwilligen vom Nürburgring geben die Sachspenden den ausrückenden Trupps vom THW oder der Bundeswehr mit. Das funktioniere derzeit am besten, sagt Klipphahn. Dann wendet sie sich den Männern in Uniform zu, die vor ihrem Tisch warten. »Wir wollen nur fragen, ob für uns wieder Neues da ist«, sagt einer.

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