Geplatzter Traum Wie der Libyen-Krieg einem Gastarbeiter alles nahm
Vom Sieg der Rebellen hat Siddikur Rahman Khelon im Fernsehen erfahren. Er sah, wie sie die libysche Flagge schwenkten und mit ihren Händen Victory-Zeichen formten. Der 22-Jährige freute sich für die Rebellen, obwohl er zu den Verlierern dieses Krieges gehört. "Mein Traum ist geplatzt", sagt Khelon. Er ist jetzt nicht mehr nur ein Junge, geboren in einer der ärmsten Gegenden von Bangladesch, einem der ärmsten Länder dieser Welt. Er ist jetzt auch ein Mann mit vielen Schulden.
Khelon ist einer von 37.000 Gastarbeitern, die vor dem Krieg aus Libyen zurück in ihre Heimat flüchteten. "Von den Einnahmen jedes Arbeiters sind fünf bis sieben Familienmitglieder abhängig", sagt Sheepa Hafiza von der Hilfsorganisation BRAC. "Für Bangladesch war der Krieg in Libyen eine Katastrophe."
Menschen sind das wohl wichtigste Kapital des südasiatischen Landes, das wenig natürliche Ressourcen besitzt und dessen Industrie noch in den Kinderschuhen steckt. Viele junge Männer auf dem Land sehen keine andere Möglichkeit: Sie wollen ins Ausland, um Geld zu verdienen.
Dafür gehen sie ein hohes Risiko ein. "Die Ausreise ist teuer", sagt Sheepa Hafiza. Der Weg führt über private Agenturen, welche die jungen Männer zu Wucherpreisen nach Nordafrika oder in die Arabischen Emirate schicken. "Man muss mit rund 3000 Euro rechnen."
Für die meisten Bangladescher ist das eine unvorstellbar hohe Summe. "Die ganze Familie legt zusammen. Sie machen Schulden und verkaufen ihr Hab und Gut, sogar ihre Grundstücke und Häuser." Umso fataler ist es, wenn sich der Traum vom großen Geld im Ausland nicht erfüllt. Oft werden die Versprechungen über Arbeitsverträge von den Agenturen nicht eingehalten oder Gehälter nicht ausbezahlt. "Das kann für eine ganze Familie den Abstieg in Obdachlosigkeit und extreme Armut bedeuten."
Für die Zehntausenden Rückkehrer aus Libyen ist die Lage besonders dramatisch: "Sie kamen mit nichts hier in der Hauptstadt Dhaka an." Jegliche Wertgegenstände seien ihnen vom libyschen Militär abgenommen worden. "Einige können bis heute nicht in ihre Dörfer zurück, weil sie von ihren Gläubigern bedroht werden."
BRAC empfing die Gastarbeiter am Flughafen von Dhaka mit einem warmen Essen. "Viele hatten tagelang gehungert", sagt Sheepa Hafiza. Natürlich weiß sie, dass eine Mahlzeit nur eine Kleinigkeit ist. "Wir haben ein Programm gegründet, dass Mikrokredite an Rückkehrer vergibt." Doch auch das kann keine wirkliche Lösung sein, wenn man bedenkt, dass viele der Arbeiter hohe Schulden haben.
Khelon hat drei Schwestern und zwei Brüder. Durch seine Arbeit auf dem Bau in Libyen wollte er seinen Geschwistern die Ausbildung finanzieren. Nun hat der junge Mann viel Geld verloren. Seit er vor vier Monaten in sein Heimatdorf Balsari im Norden von Bangladesh zurückgekehrt ist, findet er keine Arbeit. "Sie nennen es den arabischen Frühling", sagt er, "Ich gönnen den Menschen in Libyen die Freiheit, denn sie sind arm wie wir. Aber bei uns in Bangladesch ist Winter."