Tierretter über private Halter von Großkatzen "Mit einem Tiger brüstet man sich wie mit einem dicken Porsche oder einem Privatjet"

Mal was anderes als Hund, Katze, Maus: Manche Menschen halten sich Raubtiere. Nach dem Fund eines Löwenbabys auf der A5 erklärt Experte Florian Eiserlo, warum das mit den Großkatzen zu Hause selten gutgeht.
Ein Interview von Sara Wess
Löwenbabys: Süß, aber nicht als Hauskatzen geeignet

Löwenbabys: Süß, aber nicht als Hauskatzen geeignet

Foto: Apirom Kanjanapornudom / EyeEm / EyeEm / Getty Images

SPIEGEL: Herr Eiserlo, bei einem Unfall auf der A5 wurde im Anhänger eines Kleinbusses ein Löwenbaby entdeckt. Darf man einen kleinen Löwen so transportieren?

Eiserlo: Traurigerweise ja. In Europa ist die Haltung, die Zucht und der Transport von Großkatzen legal, auch für Privatpersonen. In diesem Fall ist noch unklar, ob alle Papiere vorhanden sind. Aber prinzipiell gilt: Jeder, der ein bisschen im Internet recherchiert, kommt an diese Tiere ran.

SPIEGEL: Und wo kauft man, bitteschön, einen Löwen?

Eiserlo: Viele Züchter sitzen in Litauen, Tschechien und der Slowakei. Das ist ein wahnsinnig lukrativer Handel. Die Preise hängen davon ab, wie alt ein Tier ist, welches Geschlecht es hat und wie es aussieht. Im Fall der jungen Löwin wurden, schätze ich, zwischen 5000 und 10.000 Euro gezahlt.

SPIEGEL: Müssen die potenziellen Halterinnen oder Halter nachweisen, dass sie sich mit Raubtieren auskennen?

Eiserlo: Nein, das ist ein großes Problem. Man muss die Haltung nur beim Veterinäramt und den Bau eines Geheges bei der Baubehörde anmelden. Für die Haltung von Großkatzen benötigt man eine Genehmigung nach §11 des Tierschutzgesetzes . Selten wird nach einem polizeilichen Führungszeugnis gefragt. Der Umgang mit lebensgefährlichen Raubkatzen bedarf keiner speziellen Ausbildung. Aber viele Züchter im Ausland interessiert es nicht, ob man die Genehmigungen der Behörden hat. Wer genug Geld hat, kann so ein Tier einfach mitnehmen.

Gerettet: Das weiße Löwenbaby von der A5

Gerettet: Das weiße Löwenbaby von der A5

Foto: Reptilium Landau / dpa

SPIEGEL: Wie viele Tiger und Löwen leben derzeit in Deutschland?

Eiserlo: Das ist schwer zu sagen. Wir schätzen etwa 130 bis 160 Tiger allein in Deutschland. Wie viele exotische Klein- und Großkatzen tatsächlich in Deutschland leben, können wir nicht sagen. In einer Studie von Vier Pfoten aus dem Jahr 2018 haben die Behörden keine Informationen erteilen können. Und hier ging es explizit nur um die Haltung von Tigern.

SPIEGEL: Wieso?

Eiserlo: Sie wissen oft selbst nicht so genau Bescheid. Die Halter von Klein- oder Großkatzen, die nicht so auffällig wie Löwen oder Tiger sind - zum Beispiel Leoparden, Puma, Geparden - melden ihre Tiere oft nicht an. Der Handel und der Transport sind wesentlich einfacher. Außerdem gehen die Beamten oft Kompromisse ein. Sie erteilen zum Beispiel Genehmigungen, obwohl die Bedingungen nicht dem gültigen Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren  genügen.

SPIEGEL: Wie viel Platz steht denn Raubkatzen demnach zu?

Eiserlo: Ein Tigerpärchen beispielsweise benötigt eine mindestens 400 Quadratmeter große Außenanlage mit Elektrozaun und Schleusen, dazu kommen noch eine Innenanlage und Zugang zu Wasser. Die Kosten für den Bau belaufen sich schnell auf 500.000 bis eine Million Euro.

SPIEGEL: Ein teures Hobby.

Eiserlo: In vielen Ländern ist es ein Statussymbol, solche gefährlichen Tiere zu halten. Mit einem Tiger brüstet man sich wie mit einem dicken Porsche oder einem Privatjet. Auch der Unterhalt der Tiere ist ja nicht billig. Eine ausgewachsene Großkatze frisst 20 bis 30 Kilogramm Fleisch pro Woche, außerdem muss sie medizinisch versorgt werden und braucht vielleicht einen Tierpfleger. Das alles kostet zusätzlich 40.000 bis 50.000 Euro pro Jahr.

SPIEGEL: Und wer sich das nicht leisten kann?

Eiserlo: Viele Tiere landen in Gitterverschlägen oder Privathaushalten. Der Puma in unserer Station zum Beispiel kam mit zweieinhalb Monaten aus Tschechien nach Deutschland, ohne Impfungen, ohne Papiere. Der ursprüngliche Halter hatte sich das so vorgestellt, dass er den Puma in seiner Zweizimmerwohnung halten und an der Leine Gassi führen könnte. Das hatte er so in einem YouTube-Video gesehen.

SPIEGEL: Wie bitte?

Eiserlo: In Polen und Russland ist es ein Trend, Geparden, Leoparden oder Pumas im Haus zu halten. Der Mann hat nicht darüber nachgedacht, was er solch einem Tier alles zur Verfügung stellen muss.

SPIEGEL: Was sind das für Menschen, die einen Puma an der Leine führen wollen? 

Eiserlo: Die meisten lieben ihre Tiere. Sie würden alles für sie machen. Aber die Halter verstehen nicht, dass die Tiere leiden. Für sie ist das in Ordnung, wenn ein Tiger auf 100 Quadratmetern lebt, Futter bekommt und ab und zu mit Spielzeug beschäftigt wird.

SPIEGEL: Aber das ist es nicht?

Eiserlo: Viele der Tiere entwickeln Verhaltensauffälligkeiten. Mangelnde Bewegung und schlechte medizinische Versorgung führen oft zu chronischen Krankheiten, denen die Tiere dann früh erliegen. Einen Löwen kann man nicht mal eben in die nächste Kleintierarztpraxis bringen.

SPIEGEL: Wie ließe sich das alles verhindern?

Eiserlo: Die Gesetzeslage in Europa ist sehr undurchsichtig und hat viele Grauzonen. Solange der legale Handel erlaubt ist, findet auch der illegale statt. Wer überprüft denn, ob eine Löwin zwei oder drei Junge geworfen hat? Deshalb hilft meiner Meinung nach nur ein vollständiges Verbot: Die private Zucht und Haltung dürften in der ganzen EU nicht mehr erlaubt sein.

Weltweiter Erfolg: Die Netflix-Serie "Tiger King"

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Foto: NETFLIX

SPIEGEL: Der Streaminganbieter Netflix veröffentlichte im Frühjahr die Dokumentarserie "Tiger King". Sie erzählt die Geschichte eines amerikanischen Privatzoos mit vielen Großkatzen. Könnte es einen solchen Zoo auch in Deutschland geben?

Eiserlo: Nicht in diesem Ausmaß. In Deutschland gibt es zwar auch Streichelzoos und Zirkusse, in denen man Selfies mit Wildtieren, auch Tigern oder Löwen, machen kann. Aber die Akzeptanz in unserer Gesellschaft ist zum Glück nicht so hoch.

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