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Getötete Studentin in Freiburg: Das Ringen um Besonnenheit

Foto: VINCENT KESSLER/ REUTERS

Getötete Studentin in Freiburg Das Ringen um Besonnenheit

Seit im Fall einer getöteten Studentin in Freiburg ein Flüchtling als dringend tatverdächtig gilt, toben rechte Hetzer, vor allem im Netz. Die Menschen in der Stadt sind aufgewühlt.

In der Mittagspause, erzählt ein junger Mann aus dem Stadtteil Rieselfeld, habe er mit drei Kollegen zusammengesessen, als einer sich dafür aussprach, die Todesstrafe einzuführen. Ein besonnener Mann sei das, eigentlich.

Es scheint, als ringe ganz Freiburg derzeit um Besonnenheit. Den Eindruck bekommt, wer in der Fußgängerzone Freiburgs Menschen fragt, was nun geschieht in ihrer Stadt, da eine Studentin vergewaltigt und getötet wurde, da ein Flüchtling als dringend tatverdächtig in Untersuchungshaft sitzt, da Rechte den Fall instrumentalisieren für ihre Hetze gegen Ausländer.

Schockiert sei er, was der Studentin angetan wurde, sagt der junge Mann. Auch, dass der Mord an der Joggerin in Endingen unweit von Freiburg bisher nicht aufgeklärt werden konnte, sei beunruhigend. "Ich bin aber auch entsetzt, wie schnell bei manchen Leuten so eine Kopf-ab-Mentalität aufbricht", sagt er, bevor er im Gewusel rund um den Bertoldsbrunnen verschwindet.

Die zwei Wirklichkeiten von Freiburg

Auch unter den Flüchtlingen und Zuwanderern herrscht eine diffuse Stimmung. Yussuf, ein Libanese, berichtet, am Montag habe ihn eine ältere Dame im Bus mitleidig angesehen. "Die halten euch doch alle für Verbrecher", habe sie ihm auf Englisch zugeflüstert und auf die Mitfahrer gedeutet. Er wusste nicht so recht, was sie meinte.

Gerade unter den jüngeren Menschen in den Wohnheimen und Gastfamilien gibt es tatsächlich einige, die in den vergangenen Wochen nicht viel von der Stadt, in der sie leben, mitbekommen zu haben scheinen. Weder von dem Mord, noch von dessen mutmaßlicher Aufklärung. Ihr Interesse gilt Instagram und YouTube - und vor allem der Lage in ihren Heimatländern.

Freiburg erlebt derzeit zwei Wirklichkeiten: In der realen Welt wird abgewogen und differenziert, so der Eindruck in Gesprächen auf der Straße. Im Netz dagegen lesen sich manche Beiträge wie eine sinnfreie Aneinanderreihung von Schimpfworten. Bei der "Badischen Zeitung" liefen seit dem Wochenende allein auf der Facebook-Seite weit über 10.000 Postings auf, ähnlich viel Bewegung herrscht in den Kommentaren unter Artikeln zum Thema. Meist werde sachlich diskutiert, sagt Onlinechef Markus Hofmann, eher auf der Homepage als im Social Web.

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Getötete Studentin in Freiburg: Das Ringen um Besonnenheit

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Dennoch hat das Blatt in einem Beitrag veröffentlicht, auf welchem Niveau sich die vielen hundert Beiträge bewegen, die die Administratoren seither gelöscht haben. "Hass pur, vieles davon justiziabel", sagt Hofmann. Und schiebt nach: "So wie man es halt kennt" . Zwei Facebookseiten für die Flüchtlingshilfe in Freiburg mussten ihre Profile zwischenzeitlich ebenfalls schließen, man kam nicht mehr hinterher mit dem Löschen rassistischer Hetze. Eine davon: "Weitblick Freiburg". Das ist die Organisation, für die sich Maria L. engagierte, die Studentin, die in einer Oktobernacht von einer Party kommend mit dem Fahrrad an der Dreisam fuhr und getötet wurde.

Die Erfahrung, dass es längst nicht mehr um den Mord geht - und schon gar nicht um eine wirkliche Diskussion über Gewalt gegen Frauen - hat auch Fabienne B. gemacht. Am Sonntag, bei einer Demo gegen eine AfD-Kundgebung, habe sie ein Sympathisant der Rechten angegangen: "Wer soll euch denn beschützen, wenn nicht wir?", habe er gerufen. Ihr seien die Fragen nur so durch den Kopf geschossen: "Was passiert, wenn man ihn fragt, ob ihn das Thema auch so interessieren würde, wenn es ein deutscher Täter wäre?"

Gefragt hat sie ihn nicht, die Antwort konnte sie sich denken. "Würden wir endlich mal über sexualisierte Gewalt reden und darüber, welches Ausmaß männliche Gewalt gegenüber Frauen tatsächlich hat, dann würden wir hier nicht mehr über Herkunft diskutieren."

Mehr Polizisten für Freiburg

Auch über Zahlen würde B. gerne reden. Zum Beispiel über die von "Wildwasser" und anderen Organisationen, die sich um Opfer von sexuellem Missbrauch kümmern. Sexuelle Übergriffe und Gewalt passieren meistens im Familien-, Bekannten- und Freundeskreis, sagt sie.

Eine weitere interessante Zahl liefert die Freiburger Polizei, deren Sprecherin Laura Riske die Wahrnehmung, dass alles immer schlimmer werde, nicht stützen kann. Freiburg hat in der Kriminalitätsstatistik seit Jahrzehnten einen Spitzenrang unter den baden-württembergischen Großstädten inne.

2015 stand die 230.000-Einwohner-Stadt mit 13.296 Straftaten ganz oben. Auch die Zahlen für Körperverletzung seien im Stadtkreis Freiburg nicht erst seit gestern vergleichsweise hoch, sagt Riske. Seit Jahren fordert Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) mehr Polizisten. Nun schickt das Land vorübergehend 25 zusätzliche Beamte.

Polizeisprecherin Riske verweist auch auf die vielen Partys und Clubs im Stadtzentrum. "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" waren aber im Vergleich zu 2014 um 11 Prozent zurückgegangen. Und 2016? "Als wir nach den Diskussionen ums Freiburger Nachtleben dazu aufgefordert haben, alle Vorfälle zur Anzeige zu bringen, gab es nur eine." Wobei die Zahl mit Vorsicht zu genießen sei: Viele Frauen scheuten den Weg zur Polizei.

Großer Kraftaufwand

Viel Lob hört man nach der Verhaftung des Tatverdächtigen über die Ermittler, auf dem Revier gehen "unfassbar viele" Briefe, Postkarten und Dankes-Mails ein, berichtet Riske. Dass es möglich ist, in einem Brombeergestrüpp ein nicht einmal 20 Zentimeter langes Haar zu finden und nur wenige Tage später den mutmaßlichen Mörder zu verhaften, fasziniert vor allem ältere Menschen.

Ein Streifenpolizist hatte den 17-Jährigen im Vorbeifahren erkannt, obwohl der seine auffällige Frisur geändert hatte.

Doch der Ermittlungserfolg ist derzeit nicht das bestimmende Thema in den Mittagspausen der Stadt, in den Cafés, an den Theken. Wer mit Bürgern spricht, hat den Eindruck, dass hier viele die Kraft investieren, die es braucht, um zu differenzieren, um miteinander zu diskutieren. Und nicht gegeneinander.

"Was muss noch passieren, bis die Berufsklatscher und Gutmenschen endlich aufwachen?", fragte Andreas Schumacher, Kreissprecher der AfD Freiburg, auf Facebook. Ein paar Stunden später kamen kaum mehr als ein Dutzend Personen zu einer von der AfD angemeldeten Kundgebung ("Maria L. - ein weiteres Opfer der Willkommenskultur") auf dem Münsterplatz. Und 300 Gegendemonstranten.

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