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Papst ist Pop: Das vatikanische Woodstock

Foto: Michael Kappeler/ dpa

Doppelter Sankt Johannes Der heilige Wahnsinn

Am Sonntag werden die Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. heilig gesprochen, Rom erwartet mehrere Millionen Pilger. Eine gigantische Herausforderung für Polizei und Organisatoren - und ein ideales Umfeld für Geschäftemacher.

Da muss der Teufel sich aber grämen. Soviel Heiligkeit auf einmal gab es nie zuvor. "Vier Päpste, zwei lebende und zwei heilige", jubelte schon vorab Monsignore Liberio Andreatta, Chef des Römischen Pilgerwerks: "Rom wird ein Ereignis sehen, das es in der Geschichte der Stadt noch nie gegeben hat."

Was heißt Rom? Rund um den ganzen Erdball werden am Sonntag etwa zwei Milliarden Menschen die Erhebung der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. in den Stand der Heiligen miterleben. Sie werden zwei Päpste in einer gemeinsamen Messe sehen - den zurückgetretenen Benedikt XVI. und den amtierenden Franziskus.

In vielen Ländern wird das "planetarische Event", wie die katholische Zeitung "Famiglia Cristiana" das Kirchenfest beschrieb, nicht nur von den Fernsehstationen übertragen, sondern auch auf Riesenleinwänden und in Kinosälen gezeigt. "Public Viewing" ist natürlich auch in Deutschland angesagt, in vielen Kinos, kostenlos, sogar in 3D-Qualität. Die Bilder werden jedem Zuschauer das Gefühl vermitteln, bei dem einzigartigen Ereignis in Rom dabei zu sein, sagt der deutsche Kinobetreiber. Er untertreibt, sie werden vermutlich deutlich besser sehen, als die meisten in Rom - freilich fehlt die heilige Luft.

Eine große Masse fröhlicher Menschen

Vor Ort drängeln sich schon am Vortag die Massen, blockieren Straßen und Plätze rund um den katholischen Zwergstaat namens Vatikanstadt. Auf dem Petersplatz, gleich hinter den abgesperrten Sitzreihen für die Ehrengäste, haben Polen, Lateinamerikaner und Franzosen es sich in Schlafsack-Lagern gemütlich gemacht. Morgen früh wollen sie ganz vorne dabei sein.

Die Armen wissen noch nicht, dass der Platz am Abend geräumt wird und erst am Sonntag um 5.30 Uhr wieder zugänglich ist. Dann müssen sie erneut einen guten Platz suchen, gemeinsam mit Zehntausenden, Hunderttausenden mit gleichem Ziel. Noch sind sie fröhlich, singen Kirchenlieder. Einige Nonnen, die mit einer Gruppe junger Mädchen aus Ostpolen angereist sind, schmettern das "Halleluja" wie Popsternchen beim Song Contest.

Ganz still dagegen steht ein etwa fünfzigjähriger, ganz in teures, weißes Tuch gekleideter Asket in direkter Sichtlinie zum Petersdom und meditiert. Ein optimales Objekt für eine nicht endende Schar von Hobbyfilmern und -knipsern, die auch vor Nahaufnahmen seines Gesichts - zwanzig Zentimeter Abstand - und seiner blanken Füße nicht zurückschrecken. Dann der Schwenk auf die laut und rhythmisch singende afrikanische Gruppe nebenan, deren Trachten mit christlichen Sprüchen bedruckt sind - wie "Jesus, I trust in You" - und weiter auf die fünf Peruaner mit Landesflagge und einem Transparent: "2 Päpste, 2 Heilige und nur 1 Glaube in Christus".

Geschlafen wird nicht - aus Vorfreude oder Sorge

Die meisten, die am Samstag durch Rom ziehen, auf den Plätzen lagern oder ihre Wohnwagen weit weg vom Vatikan in ruhigen Seitenstraßen geparkt und mit großen Papst-Fotos und großbuchstabigen Bibelsprüchen bestückt haben, sind Gläubige, Pilger.

Für sie sind römische Kirchen die ganze Nacht zum Gebet geöffnet, in "spiritueller Gastfreundschaft", wie Don Walter Insero vom Vikariat Rom sagt. Das Motto heißt, so Don Walter weiter: "Geschlafen wird nicht, sondern es herrscht Erwartung auf das große Ereignis."

In eher banger Erwartung werden die Organisatoren im Vatikan ebenso wie in der römischen Stadtverwaltung die Nacht verbringen. Was wird werden, ist ihre bange Frage, wenn tatsächlich einige Millionen Menschen die recht überschaubare römische Innenstadt fluten und von dort Richtung Vatikan drängen?

Bis zu 800.000 anreisende Pilger sind über kirchliche oder kommerzielle Kanäle erfasst, zumindest geschätzt worden. Die Polen etwa, die in sechs Sonderzügen und etwa 1700 Bussen anrollen. Aber wie viele kommen zusätzlich auf eigene Faust, um ihrem daheim schon lange als inoffiziellen Heiligen verehrten Landsmann Johannes Paul II. zu huldigen? Da Hausherr Franziskus jeden eingeladen hat, der kommen mag und es keine Eintrittskarten und keine Anmeldungen gibt, ist jede Prognose schwierig.

Wie viele Deutsche wollen "ihrem" Papst Benedikt noch einmal zujubeln und, vor allem, wie viele Italiener machen sich am Tag zuvor oder auch erst morgens auf eigene Faust auf den Weg zum "Papa buono" (Johannes XXIII.)?

So oder so, es werden zu viele sein, um das Schauspiel direkt vor Ort zu sehen. Denn allenfalls dreihunderttausend Menschen fassen der Petersplatz und die lange und breite Via della Conciliazione - auch von denen sehen dann die meisten Nicht-Basketballspieler unter den Pilgern schon nichts mehr.

Und viel mehr Masse Mensch geht nicht. Aus Angst, dass weitere Hunderttausende Besucher sich in Richtung Vatikan schieben und es dort zu chaotischen Verhältnissen kommt, hat die Stadtverwaltung auch in Rom an vielen Stellen große Leinwände postiert. Auf denen können die angereisten Besucher die Zeremonie ebenso miterleben wie die in Bochum oder Paderborn.

Franziskus mit Wackelkopf

Möglichst viele Polen werden auf die Piazza Navona gelockt, weit weg vom Vatikan, dort läuft die Übertragung in ihrer Muttersprache. Eine große Zahl Franzosen finden sich - so hoffen die Veranstalter jedenfalls - vor ihrer Botschaft auf der Piazza Farnese ein. Und überall in der Stadt stehen Helfer in leuchtend grün-gelben Westen und weisen den Ortsunkundigen den Weg zur nächsten Videowand, verteilen Wasser, wissen, wo das nächste Klo ist.

Und nicht wenigen Reisenden sind die Souvenirläden ohnehin am Wichtigsten. Die finden sie allein, an jeder Ecke. Da gibt es alles, vor allem aber Franziskus in Wort und Bild, mit Daumen hoch oder Armen breit. Das vielleicht tollste Stück ist Papst Franziskus als bunte Plastikfigur, etwas gequetscht im Jeep, mit dem er sich auf dem Petersplatz zwischen den Menschen herumfahren lässt. Und oben auf der eher zierlichen Figur sitzt ein über die Maßen großer Kopf - und wackelt.

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