Empörung über Haka bei Demo in Stuttgart "Das Letzte, was wir brauchen"

Haka in Stuttgart (Anfang Mai): Unverständnis in Neuseeland
Foto: DER SPIEGELRhythmisches Stampfen, Zunge-Rausstrecken und Schenkelklatschen gegen die "Corona-Diktatur": Bei den sogenannten Hygiene-Demos der vergangenen Monate gab es neben vielen bizarren Auswüchsen und Kostümierungen auch einen Haka von "Querdenken 711"-Anhängern, gefilmt von SPIEGEL TV. Die Szene trug sich bereits im Mai in Stuttgart zu, schaffte es nun im Sog der Berliner Demos und über ein "Best of"-Video aber sogar bis nach Neuseeland - und hat dort ordentlich Aufsehen erregt.
Bei den Fernsehsendern TVNZ und TV3, im "New Zealand Herald", auf Instagram und Reddit machte der kurze Clip die Runde. Vier Männer und Frauen in roten T-Shirts, auf denen vorne steht: "Ich bin schön, ich bin heil, ich bin wild, ich bin frei", und: "In mir brennt das Feuer der Liebe". Stephan Bergmann, inzwischen Sprecher der Demogruppe "Querdenken 711", schlägt sich auf die Brust und ruft: "Te waka!" (das Kanu).
Das traditionelle Ritual der neuseeländischen Ureinwohner wird fälschlicherweise oft als "Kriegstanz" beschrieben und kommt in verschiedensten Variationen bei zeremoniellen Begrüßungen, Feiern, Beerdigungen und den Rugby-Turnieren der All Blacks zum Einsatz. Es hat eine tiefe spirituelle Bedeutung. In Deutschland ist der Haka in der New-Age- und Life-Coach-Szene populär, wo er aber meist ohne die Absegnung der Stämme verbreitet wird, von deren Ahnen die Worte und Bewegungen stammen.
Nach der Aufführung spricht Bergmann von der Kraft der Erde und des Feuers, die der Haka bringe. Auf die Frage, ob das auch gegen Corona helfe, sagt er, es würde gegen "den Fake" etwas bringen. Menschen, die sich mit den Hintergründen des Haka auskennen, bringt der Stuttgarter Kraftakt allerdings eher aufsteigende Wut. "Es ist eine Verballhornung", so Karaitiana Taiuru, Berater für Maori-Kultur in Christchurch. "Haka wurden traditionell nicht zum Vertreiben von Krankheiten oder bösen Geistern benutzt." Der Haka "Tōia Mai", der in Stuttgart dargeboten wurde, sei außerdem per Copyright in Neuseeland geschützt und müsse bei Vorführungen dem Stamm Ngati Toa zugeschrieben werden.
Sichere Distanz und Lockdowns
Abgesehen von der kulturellen Aneignung sei auch die politische Botschaft beleidigend, so Taiuru. Neuseeland hat die Pandemie mit harten Maßnahmen von Premierministerin Jacinda Ardern vergleichsweise sehr gut im Griff. "Ich finde es anstößig, dass unser kulturelles Symbol benutzt wird, um für ein Anliegen zu werben, an das Neuseeland nicht glaubt", sagt Taiuru. "Als 'Team der fünf Millionen' halten wir uns an sichere Distanz und Lockdowns. Diese Pandemie bringt mehr indigene Menschen um als andere Ethnien."
Eine gerade veröffentlichte Statistik-Studie der Universität Canterbury zeigt, dass die Gefahr an Covid-19 zu sterben, für Maori um 50 Prozent höher ist als für Nichtmaori. In dicht von Maori besiedelten Gebieten im Norden Neuseelands wurden daher zum Ausbruch der Pandemie Bürgerwehren und Straßenkontrollen errichtet, um sich zusätzlich zu schützen. Designer Johnson Witehira, dessen zeitgenössische Maori-Kunst Wellingtons Innenstadt pflastert, stört sich aus den gleichen Gründen an dem Stuttgarter Haka: "Das Letzte, was wir brauchen, sind diese Clowns, die unsere Kultur für ihren unangemessenen Protest benutzen."
Dass der Haka rund um die Welt gern kommerziell oder ideologisch zweckentfremdet wird, stößt in Neuseeland stets auf Ablehnung und führt oft zu "Intellectual Property"-Klagen. Die deutsche Arag-Versicherung filmte 2017 einen Haka für Kinospots und wurde für den "Kulturraub" angegangen. Französische Juristen wurden im Januar scharf kritisiert, als sie mit einer Haka-Parodie gegen Rentenreformen protestierten. Die neueste Darbietung in Deutschland erntete auf Social-Media-Seiten in Neuseeland vor allem Spott: "Sie brauchen keine Masken, der Haka wird sie schützen", heißt es etwa in einem Facebook-Kommentar. In einem anderen: "Kann ihnen bitte jemand sagen, dass Neuseelands Corona-Erfolg nicht auf dem Haka beruht?"
"Es macht null Sinn"
Hinzukommt, dass Stephan Bergmann unter anderem wegen früherer Facebook-Posts, mit denen er vor einer "Durchmischung der Rassen" gewarnt haben soll, in der Kritik steht. Darauf angesprochen, sagte er bei der Berliner Demo am vergangenen Wochenende zu SPIEGEL TV, er habe die Posts nicht gefunden oder er habe andere Menschen zitiert. Seine Botschaft sei relativ klar, "dass wir ein Herz für Menschen haben". Er persönlich sei ja in der ganzen Welt unterwegs. "Ich habe unglaublich viele Freunde und Bekannte und sogar Familienmitglieder von unterschiedlichsten Kontinenten." Dass er davor warnen würde, sei eine Interpretation des "Tagesspiegel" und entspreche nicht seiner Lebenswahrheit. Eine Anfrage per Mail ließ er bisher unbeantwortet.
Bei der Stuttgarter Demo im Mai hatte er auch einen als rechtsextrem bekannten Blogger verteidigt und gesagt, es sei ihm egal, wer bisher was gedacht habe, die Zeiten der Spaltung seien vorbei. In Berlin sagte er dazu, man heiße alle Menschen willkommen, er gehe den Weg des Herzens.
Auf solche Berichte reagieren internationale Maori-Experten wie die Bochumer Historikerin Dr. Rebecca Burke empört. "Ganz schlimm, wenn jemand mit diesem Gedankengut dem Staat per Haka die Kampfansage macht", so Burke. Dreimal sei ihr das Haka-Video geschickt worden. Ihre Reaktion: "What the fuck - was machen diese Leute da?"
Burke arbeitet eng mit Kane Harnett-Mutu zusammen. Der neuseeländische Rechtsanwalt vom Stamm der Nghati Kahu ist einer der wenigen anerkannten Haka-Trainer in Europa und lebt in Kopenhagen. Auch er findet den Stuttgarter Auftritt "absurd": "Sie machen ein Ritual, das nicht deutsch ist und Menschen gehört, die sie anscheinend als minderwertig ansehen. Es macht null Sinn."