Hagen nach dem Hochwasser »Alle helfen mit«

Keller geflutet, Häuser voller Schlamm – wie kann es nun weitergehen für die Menschen in den Hochwassergebieten? In Hagen bilden sich Netzwerke, mit unbürokratischen Hilfen rechnen die Anwohner nicht.
Von Gabriel Rinaldi, Hagen
Aufräumarbeiten in Hagen-Dahl (am Donnerstag)

Aufräumarbeiten in Hagen-Dahl (am Donnerstag)

Foto: INA FASSBENDER / AFP

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In der Hagener Johanniskirche läuten an diesem Nachmittag die Glocken. Zwei junge Menschen heiraten, ein Hochzeitsauto fährt vor. Ein Fotograf macht Bilder, die Gäste applaudieren. Hinter der Kirche, nur knappe hundert Meter entfernt, steht Michael Hanamura. Neben ihm türmt sich Schutt. Vor einem Tattoo-Studio liegen eine Matratze, Regale, Müllsäcke.

Keine 48 Stunden ist es her, dass die Volme über die Ufer trat. Das Wasser ist weg, der Schlamm ist geblieben. Eine braune Schicht verdeckt die Straßen, vor nahezu jedem Hauseingang liegt Schutt. Hanamura hatte hier einen Fitnessraum, in dem er mit einem Freund Kampfsport trainierte. Die Geräte sind hin, seit acht Stunden schon räumt er sein Kellerabteil und die Abteile der Nachbarn aus.

Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) gab am Donnerstagmittag ein Statement in der örtlichen Feuerwache. Ganz Deutschland schaute für einen Moment auf Hagen. Laschet lobte das Krisenmanagement und die schnelle Reaktion der Stadt, des Bundeslandes. Bereits am Nachmittag machte er sich auf den Weg in eine andere Gemeinde. So viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wurden von Unwettern heimgesucht, alle brauchen jetzt Unterstützung und schnelle Hilfe. Trümmer müssen beseitigt, Vermisste gefunden und, im schlimmsten Fall, Verstorbene geborgen werden.

Wie geht es weiter? Bei denen, die mit dem Leben davongekommen sind, aber deren Häuser verwüstet sind? »Bis jetzt hat das Land nicht wirklich geholfen«, sagt Michael Hanamura. Er packt lieber selbst an. Für seinen Keller braucht er jetzt eine Trocknermaschine. »Die werden hier in der Region aber wahrscheinlich ausverkauft sein.«

Eine Frau bietet einen Schlafplatz an, ein Mann will Lebensmittel verschenken

Nur einige Hundert Meter flussabwärts steht das Hagener Allerwelthaus. Es gibt ein Café, einen Weltladen, ein Kulturbüro. Vor dem Eingang stapeln sich Lebensmittel und leere Flaschen. »Die Situation ist katastrophal«, sagt Christa Burghardt. Sie ist im Vorstand des Allerwelthauses und koordiniert die Aufräumarbeiten. »Unser Keller stand bis unter die Decke unter Wasser, es ist eine Zerstörung ohne Ende.«

Viele Helferinnen und Helfer gehen ein und aus. Sie verlassen das Gebäude mit vollen Kisten und schmutzigen Stiefeln. »Viele Helfer sind im Einsatz, aber wir sind jetzt angewiesen auf Spenden«, sagt Burghardt. Der Besuch von Armin Laschet hat bei ihr keinen bleibenden Eindruck hinterlassen: »Was ich von ihm gehört habe, hat mich nicht überzeugt. Er war sehr unkonkret, mir fehlt da auch die Zuversicht«, sagt sie.

Konkreter ist da die Facebook-Gruppe »Nachbarschaftshilfe Hagen«. Eine Frau aus Wuppertal bietet einen Schlafplatz an. Einige möchten beim Tragen helfen oder Klamotten spenden. Auch Christian Schröder will helfen. Er verschenkt Lebensmittel an Bedürftige, überreicht sie an seinem Fenster. »Ich habe keinen Strom seit zwei Tagen und die Sachen sollen nicht schlecht werden«, sagt er. Um 17 Uhr am Freitag ist noch niemand gekommen, doch er wartet weiter.

Auch ein Eintrag eines Handballvereins aus Hagen-Dahl ist in der Gruppe zu finden. Der TuS Volmetal sammelt mit einem Aufruf auf seiner Internetseite Spenden. Das Smartphone von Jens Schilling vibriert regelmäßig. »Es haben sich schon über hundert Leute per E-Mail gemeldet«, sagt der Marketingleiter des Handballvereins. Mehr als 25.000 Euro seien auf einem PayPal-Konto schon zusammengekommen. Unzählige Anfragen für Sachspenden kämen noch hinzu.

Soldaten in Hagen-Dahl am Donnerstag: Die Bundeswehr hilft bei den Aufräumarbeiten

Soldaten in Hagen-Dahl am Donnerstag: Die Bundeswehr hilft bei den Aufräumarbeiten

Foto: INA FASSBENDER / AFP

Das Volmetal wurde besonders von der Flut getroffen. Ein Panzer der Bundeswehr steht auf dem Vorplatz der örtlichen Feuerwache in Hagen-Dahl. Auf einem Platz gegenüber der Auferstehungskirche steht der Bezirksbürgermeister Peter Neuhaus in einer orangefarbenen Regenjacke vor einer abgesperrten Brücke. »Das ist ein Jahrhunderthochwasser, in der Größenordnung hatten wir das zuletzt 1925«, sagt er. Er sei dankbar, dass die Bundeswehr vor Ort sei. Zudem liefen die Nachbarschaftshilfen fantastisch ab im kleinen Ort. »Alle helfen mit.«

Christoph Schmidt wohnt im Haus gegenüber der abgesperrten Brücke. Er hat erlebt, wie das Wasser am Mittwoch Stunde für Stunde anstieg. »Man spürte die Angst, wenn man hier stand, wir hatten alle Angst um unser Leben«, sagt er. Sein Keller wurde überflutet, auch die Garage mit seinem Auto stand voll. Jetzt stehen einige Nachbarn vor seiner Haustür, waschen schmutzige Holzlatten und tragen Gegenstände aus dem Keller. »Die Leute kommen sogar vom Berg ins Dorf und helfen«, erzählt Schmidt. Eine Feuerwehrmannschaft mit einer Pumpe läuft über den Platz, auf der anderen Seite der Brücke fährt ein Panzer vorbei.

Gesperrte Brücke über die Volme: Stunde um Stunde stieg das Wasser

Gesperrte Brücke über die Volme: Stunde um Stunde stieg das Wasser

Foto: SASCHA SCHUERMANN / AFP

In der Luft liegt der beißende Geruch von Diesel. Es ist 18 Uhr. Auch im Wohnzimmer von Michael Rohn riecht es nach Öl und Schlamm. Der Fußboden ist durch die Wucht des Wassers hochgekommen. »Wir waren eine Stunde lang oben und dann stand das Wasser plötzlich 1,30 Meter hoch«, sagt Rohn. Noch am Mittwochmorgen wollte er sich ein Hotelzimmer nehmen, als der Regen bereits anfing. Doch die Gaststätte war ausgebucht, sodass seine Frau und er in den ersten Stock ausweichen mussten.

In seiner Küche ist der Kühlschrank umgekippt, der Boden ist voller Schlamm. »Eine Elementarversicherung haben wir nicht, wir müssen alles selbst bezahlen«, sagt er. Er lebt nun im Obergeschoss, muss sein Haus von Grund auf renovieren. »Ich habe Hoffnungen auf unbürokratische Hilfen, aber glaube nicht dran«, sagt er. Von Laschets Auftritt halte er nichts. »Die stellen sich in Gummistiefeln hin, sind aber selbst nicht betroffen«, sagt er. Auch seine zwei Autos sind dahin. Seine Tochter wird ihren Zweitwagen aus Düsseldorf bringen, damit er wieder mobil ist.

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Die Freiwillige Feuerwehr Hagen-Dahl hat allein am Donnerstag rund 50 Keller abgepumpt. Einsatzleiter Stefan Halverscheid lobt das Engagement der Anwohnerinnen und Anwohner. »Die Bauern haben am Donnerstag die Straßen freigemacht mit ihren Treckern.« Am Freitag sei dann die Bundeswehr eingetroffen, um diese Aufgabe zu übernehmen. Halverscheid blickt auf sein Smartphone. »Wir sind für heute fertig, haben keine Einsätze mehr«, sagt er. »Hoffentlich Feierabend.« Vor einem Friseursalon in der Dahler Straße sitzt eine Gruppe von fünf Personen. Sie haben die Gummistiefel ausgezogen, trinken ein Bier. Neben ihnen türmt sich der Schutt. Die Flut wird sie noch lange beschäftigen.

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