Interview mit Imbissbesitzer aus Halle "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen"

Tatort in Halle: Am 9. Oktober 2019 erschoss ein Rechtsextremer einen Mann in Izzet Cagacs Imbiss und tötete ein weiteres Opfer auf offener Straße
Foto: Jan Woitas/ picture alliance/dpaSPIEGEL: Herr Cagac, was haben Sie gedacht, als Sie von den Vorfällen in Hanau erfuhren?
Cagac: Die Bilder aus Hanau wecken viele negative Gefühle in mir. Es erinnert mich alles an den Anschlag bei uns am 9. Oktober 2019. Mein erster Gedanke war: Jetzt passiert das noch mal!
SPIEGEL: Sehen Sie Parallelen zwischen den rechtsextremen Anschlägen auf die Synagoge und Ihren Imbiss in Halle und dem Anschlag auf den Kiosk und die Shishabar in Hanau?
Cagac: Ja. Ich denke, der Täter von Halle hat eigentlich nur den Weg frei gemacht für eine weitere Welle von ähnlichen rechtsextremen Tätern in Deutschland. Diese potenziellen Verbrecher haben sich nach Halle gesagt: "Dieser Dummkopf hat es verbockt. Jetzt mach ich's richtig."
SPIEGEL: Beide Täter haben ein Video veröffentlicht…
Cagac: Das Video des Attentäters von Halle ist im Oktober um die Welt gegangen. Die Leute schauen diese Videos online, radikalisieren sich weiter, teilen Verschwörungstheorien, bauen ihre Waffen selbst. Ich finde es nicht gut, wenn Medien und Redaktionen auch nur Ausschnitte solcher Videos zeigen.
SPIEGEL: Bei dem Anschlag in Hanau sind neun Menschen bei einem rassistisch motivierten Attentat getötet worden. Viele sind Deutsche mit ausländischen Wurzeln. Sie, Herr Cagac, sind selbst auch türkisch-kurdisch-stämmiger Deutscher. Was bedeutet das für Sie?
Cagac: Ich fühle mit den Familien und Angehörigen der Opfer. In unserer türkischen und kurdischen Gemeinschaft ist der Familienzusammenhalt sehr groß, das wird den Angehörigen jetzt sicher helfen. Aber auch in Deutschland ist die Solidarität enorm hoch. Nach dem Anschlag auf meinen Imbiss im Oktober habe ich überwältigenden Zuspruch und Unterstützung bekommen. Ich bin mir sicher, dass auch die Familien der Opfer in Hanau diese erhalten werden. Früher haben in Halle immer alle gesagt, die Fußballfans des Halleschen FCs - der Lieblingsverein des Opfers Kevin S. - wären alle rechts. Aber dem ist nicht so. Viele kamen jeden Tag vorbei, haben meine Mitarbeiter und mich gefragt, wie es uns geht.
SPIEGEL: Sie sind nach dem Anschlag in Halle häufig in die Öffentlichkeit getreten, zuletzt schenkten Sie Ihren Mitarbeitern den Imbiss. Wie macht man nach so einem Anschlag weiter?
Cagac: Für meine Mitarbeiter und mich war das alles sehr traumatisierend. Aber ich habe nicht nachgelassen und gekämpft. Nur weil ein Irrer in meinen Laden gekommen ist, kann ich heute nicht immer noch Angst haben. Ich würde den Hanauer Familien sagen: Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, denn dann hätten die gewonnen.
SPIEGEL: Sie haben nach dem Anschlag von Halle auch an den Bundespräsidenten appelliert. Haben Sie eine Forderung an die Politik?
Cagac: Ich denke, ich spreche für die meisten in unserer Gesellschaft, wenn ich sage: Wir haben diese Verbrechen jetzt alle gesehen und wissen, so kann es nicht weitergehen. Wir wollen, dass dieser rechte Terror ein Ende hat. Da sind auch die Behörden gefragt, rechte Netzwerke im Internet aufzudecken und illegale Onlinekäufe von Waffen zu unterbinden.